Corona-Demos in FrankreichDurch die Gesellschaft geht ein Riss
Die Impfpflicht hat eine neue Protestbewegung entstehen lassen. Sie gründet vor allem auf einem tiefen Misstrauen gegen den Staat.
Der Druck wirkt. Und der Widerstand wächst. Seit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Mitte Juli eine Impfpflicht für Spitalpersonal angekündigt hat und eine Nachweispflicht über Impfung oder Negativtest für einen Grossteil der Freizeitaktivitäten, passiert in Frankreich zweierlei. Einerseits hat die Impfmüdigkeit ein Ende. In der Woche nach Macrons Ankündigung wurden erstmals seit Beginn der Impfkampagne mehr als 900’000 Menschen pro Tag geimpft.
In den Impfzentren wird zwar nicht mehr von Freude und Dankbarkeit berichtet, viele kommen, weil ihnen das Leben ohne Impfung zu kompliziert wird. Doch allzu gross scheint die Hemmschwelle bei den zwei Millionen Menschen nicht gewesen zu sein, die in den 48 Stunden nach Macrons Rede einen Termin vereinbarten. Das ist die eine Seite.
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Die andere Seite ist, dass die Einführung von Impf- und Nachweispflicht (geregelt durch den Gesundheitspass) die beträchtliche Wut freigesetzt hat, die sich in eineinhalb Jahren pandemischen Zusammenreissens angestaut hat. Das dritte Wochenende in Folge ist in Frankreich die Zahl derjenigen gewachsen, die gegen den Gesundheitspass auf die Strasse gehen. Unter den Protestierenden sind Rechtsextreme, Anhänger von Verschwörungsmythen und auch Gewaltbereite. Gleichzeitig lässt sich der aktuelle Unmut nicht auf diese Gruppe reduzieren. In Frankreich könnten die Proteste gegen den Gesundheitspass deutlich grösser werden als in anderen europäischen Ländern.
Wut in der Peripherie
Schaut man sich an, wo heute besonders stark demonstriert wird, dann decken sich diese Gebiete mit den Regionen, in denen die «gilets jaunes» besonders stark waren. Und mit den Regionen, in denen aktuell noch besonders wenige geimpft sind. Es ist das Frankreich der Peripherie, wo der Staat in erster Linie als Steuerlast wahrgenommen wird und die öffentliche Versorgung schwach ist. Es mangelt an Ärzten, an öffentlichem Nahverkehr, an ansprechbaren Behörden. Und noch mehr mangelt es an Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Die Impfung gilt hier vielen als Übergriff.
Der Gesundheitspass erhöht also nicht nur den Impfdruck, er leuchtet auch grell all die Risse aus, die sich durch Frankreichs Gesellschaft ziehen. Und aus denen Marine Le Pen und auch der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon ihre Stärke ziehen. Beide unterstützen die Anti-Pass-Proteste.
Da es den Anti-Pass-Mobilisierern nicht gelingt, sich von den vielen gefährlichen Wirrköpfen in ihren Reihen zu distanzieren, haben sie wenig Sympathien in der breiten Bevölkerung.
Für Macron sind diese Demos weniger bedrohlich als die Gelbwesten-Bewegung. Da es den Anti-Pass-Mobilisierern nicht gelingt, sich von den vielen gefährlichen Wirrköpfen in ihren Reihen zu distanzieren, haben sie wenig Sympathien in der breiten Bevölkerung. Macrons Wähler, die gehobene, urbane Mittelschicht, befürwortet den Pass, schliesslich ist in diesem Milieu die Impfquote am höchsten. Und ausserdem hat Macron zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie eine Massnahme beschlossen, die nicht nur auf einen medizinischen Notstand reagiert, sondern ihm präventiv vorbeugt. Dafür wird Macron von Wissenschaftlern gefeiert.
Doch die Frage ist, wie hoch der gesamtgesellschaftliche Preis dieses Protestsommers sein wird. Der Kampf um den Pass droht zu einer brutalen Vorrunde des Präsidentenwahlkampfs zu werden. Diese starke Politisierung einer Frage, die für die Gesundheit des Landes so wichtig ist, hätte Macron durch ein weniger rabiates Vorgehen vermeiden können.
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