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Neues aus der Medizin
Wenn Sporttreiben die Gesundheit angreift

This photo taken on November 12, 2014 shows a resident exercising amid heavy smog on the Bund in Shanghai as the local meteorological department issued a yellow alert for smog. Chinese state media on November 13 sounded a note of caution on efforts to reduce carbon emissions, stressing "orderly" progress after Beijing set a goal for its emissions to peak "around 2030".     CHINA OUT      AFP PHOTO (Photo by AFP)
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Warum gibt es immer mehr Fälle von Asthma bei Sportlerinnen und Sportlern? Welche Folgen kann übermässiges Sporttreiben haben? Und was hat das alles zu tun mit den Zellschichten an den Oberflächen von Organen, den Epithelbarrieren? Diesen und weiteren Fragen ging der Davoser Sportarzt Walter Kistler gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Schweizerischen Instituts für Allergie- und Asthmaforschung in Davos sowie weiteren Sportärzten nach. Das Resultat wird in der neuen Studie «Die Epithelbarrieren-Theorie im Zusammenhang mit der Ernährung und der Umweltbelastung bei Athleten» vorgestellt.

Warum sind die sogenannten Epithelbarrieren so wichtig für unsere Gesundheit?

Sie sind der Schutz unseres Körpers gegen schädliche Einflüsse von aussen durch die Umwelt wie auch innerhalb des Körpers. Diese Barrieren sind hauptsächlich auf der Haut, den Atemwegen mit der Lunge und dem Magen-Darm-Trakt. Gewissen Einflüssen wie zum Beispiel der Luftverschmutzung sind diese Barrieren einfach ausgesetzt. Teilweise aber beschädigen wir sie auch aktiv selbst.

Wie?

Typisch ist hier die Lunge von Rauchern. Ein Beispiel für die Haut und aus dem Sport ist das zu häufige Duschen und Verwenden von aggressiven Duschmitteln. Die Epithelbarrieren können sich zwar regenerieren, aber irgendwann kommen sie damit nicht mehr nach. «Je sauberer, desto besser» gilt hier also nicht. Die Beschädigung der Barrieren kann man vergleichen mit offenen Türen für Gifte, Keime, Viren, Bakterien, aber auch für Wärme und Kälte.

Sie schreiben, dass seit den 1960er-Jahren und durch die Industrialisierung über 350’000 neue chemische Substanzen in das menschliche Leben eingeführt wurden. Substanzen, von denen viele schädlich sind für die Epithelbarrieren.

Dazu gehören Feinstaub, Dieselabgase oder Ozon in der Luft, Reinigungsmittel, Parfüms und Kosmetika, die die Haut belasten, wie auch Konservierungsmittel, Zusatzstoffe und Mikroplastik in der Ernährung. Und in derselben Zeitspanne haben auch allergische und nicht übertragbare Krankheiten prozentual deutlich zugenommen. Wir haben zum Beispiel eine Zunahme einerseits von Asthma, bei dem man bereits von einer Epidemie spricht, und andererseits von allergischen Erkrankungen. Dazu kommen teilweise paradox anmutende Phänomene, dass Stadtkinder häufiger unter Heuschnupfen leiden als Kinder auf dem Land, obwohl Letztere diesen Allergenen häufiger ausgesetzt sind.

In Ihrer Studie sorgen Sie sich in erster Linie um Sport treibende Menschen. Warum?

Als Sportmediziner und Sportwissenschaftler fühlen wir uns verpflichtet, nicht nur Spitzensportler zu betreuen, sondern alle Leute zu einem aktiven Lebensstil zu animieren. Bewegungsarmut ist einer der grössten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch wenn wir nun sehen, dass viele mit intensivem Sporttreiben zusammenhängende Faktoren für aktive Beschädigungen der Epithelbarrieren sorgen, bekommen wir plötzlich andere Probleme.

Warum sind Menschen, die viel Sport treiben, besonders betroffen?

Da gibt es viele Gründe. Die Haut und die Atemwege sind neben den erwähnten Reinigungsmitteln zusätzlich betroffen wegen des Chlors bei Wassersportlern oder Ausrüstungen wie zum Beispiel im Eishockey mit Schonern und Leibchen, die mit starken Waschmitteln versetzt sind. Das Betreiben von Outdoor-Sportarten bei sehr tiefen Temperaturen wie Langlauf belastet die Epithelbarrieren der Lunge überdurchschnittlich. Aber auch bei Indoor-Sportarten in Hallen mit schlechter Luft gibt es ähnliche Auswirkungen. Ein Spitzensportler atmet viel häufiger und intensiver, die Auswirkungen von kontaminierter Luft sind darum höher. Sportler kommen zudem häufiger in Kontakt mit Desinfektions- und Reinigungsmitteln, die zwar grundsätzlich wichtig sind für die Sauberkeit und Hygiene, aber hier auch eine kontraproduktive Wirkung haben können. Es gibt aber auch weniger offensichtliche Beispiele.

Die wären?

Athleten, die häufig unterwegs sind, ernähren sich oft in Kantinen, wo Geschirr mit aggressiveren Reinigungsmitteln gewaschen wird, als man es von zu Hause gewohnt ist. Das sorgt für Rückstände auf den Tellern, die man mit dem Essen wieder dem Körper zufügt, was die Darmbarriere schädigt.

Damit wären wir nun bei der Ernährung. Sie erwähnen in der Studie explizit die sogenannte Sportlernahrung als Risikofaktor.

