Prozess gegen FeministinEin Megafon in der Hand reicht nicht für eine Verurteilung
Eine junge Frau soll den Frauenstreik 2020 organisiert und gegen die Covid-Regeln verstossen haben, sagt die Staatsanwaltschaft. Doch das Gericht ist anderer Meinung. Und der Anwalt kritisiert die Polizei.

«Waren Sie am 14. Juni 2020 um 17.55 Uhr auf dem Helvetiaplatz in Zürich?», fragt der Richter. «Haben Sie die Kundgebung mitorganisiert? Warum haben Sie ein Megafon ergriffen? Warum sagten Sie durchs Megafon: ‹Die Versammlung wird offiziell aufgelöst›?»
Schweigen auf der Anklagebank des Bezirksgerichts Zürich, wo eine 23 Jahre alte Frau sitzt, von der man weder Beruf noch sonst etwas erfährt – nur dass sie gern weisse Turnschuhe trägt.
23-jährige Angeklagte ist vorbestraft
Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, an jenem 14. Juni, einem Sonntag, den Frauenstreik in der Stadt Zürich mit organisiert zu haben. Deshalb habe sie gegen die Covid-19-Verordnung des Bundesrats verstossen. Sie soll mit einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 30 Franken (2400 Franken) bestraft werden.
Sollte sie nun vom Richter schuldig gesprochen werden, müsste sie das Geld bezahlen, weil sie vorbestraft ist. 2019 hatte sie mit anderen Umweltaktivistinnen den Haupteingang der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz blockiert, um gegen die klimaschädlichen Investitionen der Grossbank zu protestieren; sie und viele andere wurden daraufhin wegen Nötigung verurteilt.

Jetzt, da die Angeklagte stumm im Gerichtssaal sitzt, geht es gedanklich zehn Monate zurück, zum 14. Juni 2020. Es war einer der letzten Tage, an denen die «ausserordentliche Lage» galt. Fünf Tage darauf wurde sie beendet. Die Pandemie schien sich verflüchtigt zu haben. An jenem Tag wurden fünf Personen positiv aufs Coronavirus getestet. Aber noch immer galt: An Kundgebungen dürfen höchstens 300 Personen teilnehmen. Sofern ein Schutzkonzept vorliegt.
Ein Frauenstreik-Kollektiv hatte im Vorfeld zu dezentralen politischen Aktionen unter Einhaltung der Covid-Schutzmassnahmen aufgerufen. Doch bis zum späteren Nachmittag waren enorm viele Frauen in die Stadt gekommen. Die Polizei versuchte, sie zum Heimgehen zu bewegen. Zuletzt blieben noch «einige Hundert», wie es in Medienberichten hiess, auf dem Helvetiaplatz. Die Polizei forderte die Frauen via Lautsprecher auf, den Platz zu verlassen. Gegen 18 Uhr war der Platz leer. Laut Polizei verlief alles friedlich.
Die Frau mit den weissen Turnschuhen, heisst es in der Anklageschrift, habe aktiv an dieser «Schlusskundgebung» teilgenommen – «und war überdies eine der Organisatorinnen, welche der Menge mittels Lautsprecher Anweisungen erteilte und erst nach mehreren polizeilichen Abmahnungen […] den noch verbliebenen Teilnehmenden mitteilte, man löse sich jetzt ‹offiziell› auf».
Der Feldweibel auf feministischen Plattformen
Nun packt der Anwalt der 23-Jährigen einen Stapel Dokumente aus seiner Tasche. Das Plädoyer. Der Anwalt fordert einen Freispruch. Seiner Mandantin könne überhaupt nicht nachgewiesen werden, dass sie an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen habe.
«Der Feldweibel (der Stadtpolizei) hat sich offenbar darauf spezialisiert, feministische Plattformen in den sozialen Medien zu verfolgen.»
Er holt aus: Die gesellschaftlichen Anliegen der Frauen – gerechter Lohn, bezahlte Hausarbeit und so fort – seien nun offenbar in den Fokus der Stadtpolizei geraten. Angeführt von einem bestimmten Feldweibel. «Er hat sich offenbar darauf spezialisiert, feministische Plattformen in den sozialen Medien zu verfolgen», sagt der Anwalt. Der Feldweibel habe akribisch gegen die Frauen ermittelt, währenddessen Corona-Skeptiker unbehelligt durch Zürichs Strassen spaziert seien.
Der Anwalt schliesst: «Selbst wenn meine Mandantin auf dem Platz anwesend gewesen wäre und ein Megafon in der Hand gehalten hätte, würde das noch lange nicht beweisen, dass sie die Kundgebung mit organisiert hat.»
Ein Megafon in der Hand: Zu wenig Beweise
Nach einer Dreiviertelstunde steckt der Anwalt die Dokumente zurück in seine Tasche. Dann verlassen er und die Angeklagte den Saal. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Nach einer guten Stunde steht das Urteil fest. «Unseres Erachtens haben Sie an der Kundgebung teilgenommen», sagt der Richter zur Angeklagten. Das würden ein Video sowie ein Polizeirapport belegen.
Die heikle Frage sei: War die Angeklagte die Organisatorin? Sie habe zwar via Megafon verkündet, die Versammlung löse sich «offiziell» auf. Aber das reiche als Beweismittel nicht aus, sagt der Richter. «Darum werden Sie freigesprochen.»
Die Angeklagte muss nun keine Geldstrafe bezahlen. Es bleibt einzig eine Busse von 200 Franken wegen der Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration.
Als die junge Frau mit ihren weissen Turnschuhen das Gerichtsgebäude verlässt, wird sie von jubelnden Freundinnen und Freunden empfangen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.