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Ein Tag im Leben einer SBB-Ingenieurin
«Ist es wirklich ein Defekt auf der Schiene oder nur ein Kaugummi?»

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Wenn ich im Zug sitze, bin ich immer mit allen Sinnen präsent. Neulich fuhr ich von Biel nach Yverdon und hörte ein Geräusch, von dem ich weiss, dass es eine Flachstelle am Rad sein könnte. Ich fing sofort an zu überlegen: Wo könnte das jetzt sein? An welchem Drehgestell, an welcher Achse?

Ich stehe früh auf, wenn ich als Messleiterin unterwegs bin. Es kommt vor, dass ich um fünf Uhr aus dem Haus gehe. Ich fahre mit dem Velo zum Bahnhof und dann mit dem Zug dorthin, wo der Messzug steht. Häufig ist das Bern, aber manchmal starten wir auch vom Vorbahnhof in Zürich. Die Strecken, die von der SBB am meisten befahren werden, müssen wir auch am häufigsten monitoren, alle vier Wochen fahren wir in alle Richtungen.

Mein Team sammelt Daten über den Zustand des Schweizer Schienennetzes und misst zum Beispiel, ob die Distanz von einer Schiene zur anderen stimmt. Oder wir messen den Verschleiss der Gleise; mithilfe von Kameras schauen wir uns die Oberfläche der Schienen an. Bei der Auswertung der riesigen Menge an Bildern arbeiten wir mit künstlicher Intelligenz. Diese hilft uns zum Beispiel zu unterscheiden: Ist es wirklich ein Defekt auf der Schiene oder nur ein Kaugummi?

Ein Messzug, das ist ein Eisenbahnwagen, der von einer Lokomotive gezogen wird und mit Messtechnik wie Kameras oder Laser ausgerüstet ist. Drinnen sieht es aus wie in einem Büro: Schreibtische, ein Konferenzraum, eine kleine Küche mit Kaffeemaschine und Mikrowelle, eine Toilette. Ich verbringe den ganzen Tag in diesem Wagen, immer mit Blick auf meine drei Bildschirme. Auf zweien sehe ich die gesammelten Daten und wie es den Messsystemen geht, auf einem weiteren die Planung – und die Uhr. Ich muss wissen: Wann fahren wir los, wann muss ich das System starten und wieder stoppen? Ich muss auf die Minute bereit sein. Wenn das Messsystem nicht funktioniert, muss ich in kürzester Zeit handeln, denn ich kann nicht sagen: Wir fahren etwas später ab. Wir haben die eine Fahrt, den einen Slot mitten im regulären Bahnbetrieb, und wenn ein Messsystem nicht läuft, muss das alles an einem anderen Tag wiederholt werden.

Die Frage, weshalb es bei den SBB Ausfälle und Verspätungen gibt, höre ich immer mal wieder. Aber wenn ich sehe, was alles dahintersteckt, wie viel Technik involviert ist und wie viele Menschen jeden Tag ihr Bestes geben, dann muss ich sagen: Es ist verrückt, wie gut das funktioniert.

Wenn ein Zug defekt ist, wird in kürzester Zeit ein anderer hingestellt, und er fährt häufig trotzdem noch pünktlich ab. Die Kunden merken nichts davon. Auch über die Sicherheit muss man sich aus meiner Sicht in Schweizer Zügen keine Gedanken machen, wir überprüfen ja alles regelmässig.

Ich bin die einzige Frau in unserem Team, aber das ist voll okay. Ich habe nach der Matura eine Lehre als Automechanikerin gemacht, ich bin es mir also gewohnt, die einzige Frau im Raum zu sein.

Was gut ist bei uns: Viele meiner Arbeitskollegen sind relativ jung und haben wie ich Kinder. In der Mittagspause reden wir auch mal über Vereinbarkeit. Denn an den Tagen, an denen wir auf Messfahrt sind, muss der Familienalltag gut organisiert sein. Ich sehe meine Töchter am Morgen nicht, aber je nach Einsatz schaffe ich es, sie in der Tagesschule abzuholen. Dann spazieren wir zusammen nach Hause und machen Znacht. Manchmal erzähle ich ihnen von der Arbeit. Was sie am meisten fasziniert: dass ich als SBB-Angestellte ein GA besitze und überall einsteigen kann, ohne ein Billett zu kaufen.

Wenn die Mädchen schlafen, räume ich noch etwas auf. Dann setze ich mich vors Cheminée und lese. Oder ich schaue fern und lege nebenbei Wäsche zusammen. Es klingt lustig, aber: Nach einem langen Tag im Zug muss ich herunterfahren.

Protokoll: Ursina Haller