1.-Mai-Kundgebung in BaselImprovisiertes Strassenfest, daneben der Polizeieinsatz
Die Demonstration fand bereits nach wenigen Hundert Metern ein vorläufiges Ende. Teile der Demospitze befanden sich mehr als sechseinhalb Stunden im Polizeikessel, mehrere Personen wurden verletzt.
Update 19.35 Uhr. Inzwischen ist der Polizeikessel an der Elisabethenstrasse beendet. Die Kundgebung ist friedlich zum Kasernenareal weitergezogen.
Die Reaktionen zum Polizeieinsatz lesen Sie hier: «Das ist ein Angriff auf unsere demokratischen Werte»
Unser Kommentar zum 1. Mai in Basel: Ein knallharter Polizeieinsatz, der Fragen offenlässt
Es ist wieder Tag der Arbeit: Gewerkschaften, Parteien und weitere Organisationen aus dem politisch linken Spektrum Basels haben sich ab 10 Uhr im De-Wette-Park versammelt, um gemeinsam die 1.-Mai-Kundgebung zu bestreiten.
Genau dieses «gemeinsam» hatte bereits im Vorfeld für eine Kontroverse gesorgt: Die BaZ machte Anfang April publik, dass die SP Basel-Stadt sowie die Gewerkschaften einen Demo-Codex verabschiedet hatten, um den Schwarzen Block von der Kundgebung fernzuhalten. Protestierende, die Scheiben einschlagen und Gewalt anwenden, seien nicht willkommen, hiess es.
Der Codex war eine Reaktion auf den letztjährigen 1. Mai, als es zu Ausschreitungen kam, bei denen auch der BaZ-Fotograf von Demonstranten tätlich angegriffen wurde.
Besagter Codex ist allerdings bereits wieder Makulatur. Ein Sprecher des 1.-Mai-Komitees behauptete letzte Woche, dass dieser Aktionskonsens so gar nie verabschiedet worden war. Die SP sei damit alleine vorgeprescht. Die Partei bestreitet dies. Die Angelegenheit hatte innerhalb der Linken für einigen Zoff gesorgt. Nun sollten also alle Gruppierungen zusammen marschieren.
20 Personen sollen abgeführt worden sein
Bereits vor dem Start der Demonstration zeigte die Polizei in der Basler Innenstadt mit einem grösseren Aufgebot Präsenz. Auch ein Wasserwerfer stand bereit. Dies ist für Demonstrationen in Basel – insbesondere für bewilligte – ein Novum, zumindest in den letzten Jahren. Basel-Stadt besitzt keine eigenen Wasserwerfer, sondern leiht diese von anderen Kantonen aus. Bei Fussballspielen sind sie regelmässig Teil des Polizeiaufgebots. Im Einsatz ist auch ein Helikopter, der die Demonstration begleitet.
Um 10:30 Uhr setzt sich der Demo-Umzug in Bewegung. Die Spitze des Umzugs bildet, wie auch in den vergangenen Jahren, der sogenannte Schwarze Block. Dabei handelt es sich um Linksautonome – ein grosser Teil von ihnen ist vermummt.
Bereits vor Beginn der Demo sollen bereits 20 Personen durch die Polizei abgeführt worden sein, sagte ein Demosprecher. Die Polizei setze auf Eskalation. Polizeisprecher Adrian Plachesi bestätigt Personenkontrollen, betreffend Personen, die in Gewahrsam genommen wurden, werde man später informieren.
Als sich die Demonstrierenden in Bewegung setzen, riegelte die Polizei entlang der Route die Seitenstrassen ab.
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Weit ist die Demo nicht gekommen, als die Polizei bereits dazwischengeht. Bei der Elisabethenkirche sperrt die Polizei plötzlich die Strasse mit Sonderfahrzeugen ab – nur wenige Minuten nach dem Start. Ein Teil des Demonstrationszuges wird eingekesselt.
