Grammys 2022Ein Abend, der in Erinnerung bleiben wird
In Zeiten des Kriegs in der Ukraine zeigt die Musikbranche, dass sie die bestgelaunte, kurzweiligste und gesellschaftlich relevanteste Award-Show der Unterhaltungsindustrie produziert.
«Krieg. Was könnte gegensätzlicher zu Musik sein als die Stille zerstörter Städte und getöteter Menschen?»
So beginnt Wolodimir Selenski seine Rede bei den Grammy Awards. Der ukrainische Präsident ist per vorher aufgezeichneter Videobotschaft aus der Heimat zugeschaltet, seine Ansprache beendet er mit diesen Worten: «Wir verteidigen unsere Freiheit, um leben, lieben und Musik machen zu können.» Auf der Bühne: John Legend. Er sitzt am Klavier, umringt von der ukrainischen Harfenistin Siuzanna Iglidan, der ukrainischen Sängerin Mika Newton und der ukrainischen Dichterin Ljuba Jakimtschuk.
Sie präsentieren Legends neuen Song «Free» und gegen Ende trägt Jakimtschuk, erst vor wenigen Tagen aus der Ukraine geflohen, Auszüge aus ihrer Vaterunser-Version «Prayer» vor: «Unser täglich Brot gebe all denen, die hungern. Und vergib uns unsere zerstörten Städte – auch wenn wir unseren Feinden nicht dafür vergeben. Beschütze meinen Ehemann, meine Eltern, mein Kind und mein Heimatland.» Auf den Leinwänden sind Bilder aus der Ukraine zu sehen, Legend endet mit den Worten «bis wir alle frei sind».
«Füllt die Stille mit Musik!»
Da war er, der Moment, der so eine Veranstaltung, wie die Amerikaner sagen: memorable macht – erinnerungswürdig. Die Musikbranche zeigte also, mal wieder, dass das schon geht: sehr gut gelaunt und doch nachdenklich zu sein. Dreieinhalb Stunden lang und doch kurzweilig. Eine Würdigung aller Stars und doch auch eine Hommage an die Leute hinter den Kulissen. Es war eine ganz bewusste Abkehr von der Oscar-Verleihung, die zuletzt stets stinklangweilige Selbstbeweihräucherung der Filmbranche, die heuer nur memorable war wegen der Zurschaustellung toxischer Männlichkeit.
Ausserdem zeigten die Grammys – anders als die Oscars, die beschlossen hatten, Preise an die Gewinner nicht so berühmter Kategorien nicht während der Live-Übertragung zu vergeben -, dass auch das geht: Live-Künstler können von sogenannten «Below the Line»-Leuten angekündigt werden. Menschen, die hinter den Kulissen dafür sorgen, dass die Show weitergeht und die von der Corona-Pandemie deshalb besonders gebeutelt waren, können also sichtbar werden, ohne dass das fad würde.
Die Produktionsmanagerin Nicole Massi zum Beispiel stellte Billie Eilish vor, die dann im Taylor-Hawkins-Shirt (der Drummer der Foo Fighters war am 25. März verstorben) «Happier Than Ever» sang.
Es gibt zahlreiche Momente, die den Anachronismus «Award Show» in der Nur-ein-paar-Sekunden-Aufmerksamkeitsspanne der Tiktok-Gegenwart verankern. «Es ist tatsächlich ein Konzert, bei dem auch Preise verliehen werden», sagte Moderator Trevor Noah.
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Klar wurden auch Preise vergeben. Jon Batiste gewann fünf, darunter jenen für das beste Album des Jahres für «We Are». Olivia Rodrigo wurde als Newcomerin des Jahres ausgezeichnet, ihr Album «Sour» wurde ausserdem «Best Pop Vocal Album». Weitere Gewinner waren das Funk-Duo Silk Sonic, bestehend aus den auch solo erfolgreichen US-Stars Bruno Mars und Anderson Paak.
«Füllt die Stille mit Musik», rief der ukrainische Präsident Selenskij den Leuten noch zu. «Erzählt unsere Geschichte und die Wahrheit. Unterstützt uns auf jede Art, die ihr wollt, nur nicht in Stille.»
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