Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Ein halbes Grad mehr kann zu viel sein

Treibhausgase müssten in der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisiert werden, das «eine gefährliche Störung des Klimasystems durch den Menschen verhindert». Bild: Keystone
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Beim Klimaschutz gelten die gleichen Regeln wie bei der Seuchenbekämpfung. Je schneller reagiert wird, desto grösser ist die Chance, das Schlimmste zu verhindern. Und wer darauf vorbereitet ist, der muss sich nicht vorwerfen lassen, nicht alles unternommen zu haben.

Der Weltklimarat (IPCC) zeigt in einem Sonderbericht, den er heute veröffentlichte, dass vorsorglich im Klimaschutz mehr getan werden müsste. Bisher wurde vor allem debattiert, wie eine Erderwärmung um 2 Grad verhindert werden kann. Der neue Bericht zeigt nun, dass es bereits ökologisch zu irreversiblen Schäden kommen kann, wenn sich der Globus nur um 1,5 Grad erwärmt.

Grafik vergrössern

Die Vereinten Nationen haben zwar bereits 1992 in der UNO-Klimarahmenkonvention verankert, die Treibhausgase müssten in der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisiert werden, das «eine gefährliche Störung des Klimasystems durch den Menschen verhindert». Konkret wurde dieses schwammige Ziel aber erst an der Klimakonferenz in Cancún festgelegt: Es darf auf der Erde im Vergleich zur vorindustriellen Zeit nicht wärmer werden als 2 Grad. Und in Paris, fünf Jahre später, wurde im neuen Klimaabkommen sogar die Erwärmungsmarke 1,5 Grad beschlossen, die angestrengt werden soll.

Zum Inhalt

Befürchtungen bestätigt

Das politische Klimaziel kam damals vor allem unter dem Druck der Allianz der kleinen Insel­staaten (Aosis) zustande, die bereits bei einer Erwärmung um 1,5 Grad stärkere Überflutungen ihrer Küsten befürchteten. Schliesslich setzte sich in Paris eine «Koalition der Ambitionierten» durch, die sich für das ehrgeizige 1,5-Ziel einsetzte – darunter die EU, die USA und auch die Schweiz.

Grafik vergrössern

Und nun präsentiert der IPCC erstmals wissenschaftliche Erkenntnisse, welche die Befürchtungen der Inselstaaten bestätigen. Weiter schätzt der Klimarat die Risiken für verschiedene Lebensräume ein. Wird eine Erwärmung um mehr als 1,5 Grad verhindert, so ist zum Beispiel mit grosser Sicherheit der Lebensraum des Meeres besser geschützt, insbesondere die Riffe warmer Korallen wie im australischen Barrier Reef, die heute schon einem hohen Risiko ausgesetzt sind. Manche Korallen-Gemeinschaften werden bei einer Erwärmung um 1,5 Grad sogar so stark geschädigt, dass sie nicht mehr gerettet werden ­können.

Erwärmung um 1 Grad

Der IPCC gibt nun auch quasi offiziell bekannt, was in diesem Jahr bereits mehrfach angekündigt wurde. Die Erde hat sich seit der vorindustriellen Zeit um ungefähr 1 Grad erwärmt. Die Klimaforscher haben sich dabei ­darauf geeinigt, dass als Temperatur-Durchschnitt für die Vergangenheit zuverlässige globale Messdaten von 1850 bis 1900 verwendet werden. Bisher war unter den Forschern umstritten, welche Zeitspanne dazu verwendet werden soll. Die aktuelle Erwärmung streicht der IPCC in seiner Mitteilung zum Bericht besonders hervor. «Die damit verbundenen Auswirkungen sind jetzt schon spürbar, wie etwa der Sommer 2018 in der Schweiz und weltweit an vielen Orten gezeigt hat», sagt Sonia Seneviratne ETH-Klimaforscherin und leitende Autorin des IPCC-Sonderberichts. Nur ein halbes Grad mehr würde die Klimaauswirkungen deutlich verstärken.

Die Wissenschaftler gehen gemäss den neusten Klimamodellen davon aus, dass es auf der Erde alle zehn Jahre um 0,2 Grad wärmer wird, falls die Erwärmungsrate wie bis anhin bleibt. Das heisst: Um das Jahr 2040 wäre die 1,5-Grad-Marke erreicht.

Grafik vergrössern

Für ETH-Wissenschaftlerin Sonia Seneviratne ist aber wichtig, dass der Fokus nicht allein auf der globalen Durchschnittstemperatur bleibt. Die Folgen der Erderwärmung sind regional unterschiedlich, wie der IPCC aufzeigt: 1,5 Grad global heisst 4,5 Grad in der Arktis oder 3 Grad in Europa im Sommer.

Je schneller, desto besser

Die Anstrengungen, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen deutlich gesteigert werden. «Eine Trendwende der Treibhausgas-Emissionen muss schon bald kommen», sagt Andreas Fischlin, Vize-Vorsteher der Arbeitsgruppe 2 des IPCC, die sich mit den Folgen der Klimaerwärmung beschäftigt. Nimmt man das optimale Szenario der CO2-Absenkpfade im Bericht, so sollte das Maximum der Emissionen wenige Jahre nach 2020 erreicht sein, um dann bis 2055 auf null zu sinken.

Unkorrigierbare Temperatur

Je länger das Maximum hinausgezögert wird und je langsamer die Emissionen sinken, desto schwieriger wird es, die erforderliche Reduktion zu erreichen – auch wenn Mitte Jahrhundert die Emissionen auf null sind. In der Atmosphäre ist dann das Depot an Treibhausgasen immer noch zu gross, sodass die Erwärmung um 1,5 Grad übertroffen wird. Bei den meisten Szenarien des IPCC wird das Klimaziel von 1,5 Grad nicht erfüllt.

Grafik vergrössern

Es dauert Jahrtausende, bis die Temperatur wieder zu sinken beginnen würde. Ausser man korrigiert sie durch technische Massnahmen, indem CO2 aus der Atmosphäre entfernt wird. Die Fachleute sprechen von negativen Emissionen. Zum Beispiel durch Wiederaufforstung ehemaliger Waldflächen. Oder durch eine direkte Filterung des CO2 aus der Luft und anschliessender Speicherung im Untergrund, wie das die Schweizer Firma Climeworks im grossen Stil machen will. Allerdings haben diese Optionen derzeit noch ein Manko: Die technische CO2-Filterung ist sehr teuer und die Speicherung nur wenig erprobt. Und die Wiederaufforstung darf nicht auf Kosten der Nahrungsproduktion geschehen.