Ein sechsfacher Giftmix für die Weltwirtschaft
Zunehmend ist von einer drohenden Rezession wegen des Coronavirus die Rede. Damit wurde die Welt auch früher fertig. Gefährlich ist diesmal, dass gleich eine ganze Reihe Faktoren zusammenkommen.
Innerhalb von zwei Wochen hat sich das Bild der Weltwirtschaft radikal verdüstert. Namhafte Ökonomen halten mittlerweile eine weltweite Rezession für möglich. Die drohende Krise hat sechs Elemente eines Giftmixes, die sie von früheren unterscheidet und besonders gefährlich macht.
1. Das Problem mit der Nachfrage
Die Nachfrage entwickelte sich weltweit schon vor der Corona-Krise schwach, was sich in geringen Investitionen und hohen Ersparnissen niederschlägt. Und weil in dieser Lage Exporte in andere Länder die Nachfrage stützen, liegt darin auch eine der Erklärungen für die Handelsstreitigkeiten: Jedes Land will mehr in anderen Ländern verkaufen, und Importe werden als Verluste taxiert. Die Ausbreitung des Coronavirus droht alles noch schlimmer zu machen: Aus Angst sparen die Leute noch mehr, reisen nicht mehr und bleiben zu Hause. Auf Besuche von Restaurants, Konzerten und Veranstaltungen sowie viele weitere Dienstleistungsangebote wird verzichtet. Und all diese Anbieter kaufen deshalb ebenfalls weniger ein. Alleine die multiplikativen Folgen dieses Nachfrageeinbruchs drohen die Wirtschaft erheblich zu schwächen.
2. Mechanismen der 70er-Jahre
Die Krise der 70er-Jahre ging nicht auf eine mangelnde Nachfrage zurück, sondern auf eine Beeinträchtigung der Produktion, weil das Öl als damals wichtigster Schmierstoff der Wirtschaft von den Ölförderländern verknappt wurde und sich drastisch verteuerte. Das Öl ist heute im historischen Vergleich spottbillig. Doch das Coronavirus droht ebenfalls die weltweiten Produktionsprozesse zu beeinträchtigen. Das Muster zeigt sich bereits in China, wo die wirtschaftliche Produktion kräftig ausgebremst wurde. Angesichts der Bedeutung der internationalen Wertschöpfungsketten hat das schon bisher zur Schliessung von Fabrikationsstätten und Lieferverzögerungen weltweit geführt. Beschädigt wurden die internationalen Wertschöpfungsketten bereits durch den Handelskrieg. Mit der Ausbreitung des Virus droht sich das noch einmal deutlich zu verschärfen.
3. Das neue Inflationsrisiko
Seit der Finanzkrise ist die Gefahr einer hohen Inflation vom Tisch. Seither versuchen die führenden Notenbanken der Welt alles, um sie wieder zum Steigen zu bringen. Grund für die tiefe Teuerung ist die erwähnte schwache Nachfrage. Wird die Produktion jetzt durch das Virus erschwert oder fällt aus, weil etwa Vorprodukte fehlen, verteuert sich die Herstellung. Das Gleiche gilt für die durch das Virus weiter ausgebremste Globalisierung. Die mit ihr verbundene Aufteilung der Produktion auf die effizientesten und günstigsten Standorte hat dem früheren Preisauftrieb Einhalt geboten. Die Rückabwicklung der Globalisierung verteuert deshalb für sich gesehen die Produktion. Ob die Inflation letztlich steigt, hängt davon ab, welcher der beiden Effekte überwiegt: jener der fallenden Nachfrage oder jener der eingeschränkten und verteuerten Produktion. Unglücklicherweise haben beide den gleichen Effekt auf den Gesamtausstoss der Wirtschaft: Sie mindern ihn.
4. Anspannungen an den Finanz- und Kapitalmärkten
Die tiefen bis negativen Zinsen haben weltweit nicht nur zur Folge, dass die private und öffentliche Verschuldung massiv angestiegen ist, das Geld floss auch in immer riskantere Verwendungen, ohne dass es die Wertschöpfung befeuert hätte. Ein Beispiel dafür ist der Boom von Hochzinsanleihen, die Unternehmen mit einem hohen Ausfallrisiko aufgenommen haben. Es wundert daher wenig, dass mit den wachsenden Ängsten um den weiteren Konjunkturverlauf diese Anleihen kaum mehr verkauft werden können und vor allem Unternehmen mit hoher Verschuldung zunehmend Schwierigkeiten haben, überhaupt noch an Geld zu kommen. In den USA macht deshalb bereits der Begriff «Credit Crunch» die Runde.
5. Die fehlende Medizin
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Lage trotz des Giftmixes in der Weltwirtschaft wieder stabilisiert. Das wäre bei einem raschen Rückzug des Virus der Fall, oder wenn schnell ein Mittel gegen ihn gefunden wird. Doch anders als bei früheren Krisen fehlen diesmal die Gegenmittel für Wirtschaftskrisen. Die jüngsten Reden und Verlautbarungen von Spitzenpolitikern und Notenbankern weltweit zeugen davon. Viel reden sie von ihrer Bereitschaft, das Nötige zu tun, nennen aber kaum je konkrete Massnahmen. Dass die Notenbanken am Rande ihrer Möglichkeit angelangt sind, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Bisher wurde einzig dem Fed der USA Spielraum zugebilligt. Die weitgehend folgenlos gebliebene Schock-Zinssenkung von dieser Woche hat gezeigt, dass auch es an die Grenzen seiner Möglichkeiten gelangt ist. Die Hoffnungen liegen jetzt bei höheren Ausgaben durch den Staat. Doch auch wie das gehen soll, bleibt offen. Bis Investitionsprogramme umgesetzt werden, vergeht viel Zeit, und sie sollten auch sinnvoll sein. Steuersenkungen und Geldspritzen drohen die Ersparnisse – statt die Ausgaben – zu erhöhen.
6. Streit statt Kooperation
Ob Geld- oder Fiskalpolitik oder Sicherung des Finanzsystems: Massnahmen sind dann sinnvoll, wenn sie wie im April 2009 nach der Finanzkrise international koordiniert werden, da sonst jeder darauf setzt, vom Vorgehen des Nächsten zu profitieren. Doch die vergangene Woche hat gezeigt: Von einer internationalen Koordination ist nichts zu sehen. Zu vergiftet ist das Klima zwischen den Ländern. Die G-7-Länder haben es nur gerade geschafft, eine praktisch inhaltsleere Verlautbarung zu veröffentlichen. So gerät jede ergriffene Massnahme, ob es sich um die Währung, die Leitzinsen oder die Staatsausgaben handelt, in den Verdacht, zum Schaden anderer ergriffen oder ausgenutzt zu werden. Statt einer Zusammenarbeit drohen so die internationalen Animositäten nur noch zuzunehmen.
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