Kommentar zu Bachelets UNO-DokumentDer Bericht kam in letzter Minute – und kommt einer Verdammnis gleich
Diesem Dokument kann sich keiner entziehen: Die Hochkommissarin für Menschenrechte benennt Pekings Verbrechen an den Uiguren. Das stellt das chinesische Regime in eine Ecke, aus der es schwerlich entkommen kann.
Die Vereinten Nationen sind keine Über-Regierung, die Vertreter ihrer Unterorganisationen sind nicht gottgesandt oder mit übermenschlichen Kräften ausgestattet. Die Vereinten Nationen sind, im Gegenteil, lediglich die Nussschalenausgabe einer konfliktreichen Welt. Umso erstaunlicher, was nun die Hochkommissarin für Menschenrechte wenige Minuten vor dem Ende ihrer Amtszeit veröffentlicht hat.
Michelle Bachelet stand zu Recht in der Kritik für ihren undurchschaubaren Umgang mit dem vielleicht grössten Menschenrechtsverstoss dieser Zeit. Die Unterdrückung, Internierung, Zwangsassimilierung und Zerstörung der uigurischen Minderheit sowie ihrer Kultur durch die chinesische Regierung und die Han-chinesische Mehrheit sind entgegen allen Leugnungen und Relativierungen belegt. Die Beweislast ist erdrückend. Es ist die politische und ökonomische Macht des Landes, die Peking so unangreifbar macht.
Auch die Vereinten Nationen, ihr Menschenrechtsrat und das Hochkommissariat konnten sich dieser Realität nicht entziehen. Bachelet verhielt sich während ihrer Findungstour in China sogar unterwürfig. Nun aber veröffentlicht sie ungeachtet des immensen Drucks aus Peking einen Bericht, der in diplomatischen Kategorien einer Verdammnis gleichkommt. Mögliche Verstösse gegen das Völkerrecht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit – der Konjunktiv in Bachelets Bericht ist lediglich der Tatsache geschuldet, dass die Hochkommissarin hier als eine Art Indiziensammlerin fungiert. Sie ist nicht Staatsanwältin und schon gar keine Richterin. Aber sie legt nun tatsächlich die Fakten auf den Tisch, die zur Einleitung diverser Rechtsverfahren nötig wären.
Aus dieser Ecke kommt das Regime nur noch schwer heraus
Jenseits der juristischen Dimension ist es vor allem das politische Signal, das nach so vielen Jahren des Streits um Xinjiang seine erlösende Wirkung entfaltet. Ja, indem Bachelet den Bericht in quasi letzter Minute vorlegt, hat sie die Folgen nicht mehr zu tragen. Eine Steigerung in Wortwahl und Urteilskraft wäre sicher auch möglich gewesen. Ihr Nachfolger und der UNO-Menschenrechtsrat werden sich schwertun, aus dem Nachlass eine neue Dynamik zu entfachen. Aber all das ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass der Bericht das Siegel des Hochkommissariats trägt und seine Verfasser dem immensen Druck standgehalten haben.
Nun liegt ein UNO-Dokument vor, dem sich keiner entziehen kann: kein Investor in Xinjiang, kein Regierungschef auf Arbeitsbesuch. Bachelet hält ausserdem eine wichtige Nachricht an alle Mitgliedstaaten der UNO parat: dass Menschenrechtsverstösse auch benannt werden. Es gibt kein Zweiklassenrecht, das sich etwa an der Höhe des Bruttoinlandsprodukts bemisst. Menschenrechte sind universale Rechte, sie lassen sich nicht umdeuten oder relativieren, auch nicht von einem der mächtigsten Staaten der Erde.
Der Bericht stellt China in eine Ecke, aus der es schwerlich entkommen kann. Nach der Umarmung Russlands und der Eskalation um Taiwan wächst die ideologische Kluft zum Westen. Die Bedeutung des Rechts beziehungsweise die Willkür in seiner Anwendung werden zum unbarmherzigen Unterscheidungsmerkmal zwischen dem einen und dem anderen Teil der Erde. Viele Staaten werden sich nun entscheiden müssen, welchem Lager sie angehören möchten.
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