Die Polizei kündigt wenige Minuten später an, dass nun Personenkontrollen durchgeführt würden. Und sie warnt, nötigenfalls auch «Mittel», also beispielsweise Gummischrot, einzusetzen.
Die Demonstrantinnen und Demonstranten sind aufgrund der Absperrung nicht sonderlich erfreut. Die Stimmung ist zu Beginn angespannt, aber friedlich.
Die Polizei vergrösserte danach die Sperrzone rund um die eingekesselten Demonstrierenden. Von ausserhalb war nicht mehr erkennbar, was passiert.
Eine berichtende BaZ-Journalistin befindet sich im eingekesselten Bereich mit 150 bis 200 Personen. Es handelt sich dabei einerseits um teilweise vermummte Personen, aber auch ältere Demonstrierende.
Bisher hat die Polizei noch nicht mit der Kontrolle der eingekesselten Personen begonnen, einzelne Demonstrierende diskutieren mit den Beamten.
Im Bereich Bankverein und Steinenberg ist hingegen keine Polizei zu sehen. Der Privatverkehr ist entsprechend in diesem Bereich bisher nicht beeinträchtigt, Trams fahren aber nicht. Der Polizeihelikopter ist nach wie vor im Einsatz.
Eine halbe Stunde nach der Einkesselung erklärt die Kantonspolizei die Situation gegenüber der Öffentlichkeit. Man habe die Gruppierungen an der Demonstrationsspitze gestoppt, weil Personen vermummt und mit «Schutzmaterial» ausgerüstet seien. Der Kessel wird wohl durch die Polizei nicht so rasch aufgelöst, sie bietet «friedlichen Demonstrierenden an, eine alternative Route zu wählen.»
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Die Stimmung im Kessel wird langsam angespannter. Die Polizei setzt vereinzelt Reizstoff gegen die Demonstrierenden direkt vor ihr ein. Ebenfalls vereinzelt fliegen ihr Gegenstände entgegen.
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Vertreterinnen des Gewerkschaftsbundes versuchen, zu vermitteln und eine Eskalation zu verhindern. Ihre Worte stossen, wohl insbesondere auch aufgrund der diesjährigen Diskussionen, ob der schwarze Block an der Demonstration willkommen ist oder nicht, nicht auf Begeisterung.
Anwesende Journalisten berichten, dass die Polizei im Umgang mit Medienschaffenden nicht gerade zimperlich sei. Eine Kollegin sei mit grosser Wucht von einem Polizisten weggestossen worden, als es darum ging, die Sperrzone zu vergrössern.
Eine Demonstrantin wurde offenbar durch den Einsatz von Reizgas verletzt, sie liegt am Boden, die Sanität ist eingetroffen. Der Demonstrationsteil, der nicht eingekesselt ist, sich aber auch noch bei der Elisabethenkirche befindet, hat Wasser organisiert, damit sich Betroffene das Gesicht nach dem Einsatz von Reizgas waschen können. Die Flaschen werden über die Polizeikette hinweg in den Kessel geworfen.
Nino Russano, Präsident der Juso Basel-Stadt befindet sich im hinteren Teil der Demonstration, der sich eigentlich frei bewegen könnte. Trotzdem bleiben viele der Demonstrationsteilnehmenden da, um ihre Solidarität auszudrücken und zu beobachten, was weiter passiert. Russano sagt: «Wenn es sein muss, bleibe ich fünf Stunden hier.»
Es handle sich beim Einkesseln der Demospitze um eine völlig übertriebene Machtdemonstration. Es sei unsäglich, dass die Polizei die bewilligte Route abriegle, so Russano, zumal es zuvor auch nicht zu Zwischenfällen gekommen sei.
Polizei setzt Gummischrot und Reizgas ein
Seit mehr als einer Stunde steht die Demospitze durch die Polizei eingekesselt da. Von den angekündigten Personenkontrollen ist bisher nichts zu sehen. Einzelne Demonstrierende tanzen.
