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Nachfolge von Sommaruga
Eine linke Jurassierin strebt nach der Sensation

Die jurassische SP-Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider will in den Bundesrat.
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Im Jura beginnt an diesem Wochenende das Volksfest des Jahres: la fête de la Saint-Martin. An Abenden der Saint-Martin verzehren Jurassierinnen und Jurassier in Restaurants und Turnhallen alles, was ein geschlachtetes Schwein hergibt. Die Opulenz endet erst früh am Morgen – in Tanz und Ekstase.

Pünktlich zum Start des legendären Volksfests macht die jurassische Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider «ihren» Leuten nun ein Geschenk. Die vormalige Regierungsrätin, studierte Sozialarbeiterin und zweifache Mutter hat am Freitag bekannt gegeben, dass sie für den Bundesrat kandidieren will. Das ist ein Coup, der in ihrer Heimat Träume weckt. Noch nie war der 1979 gegründete Kanton Jura in der Landesregierung vertreten. 

Würde Baume-Schneider gewählt, wäre das sogar eine doppelte Sensation. Sie wäre nicht nur die erste jurassische Bundesrätin, die lateinische Schweiz würde darüber hinaus vier der sieben Bundesratssitze besetzen. Das gab es in der Schweiz erst einmal, und auch dies nur ganz kurz, von 1917 bis 1920. Die in Saint-Imier BE geborene Baume-Schneider spricht neben Französisch auch perfekt Schweizerdeutsch. 

Als Jurassierin sei sie es gewohnt, in Netzwerken zu arbeiten und Brücken zu bauen, betonte Baume-Schneider an ihrer Medienkonferenz vom Freitagabend in Bern. Sie liess sich dabei von ihrem Fraktionskollegen Samuel Bendahan flankieren und – symbolträchtig vor allem dies – von einer Vertreterin der jurassischen Exekutive: SP-Regierungsrätin Nathalie Barthoulot sprach Baume-Schneiders Kandidatur ihre volle Unterstützung zu und gab ihr damit gewissermassen den Segen des Kantons mit auf den Weg. 

Baume-Schneider könnte eine Alternative sein, falls die Bundesversammlung weder an der Bernerin Evi Allemann noch an der Baslerin Eva Herzog Gefallen findet. Ihre Wahlchancen sind aber doch eher gering: Dass die Bundesversammlung den frei werdenden Sitz von Simonetta Sommaruga (SP) an eine Romande vergibt, ist unwahrscheinlich.

Stärker ins Gewicht fällt womöglich, dass Baume Schneider mit ihrer Kandidatur der SP-Parteileitung (der sie als Vizepräsidentin selber angehört) einen taktischen Vorteil verschafft: Sie könnte dabei helfen, eine Kandidatur des Zürcher Ständerats Daniel Jositsch zu verhindern. Jositsch will die Fraktion von einem Dreierticket überzeugen, auf dem neben zwei Frauen auch ein Mann kandidieren dürfte. Spricht sich die Fraktion tatsächlich für ein Dreierticket aus, könnte sie den dritten Platz neben Herzog und Allemann an Baume-Schneider statt an Jositsch vergeben. 

Einstige Revolutionärin

Politisch ist Baume-Schneider links von den beiden Deutschschweizerinnen Herzog und Allemann anzusiedeln. Ganz am Anfang politisierte sie bei der Revolutionären Marxistischen Liga, einer Links-aussen-Splittergruppe der 70er- und 80er-Jahre. Revolutionärin ist sie heute nicht mehr, wie sie an der Medienkonferenz festhielt. Dass sie aber konsequent links tickt, machte sie mit einer bemerkenswerten Ankündigung klar: Wird sie in den Bundesrat gewählt, will sie dort nicht bis ins Rentenalter hinein verbleiben. Tritt die bald 59-Jährige tatsächlich mit 65 zurück, hätte sie also nicht einmal zwei volle Legislaturen in der Landesregierung. Dass Bundesrats-Papabili schon bei ihrer Kandidatur quasi den Rücktritt ankündigen, ist ungewöhnlich. Es versinnbildlicht aber Baume-Schneiders konsequente Ablehnung eines höheren Rentenalters und der Tendenz hin zu einem sich stetig verlängernden Arbeitsleben. 

Im Bundeshaus zählt Baume-Schneider heute eher zu den stillen Schafferinnen. In der Deutschschweiz ist sie wenig bekannt. Immerhin präsidiert sie die einflussreiche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie. Und sie ist zurzeit zweite Vizepräsidentin des Ständerats. Verbleibt sie im Parlament, dürfte sie im Dezember 2023 zur Ratspräsidentin gewählt werden.

Der jurassische Nationalrat Pierre-Alain Fridez (SP) sagt, er habe Elisabeth Baume-Schneider zur Kandidatur ermuntert, als er vom Rücktritt von Simonetta Sommaruga erfahren habe. Fridez attestiert seiner Parteikollegin Empathie, Dynamik und Effizienz. Sie könne die Leute mit ihrer offenen, umgänglichen Art von sich und ihren Projekten überzeugen, so Fridez. So sei es ihr als Bildungsdirektorin gelungen, im Jura trotz der dortigen Abneigung gegen die deutsche Sprache eine zweisprachige Maturität einzuführen. 

Viel Lob aus dem Jura

Diese Leistung ist auch François Lachat, dem ehemaligen Mitte-Regierungsrat und Gründervater des Jura, nicht entgangen. «Mit demselben Projekt bin ich gescheitert», sagt er. «Ich wollte den Jura näher an die beiden Basel rücken, und in einem zweisprachigen Maturitätsabschluss sah ich einen Schlüssel dafür.» Doch erst Baume-Schneider habe das geschafft. 

Lachat hält indes einen anderen, historischen Volksentscheid für die wichtigste Leistung der 58-Jährigen. Ihrem Effort und ihrem Verhandlungsgeschick sei es zu verdanken, dass sich die Stadt Moutier zum Wechsel vom Kanton Bern zum Kanton Jura habe entscheiden können. Baume-Schneider habe erfolgreich mit der Berner Regierung verhandelt und so die Volksabstimmung in Moutier ermöglicht. 

«Wir haben uns darauf geeinigt, mit einer jurassischen Kandidatur nicht zurückzuhalten, sobald sich die Gelegenheit dafür bietet.»

Charles Juillard, jurassischer Mitte-Ständerat 

Die Kandidatur überrasche ihn nicht, sagt Charles Juillard, Baume-Schneiders jurassischer Ständeratskollege von der Mitte-Partei. Er habe sich mit seiner Kollegin schon vor einiger Zeit darauf geeinigt, «dass wir uns mit einer jurassischen Kandidatur nicht zurückhalten, sobald sich die Gelegenheit dafür bietet». Jetzt sei dieser Moment da, nachdem Jean-François Roth 1999 angetreten war, aber gegen die Kandidatur des Freiburgers Joseph Deiss das Nachsehen hatte. «Elisabeth Baume-Schneider hat meine volle Unterstützung», sagt Juillard. Beide sassen während neun Jahren gemeinsam in der jurassischen Kantonsregierung. Als Sozialdemokratin war Baume-Schneider stets in der Minderheit. Juillard sagt: «Sie ist konziliant und weiss, wie sie ihre Dossiers in einer Regierung durchbringen kann und was Kollegialität bedeutet.» 

Julliard ist zufrieden. Auch er wird die Saint-Martin feiern. Mit ihrer Kandidatur hat Elisabeth Baume-Schneider in ihrer Heimat die diesjährige Fête so richtig lanciert.