Ausbeutung in KatarEin kleiner Schritt gegen die «moderne Sklaverei»
Katar führt einen Mindestlohn ein und will die Lage der Arbeitsmigranten verbessern. Künftig können sie ihren Job ohne Zustimmung ihres Arbeitgebers wechseln.
Für die Gastarbeiter in Katar breche ein neuer Morgen an, sagte ausgerechnet Sharan Burrow, die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB). Burrow hatte das Land immer wieder für seinen Umgang mit ausländischen Arbeitsmigranten kritisiert, sogar von «moderner Sklaverei» gesprochen. Nun hat sich das schwerreiche Emirat, das 2022 die Fussballweltmeisterschaft austrägt, zu weiteren Reformen durchgerungen, die die Lage der rund zwei Millionen Arbeitsmigranten nachhaltig verbessern soll. Man sei hocherfreut über den Mut und die Führung der katarischen Regierung, sagte Burrow dem englischen Ableger von al-Jazeera.
Künftig können ausländische Arbeiter ihren Job ohne Zustimmung ihres Arbeitgebers wechseln. In der Vergangenheit verlangte das Kafala-System, das einheimischen «Sponsoren» grosse Macht einräumte, eine Art Freigabebescheinigung. In dieser bestätigte der Arbeitgeber, dass er keine Einwände dagegen hat, dass sein Angestellter seinen Job wechselt. Es galt als letztes problematisches Überbleibsel des Kafala-Systems. Zuvor war ein Jobwechsel nur dann möglich, wenn ein Arbeitnehmer konkrete Misshandlungen am Arbeitsplatz nachweisen konnte. Häufig verlangten die Einheimischen dann hohe Ablösesummen. Das führte oft zu Machtmissbrauch und Ausbeutung, die Arbeitsmigranten waren ihrem «Kafil», ihrem einheimischen Sponsor, schutzlos ausgeliefert. Das Arbeitsministerium in Doha teilte nun mit, dass das sogenannte No-Objection Certificate (NOC) abgeschafft wurde.
Mindestlohn in drei Stufen
Ausserdem setzte das Emirat als erstes Land der Region einen monatlichen Mindestlohn in drei Stufen fest, der für Arbeitnehmer aller Nationalitäten und in allen Sektoren gelten soll: So erhalten Arbeitsmigranten mindestens 1000 Rial (etwa 250 Franken) Monatsgehalt. Zudem muss der Arbeitgeber eine «angemessene Unterkunft» sowie Verpflegung zur Verfügung stellen oder ihnen weitere 800 Rial pro Monat zahlen – sodass der Mindestlohn zwischen 365 und 445 Franken variiert. Laut dem Internationalen Gewerkschaftsbund profitieren von dem neuen Gesetz rund 400’000 Arbeitnehmer, ihre Löhne erhöhen sich um 33 Prozent. Für die Einführung des Mindestlohns bekommen die Unternehmer allerdings ein halbes Jahr Zeit.
Die Arbeitsrechtsreform wurde gemeinsam mit der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ausgearbeitet. Seit 2018 hat die Sonderorganisation der Vereinten Nationen ein Büro in Doha. Houtan Homayounpour, der Büroleiter der Internationalen Arbeiter-Gewerkschaft, spricht auf Twitter von «fantastischen Ankündigungen» und einer Transform des Arbeitsmarktes.
Ansteckungsgefahr in Massenunterkünften
Die Zusicherung einer «angemessenen Unterkunft» scheint gerade in Corona-Zeiten ein wichtiges Thema zu sein. In den vergangenen Monaten machte das Emirat Negativschlagzeilen, weil Arbeitsmigranten in Massenunterkünften untergebracht und somit einer besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren, wie etwa Amnesty International berichtete. Erst vergangene Woche kritisierte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem fast 80-seitigen Bericht die Bemühungen der Behörden zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen als unzureichend. So müssten Arbeiter mitunter hungern und sich verschulden, weil Arbeitgeber während der Pandemie ihren Lohn zurückhielten. Diese Praxis ist zwar illegal, allerdings kritisierten Beobachter vor Ort gegenüber dieser Zeitung immer wieder, dass es häufig an der Umsetzung und Kontrolle jener Reformen harze.
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