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Schlacht um den Donbass
«Durchhalten, bis neue Waffen kommen»

Ideale Waffe für den Kampf auf offenen Feldern: Ukrainische Soldaten in der Region Donezk bringen eine amerikanische M777-Haubitze in Stellung.
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Vor dem baumbewachsenen Hügel glitzert in der grünen Ebene ein Sumpf. Die Ukrainer haben Wasser aus dem Petschenigi-Stausee abgelassen, der die Millionenstadt Charkiw mit Trinkwasser versorgt, die überflutete Ebene soll die russische Armee am Vormarsch hindern. Und das tut sie. Über die glitzernde Oberfläche hinweg bombardieren sich – links die Russen, rechts die Ukrainer – beide Seiten aus dem Schutz der Bäume. Rauch steigt auf. «Das Mündungsfeuer der Geschütze», sagt Oberleutnant Danylo. «Und weil der Wald brennt.»

Danylo (35) ist Kommandant der hiesigen Einheit der Territorialverteidigung, des Heimatschutzes. Im zivilen Beruf ist er Naturwissenschaftler, aber er hat ebenfalls eine Ausbildung an der Militärakademie absolviert. Er heisst nicht Danylo, will aber weder seinen Namen noch den seiner Einheit und auch nicht seinen Standort veröffentlichen. Davon abgesehen, legt er seine Sicht dieses Kriegs gern dar.

Östlich von Charkiw, wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt, besteht die Aufgabe vor allem darin, die russische Armee aufzuhalten. Hier im Osten ist es ein zäher Kampf, Dorf um Dorf, Kleinstadt um Kleinstadt, die Entfernungen betragen ein paar Kilometer, manchmal weniger.

Ukrainische Spezialisten sind in den USA in der Handhabung der M777-Haubitzen trainiert worden.

Während Oberleutnant Danylo auf die Positionen des Gegners zeigt – er sagt nicht, wie viele andere, der «Orks» –, bleibt er in der Deckung der Baumkronen. Er mag mit seinen Männern einen vermeintlich verträumten Aussenposten einnehmen, aber die russische Armee steht buchstäblich eine Strasse weiter. Dort beginnt das nächste Dorf, kontrolliert von der russischen Armee. Von dort schicken die russischen Soldaten Raketen und Granaten. Am Kontrollposten haben Danylos Männer eine kleine Sammlung an Granatsplittern angelegt, handtellergrosse, scharfkantige Stahlfetzen.

Seit etwa einem Monat kämpften die Ukrainer mit amerikanischen M777-Haubitzen, sagt Danylo. Wo sie stehen und wie viele es sind, kann er nicht sagen. Auf der M777 ruhen grosse Hoffnungen. Sie ist eines der modernsten Artilleriegeschütze auf dem Markt, schiesst präzise, ist durch Titan so leicht, dass sie mit Lastwagen leicht bewegt und damit nach dem Abschuss leicht verborgen werden kann – die ideale Waffe für einen Kampf auf den offenen Feldern im Osten.

Beobachter sprechen bereits von «game changer»

Ukrainische Spezialisten sind in den USA in der Handhabung der M777 trainiert worden, wie Danylo sagt, zurück in der Ukraine geben sie ihr Wissen weiter. Und obwohl bislang wohl nur um die 100 Haubitzen geliefert wurden, sprechen manche Beobachter bereits von «game changer», von dem, was die Lage ändern kann. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «USA: Raketenwerfer für die Ukraine trotz Stimmungswandel».)

Auch Danylos neues Sturmgewehr stammt aus den USA, eine M4A1. Genau betrachtet, stammt seine gesamte Ausrüstung von anderen – Briten, Amerikanern, ukrainischen Freiwilligen, jedenfalls nicht vom ukrainischen Staat. Er zeigt an sich herab, Helm, Schutzweste, Patronentaschen, Hose: «Die Schuhe sind aus der Ukraine. Alles andere, von den Socken bis zur Sonnenbrille, ist ein Geschenk.» Wenn sich in ukrainischen Einheiten Kleidung und Ausrüstung manchmal von Soldat zu Soldat unterscheiden, dann ist dies der Grund.

Die oft beschriebene Modernisierung der ukrainischen Armee hat ihn, Danylo, jedenfalls nicht erreicht: «Es ist wie 2014 beim Krieg im Donbass. Da waren wir ähnlich schlecht ausgerüstet.»

«Einen Abnutzungskrieg können wir nicht gewinnen. Russland hat mehr Technik, mehr Personal.»

Oberleutnant Danylo

Neben der ukrainischen Militärausbildung kann er inzwischen auf «Nato»-Training zurückgreifen, wie er es nennt. Wie viele andere Ukrainer ist er zwei Monate lang im Stützpunkt Jaworiw bei Lwiw trainiert worden: «Wir hatten Ausbilder aus den USA, Kanada, Grossbritannien, und das waren nur die, die ich gesehen habe.» Mitte März bombardierte Russland das Ausbildungszentrum mit Raketen, mindestens 35 Menschen starben, und bei einigen Ukrainern kam damals die Frage auf, ob es wirklich so klug war, so viele Soldaten und Rekruten an einem Ort zu versammeln.

Viele Ukrainer waren damals dennoch wie berauscht von jedem Tag, an dem ihre Armee der Übermacht der Russen standhielt, sie von der Hauptstadt Kiew zurückdrängte, später sogar aus Charkiws direkter Umgebung vertrieb. Seit ein paar Tagen aber schlagen in Charkiw wieder Raketen ein, und die russische Armee rückt im Donbass vor. Sjewjerodonezk ist fast eingekreist, Lymann erobert.

Die unabhängige russische Onlinezeitung «Meduza» meldet unter Berufung auf Mitglieder der russischen Führung bereits, im Kreml sei die Stimmung bestens, einige redeten bereits von einem zweiten Sturm auf Kiew, der Möglichkeit, die Ukraine doch noch ganz zu erobern. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Partisanen bringen russische Soldaten in Bedrängnis».)

«Russland hat mehr Technik und mehr Personal»

Oberleutnant Danylo sieht das Ganze militärisch-nüchtern: «Einen Abnutzungskrieg können wir nicht gewinnen. Russland hat mehr Technik, mehr Personal.» Daran ändere sich auch nichts, wenn man in der ukrainischen Armee rechne, dass auf einen gefallenen Ukrainer drei tote russische Soldaten kämen: «Für den Kreml zählt das Leben eines Soldaten nichts.»

Das Ziel der ukrainischen Armee in diesen Tagen? «Durchhalten, bis neue Waffen kommen. Wir haben noch Reste der ukrainischen Bestände, aber für die Gegenoffensive brauchen wir Waffen aus dem Westen.»

Bei all den Zuwendungen hat einer von Danylos Männern allerdings in die falsche Kiste gegriffen. Unter den vielen Abzeichen an seiner Uniform lautet eines auf Deutsch «Unsere Ehre heisst Treue». Woher er das hat? «Wurde verteilt.» Von wem? «Na, eben verteilt.» Als er im Internet das SS-Plakat sieht mit dem Satz «Meine Ehre heisst Treue», dämmert ihm, dass er seit Wochen allerfeinste Faschistenpropaganda trägt. Er wird rot, reisst es ab und steckt es verlegen in die Tasche.