Basta-Grossrat und Gewerkschaftssekretär des VPOD Nicola Goepfert bezeichnet den Polizeieinsatz als «völlig unverhältnismässig», eine friedliche Demonstration zu kesseln, es gehe hier um Grundrechte, die gefährdet seien. Deswegen bewege sich der eigentlich freie hintere Teil der Demonstration auch nicht weg. Das Gespräch wird durch lautes Knallen unterbrochen, die Polizei feuert Leerschüsse oder Gummischrot ab, auch Reizgas setzt die Polizei wieder ein.
Der Kessel wird durch die Polizei kleiner gemacht, unter Einsatz von Reizgas wird die Demonstrationsspitze weiter vom Rest der Demonstration weggedrängt.
Offenbar wurde mindestens eine weitere demonstrierende Person durch Reizgas verletzt. Verletzt wurde auch ein Polizist.
Nun ist der Wasserwerfer vorgefahren. Die SP hat derweil ihre anwesenden Grossratsmitglieder zusammengetrommelt. Man versucht, telefonisch mit dem Einsatzleiter der Polizei zu verhandeln.
Es gibt einen Weg aus dem Polizeikessel: Wenn man sich kontrollieren lässt. Offenbar tun das manche, andere zeigen sich entschlossen, nicht wegzugehen.
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Während Politikerinnen und Politiker vor Ort mit dem Vorgehen der Polizei nicht einverstanden sind, ärgert sich SVP-Grossrat Joël Thüring über die Demo an sich:
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Seit zwei Stunden herrscht mehr oder weniger Stillstand bei der Elisabethenkirche. Offenbar gibt es nun Überlegungen, das 1.-Mai-Fest nicht wie geplant auf der Kasernenwiese, sondern beim Polizeikessel stattfinden zu lassen. Infrage gestellt wird auch die Demonstration in Liestal, stattdessen sollen sich die Linken vom Land ebenfalls solidarisieren und zum Kessel kommen. Inwiefern das praktikabel ist, wird sich zeigen.
Der Teil der Demonstration, der nicht eingekesselt wurde, scheint sich langsam zu verkleinern. Die Polizei versucht, sich per Megafon verständlich zu machen, im allgemeinen Trubel ist davon kaum etwas zu hören. Inzwischen kreist auch der Helikopter, der zwischenzeitlich verschwunden war, wieder über der Innenstadt.
Die Polizei zieht den Kessel nochmal enger. Erneut kommt es zum Einsatz von Reizgas, dieses Mal wird definitiv auch Gummischrot eingesetzt. Eine Frau wird durch die Polizei abgeführt. Die Luft ist durchzogen von Reizgas, berichtet unsere Reporterin vor Ort.
Ein Sprecher der Unia verkündet via Megafon, dass das 1.-Mai-Fest – auch das in Liestal – zum Polizeikessel verlegt werde. Das Basler Fest sollte eigentlich um 12 Uhr bei der Kaserne beginnen.
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Die beiden Demonstrationsteile sind inzwischen geschätzte 60 Meter voneinander entfernt. Erneut macht die Polizei eine Durchsage, die nicht zu verstehen ist. Bisher haben nur vereinzelte den Polizeikessel freiwillig verlassen.
Das 1.-Mai-Komitee macht ebenfalls eine Durchsage via Megafon. Man bleibe hier. Die Einkesselung dauert inzwischen drei Stunden. Es hat sich inzwischen im eingekesselten Teil der Demonstration eine Schlange gebildet. Leute stehen für die Polizeikontrolle an, um aus dem Kessel zu gelangen. Es befinden sich noch maximal 100 Personen im Polizeikessel.
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Weniger geworden sind auch die Polizistinnen und Polizisten, die sich um die eingekesselten Personen positioniert haben. Offenbar wurden sie zum Rest der Demonstration berufen, wo es zeitweise mehr Konfrontation mit der Polizei gab, als im eigentlichen Kessel.
Die Unia hat für die Demonstrierenden ausserhalb des Kessels Essen organisiert. Ausserdem gibt es jetzt eine Ansprache.
