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Jährlich 23 Millionen
Eine von sieben Schwangerschaften endet mit einer Fehlgeburt

Jede siebte Schwangerschaft weltweit endet laut einer Studie mit einer Fehlgeburt. (Themenbild)
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Eine von sieben Schwangerschaften weltweit endet mit einer Fehlgeburt, und jede zehnte Frau hat mindestens eine Fehlgeburt erlitten, heisst es in einer Bericht-Serie, welche internationale Expertinnen und Experten am Dienstag im Fachmagazin «The Lancet» veröffentlicht haben.

Das Team schätzt, dass es weltweit jedes Jahr rund 23 Millionen Fehlgeburten gibt. Das seien «44 pro Minute». Vermutlich sei die Zahl «wesentlich höher», weil nicht jede Fehlgeburt gemeldet werde.

Das Phänomen sei «viel zu lange heruntergespielt und oft nicht ernst genommen worden», kritisierten die 31 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Daten aus mehreren Untersuchungen in drei Studien zusammentrugen und für den Bericht zusammenfassen. Die Zahlen und Fakten stammen mehrheitlich aus Europa und Nordamerika.

Frauen fühlen sich schuldig

«Es reicht nicht mehr, den Frauen einfach zu sagen: Versucht es weiter», erklärten sie im Vorwort. Vor allem in psychologischer Hinsicht müsse es mehr Unterstützung für die Betroffenen geben. Missverständnisse könnten dazu führen, dass sich Frauen und ihre Partner schuldig fühlen, beispielsweise sei der Glaube verbreitet, dass das Heben schwerer Gegenstände die Fehlgeburt verursacht haben könnte. Das belegt eine Studie, die 2019 im deutschsprachigen Raum durchgeführt wurde: 46 Prozent der Frauen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gaben sich die Schuld am Schwangerschaftsverlust – 37 Prozent gaben schwere körperliche Betätigung als mögliche Ursache an.

Dabei ist das ein Mythos und wissenschaftlich widerlegt. Bei über 60 Prozent der für die «Lancet»-Studien untersuchten Fehlgeburten wurden genetische Veränderungen beim Fötus festgestellt. Hingegen wurden bei weniger als 1 Prozent der Lebendgeburten solche Chromosomenanomalien  gefunden.

Risikofaktoren: Alter, BMI

Das Expertinnenteam hat aus mehreren Studien in Europa und Nordamerika die häufigsten Faktoren zusammengetragen, die das Risiko einer Fehlgeburt erhöhen können. Neben klinischen, genetischen Faktoren steht bei Frauen an vorderster Stelle zunehmendes Alter. Stark erhöht ist das Risiko ab 40 Jahren, zwischen 30 und 39 ist es nur leicht höher als im Referenzalter von 20 bis 29 und sogar tiefer als für unter 20-Jährige. Auch ein über 40-jähriger Mann erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts. Der zweitgrösste Risikofaktor ist ein Body-Mass-Index über 30, wobei beispielsweise auch bei einem BMI unter 18,5 etwas höhere Gefahr besteht als im Referenzbereich von 18,5 bis 25.

Zugehörigkeit zur schwarzen Ethnie, zu viel Arbeit (über 40 Stunden pro Woche) und Pestizide (die auch die Spermienqualität verschlechtern) im Umfeld sind weitere Risikofaktoren. Auch Luftverschmutzung könnte zu dieser Liste gehören, dazu benötige es aber noch weitere Forschung, heisst es im Bericht. In etwas geringerem Mass sind zudem anhaltender Stress, Nachtschichtarbeit, Alkoholkonsum oder Rauchen während den ersten Schwangerschaftswochen problematisch.

Die aktuellen Erkenntnisse zeigen deshalb gemäss «Lancet», «dass die Raucherentwöhnung und das Stressmanagement Vorrang haben sollten, um die allgemeine Gesundheit zu verbessern und das Risiko einer Fehlgeburt zu verringern». Alkohol sollte vermieden, Obst und Gemüse gründlich gewaschen werden, um das Risiko der Einnahme von Pestiziden zu vermeiden. Zudem raten die Autorinnen und Autoren, Nachtschichten zu reduzieren.