Die typische Sportlernahrung ist hoch konzentriert und enthält Emulgatoren, Zusätze und Stabilisatoren, die häufig nicht natürlich sind. Das gilt auch für viele Gels und Riegel, zu denen man aus praktischen Gründen häufiger greift als zum Beispiel zu einem Apfel. All dies hat Folgen für die Epithelbarrieren im Darm, die manchmal auch nicht sofort offensichtlich sind.

Zum Beispiel?

Der menschliche Darm hat wegen seiner riesigen Fläche eine wichtige Bedeutung für unser Immunsystem. Wer seinen Darm beschädigt, beschädigt auch seine Darmflora, das heisst die normale Besiedelung mit Mikroorganismen und damit auch das Immunsystem. Und dann wird man anfälliger für Infekte. Gerade im Spitzensport ist das sehr einschränkend, da greift man in solchen Fällen vielleicht auch schneller zu Antibiotika, die wiederum unsere Darmflora zusätzlich durcheinanderbringen. Nach so einer Therapie kann es bis zu ein Jahr dauern, bis die sich wieder komplett erholt.

Die vielfältige Beschädigung der Epithelbarrieren.

Klassische Sportlernahrung ist also ungesund?

Schon Paracelsus sagte im Mittelalter: Alles ist Gift, es kommt auf die Dosis an. Das ist eine der Kernbotschaften unserer Studie: Wir versuchen, das ganze Bild zu zeigen. Es gibt sehr viele Einflüsse, gerade im Sport. Athletinnen und Athleten können und sollen bei allen Faktoren rund um Ernährung oder Hygiene viel bewusster auf das richtige Mass achten.

Sie könnten auch für weniger sportliche Aktivität plädieren.

So einfach ist das nicht. Wir haben es hier mit einer typischen J-Kurve zu tun. Wenn man nichts tut, ist das Risiko für die Gesundheit hoch. Fängt man an, sich sportlich zu betätigen, geht die Schadenskurve zunächst nach unten, um dann bei immer höherer Aktivität wieder anzusteigen. Wie der Buchstabe J. Dieses Muster existiert ganz grundsätzlich bei der allgemeinen Leistungsfähigkeit, aber auch bei Infektanfälligkeiten. Und wahrscheinlich gilt das Gleiche auch für Allergien und chronische Krankheiten wie bestimmte Magen-Darm-Krankheiten, von denen man einige vor ein paar Jahren noch gar nicht kannte. Zum Beispiel die eosinophile Ösophagitis, quasi das Asthma der Speiseröhre.

Können Sportlerinnen und Sportler Grenzen bei der Belastung und der Ernährung definieren: so viel und nicht mehr, weil es für die Epithelbarrieren sonst schädlich wird?

Das ist leider nicht so einfach, denn auch die individuelle Veranlagung respektive Genetik spielt eine wesentliche Rolle. Manche Menschen tendieren dabei mehr zu Allergien oder Infektanfälligkeit als andere, ganz unabhängig davon, ob sie Sport treiben oder nicht.

Haben Spitzenathleten während der Wettkampfsaison überhaupt genug Zeit für die Erholung ihrer Epithelbarrieren?

Wahrscheinlich nicht, obwohl es wichtig wäre. Es ist nicht nur die Muskulatur, die Regeneration braucht. Man kann aber der Schädigung dieser Barrieren entgegenwirken: zum Beispiel bewusster duschen mit weniger aggressiven Seifen oder Duschgels. Das hat keinen negativen Einfluss auf die Hygiene. Oder in der Phase der Regeneration sich so natürlich wie möglich ernähren.

Kennen Sie Athletinnen oder Athleten, die grundsätzlich über die Epithelbarrieren oder ihre Erholung nachdenken?

Das Bewusstsein dafür ist erst im Kommen. Ich werde aber zum Beispiel als Teamarzt im Eishockey zunehmend häufiger wegen Hautproblemen angefragt. Gleichzeitig spreche ich die Spieler auch aktiv darauf an. Ich möchte das Bewusstsein der Sportlerinnen und Sportler auf diese Thematik lenken. Schliesslich wird damit ihre sportliche Leistung generell beeinflusst. Zudem haben wir manchmal eine ganze Reihe von Problemen, die mit der Beschädigung der Epithelbarrieren beginnt. Wir verweisen in der Studie in diesem Zusammenhang weiter auch auf negative Auswirkungen wie allgemeine Erholung, Schlaf und Psyche, wobei hier die Forschung noch nicht sehr weit ist.

Sie schliessen die Studie mit dem Hinweis auf die generelle Notwendigkeit weiterer Forschungen. Was kommt als Nächstes?

Rund um das Immunsystem verstehen wir immer noch vieles nicht. Welchen Einfluss hat Bewegung grundsätzlich auf das Immunsystem? Bis jetzt bringt man Bewegung vor allem mit Herz und Kreislauf in Zusammenhang. Dass Bewegung aber auch einen positiven Einfluss auf Infektabwehr und chronische Erkrankungen hat, ist wohl nicht allgemein bekannt. In unseren nächsten Studien werden wir zu diesem Thema zudem auch spezifische Unterschiede zwischen unterschiedlichen Sportarten anschauen, in unserem Fall also vor allem Eishockey und Langlauf. Und wir wollen den Fokus vermehrt auf den Breitensport legen und herausfinden, ob es dort spezifische Risiken gibt und wo man eventuelle Grenzen definieren kann. Vielen äusseren Faktoren ist man zwar irgendwie ausgeliefert, dennoch sollten wir wann immer möglich andere schädigende Einflüsse vermeiden und uns entsprechend schützen.