Kolumne «Heute vor»Ein sechs Kilometer langer Albtraum
Im Jahr 1967 veranstaltete Horgen die erste Damenmodenschau der Schweiz, während ein Steuerwagen samt Wagenwärter der Forchbahn ungebremst Richtung Zollikon raste.
Hatten Sie diesen Albtraum auch schon? Man sitzt in einem Zug und fährt bergab. Plötzlich wird der Zug immer schneller und schneller und rast mit höchster Geschwindigkeit auf ein Hindernis zu, ohne dass man als Passagier etwas dagegen unternehmen kann. Ein furchtbares Gefühl der Machtlosigkeit. Glücklicherweise wacht man jedoch meist noch vor dem Aufprall unter der sicheren Bettdecke wieder auf – zwar schweissgebadet, aber doch sehr erleichtert, dass alles nur ein Traum war.
Für einen «Wagenwärter» der Zürcher Forchbahn war dieses Szenario im Jahr 1967 jedoch kein böser Traum, sondern brutale Realität. So berichtete die rechtsufrige «Zürichsee-Zeitung» im Herbst vor 55 Jahren, dass der Steuerwagen BT 104 bei einem Manöver auf der Forch stadtwärts in Fahrt geraten war, während sich ein Wagenwärter noch im Inneren des Wagens aufhielt. «Der Wagen fuhr rund sechs Kilometer weit durch Zumikon und Zollikerberg», schreibt der Autor. Dabei seien alle rechten Räder zwischenzeitlich aus dem Gleis geraten und kurzzeitig auf dem Trottoir gefahren.
«Bei der Kreuzung mit der Binzstrasse stellte sich der Wagen jedoch wieder auf die Schienen und rollte weiter», bis er in Zollikerberg schliesslich mit 60 Kilometern pro Stunde in einen stehenden Zug der Forchbahn prallte. Der Wagenwärter wurde dabei schwer verletzt. Man habe den Wagen zwar auf den sechs Kilometern mit einem zweiten Forchbahnwagen und sogar mit einem Auto einzuholen versucht, jedoch ohne Erfolg, berichtet der Autor weiter.
Als Unfallursache ermittelte die Kantonspolizei, dass beim Bau des Wagens ein Bolzen im Handbremssystem verkehrt eingesetzt worden sei, «sodass der Wagenwärter die Handbremse wohl anziehen konnte, eine Bremswirkung jedoch nicht erfolgte».
Ein ganz anderes Thema beschäftigte Horgen und somit die Modelwelt im Herbst 1967. Denn zur selben Zeit fanden dort die ersten Schweizer Modetage statt.
«Die in ihrer Art erstmalige Modepräsentation entspricht einem lang gehegten Wunsch der schweizerischen Konfektionsfabrikanten», war damals im «Anzeiger» des Bezirks Horgen zu lesen. An der Präsentation von rund 20 Herstellern sogenannter Textilkonfektion seien gar Einkäufer aus aller Welt zugegen gewesen. Denn das Konzept der gemeinsamen Präsentation mehrerer Kollektionen war damals – im Gegensatz zu New York oder Mailand – für die Zürichsee-Region noch gänzlich neu.
«Es war für den Uneingeweihten ein faszinierendes Erlebnis, selber eine Übersicht aus der Vielfalt des modischen Schaffens gewinnen zu können und gleich alle Modelle an Mannequins vorgeführt zu erhalten», schwärmt der Autor. «In einem originell aufgezogenen Rahmen, in der Form einer Zirkusvorführung vereinigten sich die Kreationen der beteiligten Konfektionäre zu einem grossartigen Modemosaik.» Die Darbietungen der ausschliesslich weiblichen Models seien darum ausserordentlich gewesen – wie in einem Traum.
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