Kommentar zum Plan für einen StrommangelEin Steilpass für Libertäre und Anarchisten
Würde der Schweiz der Strom ausgehen, wären zerknitterte Hemden das geringste Problem. Dass der Bundesrat das Bügeln verbieten will, ist trotzdem grotesk.
Die Erinnerung an die roten Plakate ist noch präsent: In der heiklen Phase der Corona-Pandemie informierte der Bund so über Empfehlungen und Vorschriften. Im Fall einer Strommangellage könnte uns Ähnliches erwarten. Doch die Einschränkungen und Verbote, die Wirtschaftsminister Guy Parmelin vorschlägt, sind so zahlreich, dass sie kaum auf einem einzigen Plakat Platz fänden. Es bräuchte eine ganze Plakatwand, um zu erklären, dass die Verwendung von Bügeleisen genauso verboten ist wie das Streamen von Filmen, dass Kleider höchstens bei 40 Grad gewaschen werden dürfen und der Kühlschrank nicht kälter als 6 Grad sein darf.
Schon die Pandemiemassnahmen riefen Kritiker auf den Plan. «Diktatur!», schrien sie – und lagen falsch. Zwar waren auch damals nicht alle Massnahmen sinnvoll und widerspruchsfrei. Die meisten waren aber gut begründet, der Bundesrat hielt Augenmass und verzichtete etwa auf eine Ausgangssperre. Was er nun aber für den Fall eines Strommangels plant, zeugt von wenig Augenmass und ist kaum umsetzbar. Der Verbotskatalog ist geradezu ein Steilpass für Freiheitstrychler, Libertäre und Anarchistinnen. Der übergriffige Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger mit Verboten drangsaliert und immer stärker in ihr Leben eingreift: Diesmal ist es keine blosse Mär.
Natürlich ist es die Aufgabe des Bundesrates, das Land für den Fall eines Strommangels vorzubereiten. Und natürlich müssen wir Komforteinbussen in Kauf nehmen, um den grossen Blackout zu verhindern. Netzabschaltungen kann niemand wollen. Doch ob sie mit einer Verbotsliste in diesem Detaillierungsgrad zu verhindern sind – mit Regeln, deren Einhaltung sich kaum kontrollieren lässt –, ist zu bezweifeln.
Zwischen Elektroöfen und Wärmepumpen wird nicht unterschieden, obwohl Wärmepumpen viel effizienter sind.
Hinzu kommen fragwürdige Prioritäten und störende Unstimmigkeiten. Dass der Bevölkerung in der 18 Grad kalten Wohnung Netflix verboten wird, während in den Bergen die Schneekanonen laufen und die Touristen im Whirlpool sitzen, oder dass Kryptowährungen wichtiger sind als Wäschetrockner: All das ist schwer zu erklären. An der Medienkonferenz hiess es, einige Regeln seien auf Gespräche mit der Branche zurückzuführen. Man wird den Verdacht nicht los, dass sich Parmelin die Prioritätenordnung von den stärksten Lobbys diktieren liess.
Schuldig blieb Parmelin eine schlüssige Erklärung für die unterschiedlichen Temperaturobergrenzen. Mit Gas beheizte Wohnungen dürfen im Falle eines Gasmangels 20 Grad warm sein, mit Elektroöfen und Wärmepumpen beheizte bei einem Strommangel nur 18 Grad. Zwischen Elektroöfen und Wärmepumpen wird nicht unterschieden, obwohl Wärmepumpen viel effizienter sind. Wer eine umweltschädliche Ölheizung hat, muss gar keine Einschränkungen befürchten, weil das Heizöl nicht knapp ist. Im Strassenverkehr dagegen gilt die Tempolimite von 100 Stundenkilometern nicht nur für Elektro-, sondern auch für Benzinfahrzeuge.
Würde man zu Verschwörungstheorien neigen, könnte man auf die Idee kommen, der Bundesrat wolle staatliche Regulierung ad absurdum führen. Jedenfalls scheint er seinen Pandemie-Leitgedanken vergessen zu haben: dass einschneidende Eingriffe in den privaten Bereich nur wirkungsvoll sind, wenn ein grosser Teil der Bevölkerung sie für richtig hält.
Während der Pandemie stand auf einem Plakat «Treffen Sie so wenige Menschen wie möglich». Vielleicht wäre bei einem Strommangel ein Plakat mit der Aufschrift «Brauchen Sie so wenig Strom wie möglich» sinnvoller als ein detaillierter Verbotskatalog. Sind die Menschen nicht bereit dazu, ohne Strafandrohung auf das Bügeleisen zu verzichten, wenn es eng wird, haben wir ohnehin ein Problem.
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