Schweiz als Negativbeispiel

Gemäss den Statistiken erlebt etwas mehr als jede zehnte Schwangere mindestens eine Fehlgeburt, eine von 50 erleidet zwei, und bei 0,7 Prozent sind es drei. In der Schweiz gibt es Schätzungen, dass insgesamt jede fünfte Frau einen Schwangerschaftsverlust erleidet. Bei den meisten Frauen verläuft der nächste Versuch dann zwar problemlos, trotzdem prangern die Autorinnen und Autoren an, dass in vielen Ländern erst nach mehreren Fehlgeburten genauer hingeschaut werde.

Insbesondere Grossbritannien, Deutschland, Österreich und die Schweiz kommen dabei schlecht weg, weil es erst nach drei aufeinanderfolgenden Verlusten zu genaueren Untersuchungen komme. Die Expertinnen und Experten fordern, dass schon nach der zweiten Fehlgeburt umfangreiche Abklärungen in Spezialkliniken vorgenommen werden müssten.

Kosten sollen übernommen werden

In der Schweiz kommt dazu, dass die Kosten via Franchise zum Teil oder vollständig selber getragen werden müssen, wenn die Schwangerschaft vor der 13. Woche endet. Bis dahin gilt eine Fehlgeburt als Krankheit mit entsprechendem Selbstbehalt.

Die Politik arbeitet nun an einer Änderung dieser Definition und der Kostenübernahme. Die entsprechende Motion «Kostenbefreiung für Schwangere während der ganzen Schwangerschaft» der Aargauer Nationalrätin Irene Kälin (Grüne) wurde vom Bundesrat, dem Nationalrat und letzten November auch vom Ständerat angenommen. Die Ständeratskommission argumentierte dabei auch, dass «der Umgang mit den immer noch tabuisierten Fehlgeburten offener werden könnte, wenn die Krankenkassen die dafür anfallenden Kosten vollständig übernehmen».

Mehr Hilfe, bessere Behandlung

Die Verfasserinnen und Verfasser des «Lancet»-Berichts empfehlen ein Mindestmass an Hilfe für die Betroffenen, vor allem psychologische Hilfe für das Paar und Beratung vor weiteren Schwangerschaften. Frauen, die mehrere Fehlgeburten erlitten haben, müsse umfassender geholfen werden. «Auch wenn eine Fehlgeburt in den meisten Fällen nur einmal erlebt wird, bräuchte ein erheblicher Teil der Bevölkerung Behandlung und Unterstützung», erklärte Siobhan Quenby von der Universität Warwick, eine der Autorinnen des Berichts im «Lancet».

Stattdessen herrsche weiter Schweigen, nicht nur bei betroffenen Frauen, sondern auch beim medizinischen Personal, den politischen Entscheidungsträgern und bei der Forschungsfinanzierung. Es sei eigentlich schockierend, wie wenig medizinische Fortschritte es in diesem Bereich gegeben habe. Die meisten Fehlgeburten könnten zwar aufgrund der genetischen Ursachen nicht verhindert werden.

Es brauche aber mehr Forschung dazu, und die Einstellung, dass Fehlgeburten nur nebenbei behandelt und kaum medizinisch begleitet werden, müsse verschwinden. Die Expertinnen und Experten vergleichen dies mit anderen frauenspezifischen medizinischen Problemen wie Menstruationsbeschwerden oder der Menopause, welche kaum behandelt und tabuisiert werden. 

Langzeitfolgen nach Fehlgeburt

Nicht zuletzt seien frühere Fehlgeburten für Frauen auch mit einem höheren Risiko für langfristige Gesundheitsprobleme bei Frauen verbunden, einschliesslich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, venösen Thromboembolien und psychischen Gesundheitskomplikationen. So ergab beispielsweise eine Untersuchung mit 537 Frauen, dass 9 Monate nach einem Schwangerschaftsverlust noch 18% die Kriterien für posttraumatischen Stress erfüllten, 17% für mittelschwere oder schwere Angstzustände und 6% für mittelschwere oder schwere Depression.

Die Überzeugung, dass Fehlgeburten ein einzelnes Ereignis ohne grössere Auswirkungen sind, sei deshalb überholt und eine differenziertere Herangehensweise überfällig. Die Studie fordert «alle Beteiligten nachdrücklich auf, einen umfassenden Betreuungsdienst für Fehlgeburten zu entwickeln und bereitzustellen, der idealerweise im Rahmen einer speziellen Abteilung für Frühschwangerschaften organisiert ist».

SDA/anf