Auch unter diesen Umständen solle die 1.-Mai-Botschaft nicht zu kurz kommen. Es spricht Unia-Schweiz-Präsidentin Vania Alleva. Gefordert werden höhere Löhne und existenzsichernde Renten. Auch sie verurteilt den Polizeieinsatz.
Im Polizeikessel ist die Stimmung friedlich. Einzelne spielen Karten und machen sich über den Einsatz des Helikopters lustig. «Haben sie Angst, dass wir davonfliegen?», fragt einer.
In einer Medienmitteilung meldet sich am Nachmittag das 1.-Mai-Komitee zu Wort. «Das Vorgehen der Polizei widerspricht den geltenden Gesetzen und ist absolut inakzeptabel in einem demokratischen Staat», heisst es darin.
Marcel Colomb, Vizepräsident der SP Basel-Stadt, sagt gegenüber dieser Zeitung: «Was heute passiert ist, ist unglaublich. Die Demo war friedlich, es gab keine Sachbeschädigungen oder sonstiges. Dass man die Demo blockiert hat, kann ich nicht nachvollziehen.» Er wolle nicht aus dem Affekt hinaus politische Forderungen stellen. Aber klar sei, dass in Basel eine Spirale der Polizeirepression angefangen habe und das müsse gestoppt werden.
Kurz vor 15 Uhr das Ultimatum
Demonstrierende von ausserhalb des Polizeikessels werfen den eingekesselten Demonstrierenden Äpfel und Bananen zu. Die Aufbauarbeiten für das improvisierte Strassenfest laufen. Es werden Festbänke und eine Musikanlage aufgestellt.
Den rund 50 Personen, die sich noch immer im Polizeikessel befinden, setzt die Polizei kurz vor 15 Uhr ein Ultimatum. Sie hätten noch fünf Minuten, sich für die Personenkontrolle einzureihen, ansonsten würden «Zwangsmittel» eingesetzt. Unsere Reporterin vor Ort verlässt den Polizeikessel.
Kurz darauf beginnt die Polizei, die verbliebenen eingekesselten Menschen einzeln fortzubringen. Man habe immer noch die Möglichkeit, den Kessel freiwillig zu verlassen, betont die Polizei via Megafon. «Ganz Basel hasst die Polizei», lautet der Sprechchor als Antwort.
Die Musik am Fest wurde unterbrochen. Die Aufmerksamkeit gilt den Vorgängen im Polizeikessel. Die abgeführten Personen werden zu einer improvisierten Kontrollstation gebracht. Nach rund vierzig Minuten sind noch etwa 20 Personen im Polizeikessel.
Gleichzeitig werden in der gleichen Strasse Zelte für das Fest aufgebaut. Während sich noch immer Personen im Polizeikessel befinden, die einzeln herausgebracht werden, macht die Unia noch einmal eine Ansage: «Das, was heute passiert ist, muss ein Nachspiel haben.»
Toya Krummenacher ergreift ebenfalls das Megafon: «Wir halten aus, sind solidarisch. Ich weiss, es ist anstrengend, sie wollen uns zermürben.» Die Versammelten singen gemeinsam «Die Internationale».
Die letzten Personen sind inzwischen aus dem Polizeikessel draussen. Offenbar wird geplant, die Demonstration wie ursprünglich geplant durchzuführen, sobald die Blockade durch die Polizei beendet ist. Allerdings haben sich auch schon viele auf den Heimweg gemacht.
Später ging die Demonstration auf der geplanten Route mit einiger Verzögerung – aber friedlich weiter. Die mehreren Hundert verbliebenen Demonstranten zogen durch die Innenstadt zum Claraplatz, wo sie kurz vor 18 Uhr eintrafen.
Die Polizei hielt sich im Hintergrund und riegelte die Seitenstrassen ab. So war kein Durchkommen durch die Clarastrasse in Richtung Messeplatz. Auch nicht für die Trams, die dort normalerweise verkehren.
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