Transathletin Lia ThomasEin Balanceakt zwischen Fairness und Inklusion
Die US-Transschwimmerin Lia Thomas bricht alle Rekorde und lässt dabei ihre Konkurrentinnen weit hinter sich. Der Fall spaltet nicht nur die Schwimmszene.
Seit Wochen dominiert Lia Thomas in den USA regelmässig die Schlagzeilen. Der Grund: Die Schwimmerin der University of Pennsylvania bricht einen US-Rekord nach dem anderen – und zwar als Transfrau. Doch weil die 22-Jährige etwa beim Rennen über 1500 Meter Crawl im Dezember fast 40 Sekunden schneller als ihre nächste Mitstreiterin ist, hat sich eine hitzige Debatte um ungleiche Wettbewerbsbedingungen für biologisch weibliche Sportlerinnen entfacht. Eine zentrale Frage, die dabei entscheidend für die Zukunft des Sports ist: Ab wann ist eine Transathletin eigentlich eine Frau?
Denn im Fall von Thomas hatte die Schwimmerin an der University of Pennsylvania drei Saisons lang als Mann an Wettkämpfen teilgenommen. Bei den Universitätsmeisterschaften 2019 wird sie in allen Disziplinen Zweite und zählt mit Platz 462 in der Männerkategorie zu den besten Schwimmerinnen der Ivy League. Doch dann beginnt Thomas mit einer Hormontherapie und wechselt 2021 schliesslich ins Frauenteam der UPenn. Bereits zu Beginn ihrer ersten Saison in der Frauenliga schwimmt sich Thomas zur Nummer 1 der USA und bricht gleich mehrere nationale Rekorde.
Transfrau Caitlyn Jenner will Frauensport schützen
Schnell werden im Umfeld des Frauenschwimmteams der UPenn und konkurrierender Universitäten Stimmen laut, die Kritik an Thomas Startberechtigung in der Frauenliga üben. So weise Thomas trotz ihrer Hormontherapie einen höheren Testosteronspiegel als ihre Gegnerinnen auf, lautet der viel geäusserte Vorwurf. «Wie sagt man der eigenen Tochter, dass sie eines Tages die Siegerin sein wird?», sagte etwa ein empörter Vater einer Teamkollegin von Thomas gegenüber Fox News. «Das kannst du nicht. Denn sie kann niemals sein wie sie.»
Doch die 22-Jährige erfüllt lange Zeit tatsächlich die Anforderungen des Sportverbands National Collegiate Athletic Association (NCAA), der an Universitäten in den USA Sportprogramme organisiert. Gemäss ihrem Reglement muss eine Transfrau nur ein Jahr lang Medikamente zur Testosteronunterdrückung einnehmen, bevor sie an Wettkämpfen der Frauenliga teilnehmen darf.
Das Thema polarisiert die ganze Nation. So sagte der mehrfache Olympiasieger und Starschwimmer Michael Phelps kürzlich in einem Interview mit CNN: «Wir alle sollten uns in unserer eigenen Haut wohlfühlen. Aber ich denke, Sport sollte auf einem gleichen Spielfeld gespielt werden.» Transfrau Caitlyn Jenner, die 1976 bei den Olympischen Spielen Gold im Zehnkampf gewann und 2015 ihre Geschlechtsidentität anpasste, sagte vergangenen Monat, dass der Frauensport geschützt werden müsse und Thomas aufgrund ihres grösseren Körperbaus einen entscheidenden Vorteil im Schwimmsport habe. Selbst der ehemalige US-Präsident Donald Trump mischte sich in die Debatte ein und verkündete, bei seiner Wiederwahl die Teilnahme von Transmenschen im Sport zu verbieten.
Teamkolleginnen möchten nicht gegen Transschwimmerin antreten
Die Debatte über das Recht von Transathletinnen, gegen Frauen anzutreten, ist nicht neu. Doch auch wegen der bevorstehenden Schwimmmeisterschaften der Ivy League Mitte Februar und der NCAA-Meisterschaften im März hat sie rapide an Dringlichkeit gewonnen. So verkündete die NCAA Ende Januar nach wochenlangem öffentlichem Druck überraschend, dass die Bestimmung der Startberechtigung in den einzelnen Sportarten nun den nationalen Dachverbänden überlassen sei.
Seit letzter Woche schreibt der nationale Schwimmverband deshalb nun vor, dass Transathletinnen in 36 aufeinanderfolgenden Monaten einen maximal zugelassenen Testosteronwert aufweisen müssen, um an Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen. Nach dieser Änderung wäre Thomas nicht mehr für die Meisterschaften startberechtigt, da sie mit ihrer Hormontherapie erst im Frühjahr 2019 begonnen hatte.
16 anonyme Mitglieder des Frauenschwimmteams der UPenn befürworteten in einem Brief die Ausschliessung ihrer Teamkollegin. «Lia hat jedes Recht, ihr Leben authentisch zu leben», heisst es in dem Schreiben. «Wir erkennen jedoch auch an, dass die Biologie des Geschlechts eine andere Rolle spielt als die Geschlechtsidentität einer Person, wenn es um sportliche Wettkämpfe geht.» Die Ivy League will Thomas dennoch an den Schwimmmeisterschaften starten lassen, wie ein Sprecher am Dienstag bekannt gab. Denn die Richtlinienänderung trete erst mit den NCAA-Wintermeisterschaften 2022 in Kraft.
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