Zum Tod des DrogenexpertenEin Sachlicher in einer kranken Welt
Der Präventivmediziner François van der Linde, Pionier der modernen Schweizer Drogenpolitik, ist vor kurzer Zeit mit 79 Jahren gestorben.

Der schweizerischen Erkenntnis entsprechend, dass man zurückhaltend über das Exzessive berichten sollte, brachte François van der Linde alles Nötige mit für seinen Job. Der ruhige Typ gehörte der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen an, die er in einer besonders struben Zeit (1981–1997) auch präsidierte.
In diesen Jahren eskalierten der Drogenkonsum und, damit zusammenhängend, die Zunahme der Aids-Ansteckungen in der Schweiz. Bis hin zu einer Epidemie der Immunkrankheit, die zu den stärksten von ganz Europa gehörte. Das Scheitern einer repressiven Drogenpolitik verdüsterte sich auf dem Platzspitz und dem Letten von Zürich zu Zuständen, welche die Welt schockierten. Das wenig Gute an diesem Grauen, argumentierte van der Linde später: Es habe die kontrollierte Heroinabgabe ausgelöst und damit die Hoffnung auf eine moderne, konsequente Drogenpolitik verstärkt.
Trotz den dramatischen Entwicklungen des Drogenkonsums trat der allseits geschätzte Präventivmediziner immer sachlich auf und vertraute der Kompetenz seiner Argumente. «Er spielte sich nie auf, blieb konsistent und loyal», sagt der ehemalige freisinnige Ständerat Felix Gutzwiller, ebenfalls Präventivmediziner, über seinen Kollegen; «ich habe ihn enorm geschätzt.» Leicht gehe bei seinem Einsatz für eine präventive Drogenpolitik auch vergessen, dass van der Linde als Erster in der Schweiz die Krebs-Registrierung eingeführt habe; «er war in Sachen Prävention also ein Pionier».
Einst rauchte er 40 Zigaretten pro Tag
Obwohl der Pionier mit der ihm eigenen Klarheit schrieb, sprach und auftrat, wich er nie von seiner Haltung ab, mit der viele bürgerliche Politikerinnen bis heute ihre Mühe haben. Denn für ihn als Fachmann war klar, was er mit vielen seiner internationalen Kolleginnen und Kollegen als Überzeugung teilte: Der Drogenkonsum und erst recht die Drogensucht sind ein medizinisches und kein juristisches Problem.
Darum plädierte der Mediziner auch für die konsequente Straflosigkeit des Konsums. Ihn störte schon die Widersprüchlichkeit einer Gesellschaft, die den Cannabishandel verbot und den Verkauf von Alkohol und Tabak unterstützte. Er habe grosse Mühe, sagte der ehemalige Kettenraucher, der täglich 40 Zigaretten inhaliert hatte, jungen Konsumenten solche Widersprüche zu erklären.
Das grosse Scheitern
Van der Linde blieb der entscheidende Erfolg verwehrt, was seiner Meinung nach zu einer Stagnation der schweizerischen Drogenpolitik geführt hat, die bis heute nicht überwunden ist. Denn nach jahrzehntelangen Verhandlungen zur Revision des eidgenössischen Betäubungsmittelgesetzes von 1977 weigerte sich die Mehrheit des Nationalrats im Sommer 2004 bei der zweiten Lesung und einem fast ausgeglichenen Stimmenverhältnis, auf die Reform überhaupt einzugehen; sie war nicht bereit, den Cannabiskonsum zu entkriminalisieren.
Die SVP und eine knappe Mehrheit der FPD unterstützten die Rückweisung, die CVP und viele welsche Parlamentarierinnen und Parlamentarier gaben mit ihrer deutlichen Verweigerung den Ausschlag. Alle waren sie von einem welschen Hardliner angetrieben worden, für den nichts anderes infrage kam als Repression, die doch die Verheerungen des illegalen Drogenkonsums erst angerichtet hatte. Immerhin betraf das Scheitern der Reform nicht die kontrollierte Heroinabgabe, die auch vom Stimmvolk wiederholt gutgeheissen wurde. Diese senkte sowohl die Aids-Gefahr wie auch die Beschaffungskriminalität massiv und gilt heute als Erfolgsmodell, das weitherum exportiert wurde.
Am 21. Juni starb François van der Linde kurz vor seinem 80. Geburtstag im zürcherischen Egg, wo er gelebt hatte. Er hatte mit seiner Frau Judith vier Kinder. Sein Tod wurde von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. Was man von seinem Leben nicht sagen kann, das er als Experte in seiner ruhigen, klaren Art geführt hat.
Fehler gefunden?Jetzt melden.