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WM 2022: Der Iran schlägt Wales
Diesmal singen die Iraner – danach feiern sie ihren emotionalsten Sieg

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Da stehen sie und können es nicht glauben. Waliser wie Iraner, die einen konsterniert, die anderen ungläubig. Sie haben gerade eine ziemlich verrückte Nachspielzeit erlebt.

97 Minuten stand es 0:0, dann schiesst Rouzbeh Cheshmi, von weit weg, genau in die Ecke unten rechts des Tors. Ekstase, ein erstes Mal an diesem Mittag, die ganze Ersatzbank stürmt auf den Rasen. Das zweite Mal folgt sogleich, in der 101. Minute schiesst Ramin Rezaeian das 2:0 nach einem Konter. Wales mit Superstar Gareth Bale ist am Boden, der Iran im Himmel.

Der Sieg ist bemerkenswert, in vielerlei Hinsicht. Es ist nach einem Erfolg 1998 gegen die USA und einem 2018 gegen Marokko erst der dritte überhaupt in der WM-Geschichte des Landes. Und er lässt hoffen auf die erstmalige Qualifikation für die Achtelfinals. Gegner im letzten Gruppenspiel werden die USA sein, die gegen Wales nur 1:1 gespielt hatten.

Dann ist da noch die Dramaturgie des Spiels. Der Iran ist besser als Wales, er schiesst am Ende über 20-mal in Richtung gegnerisches Tor. In der 50. Minute trifft Sardar Azmoun den Pfosten, wenige Sekunden später tut es ihm Ali Golizadeh mit einem herrlichen Distanzschuss gleich. Die Iraner verzweifeln, sie scheinen vom Pech verfolgt zu sein.

Aber sie hören einfach nicht auf. Die Iraner rennen an, die Waliser sind überfordert. In der 84. Minute räumt Wales-Goalie Wayne Hennessey den iranischen Captain Mehdi Taremi mit einem Toni-Schumacher-Gedenk-Foul ab und sieht Rot. Die Iraner glauben wieder. Sie schiessen ihre zwei Tore. Sie lassen ihren Trainer hochleben, als wären sie Weltmeister. Dabei sind sie noch nicht einmal für die Achtelfinals qualifiziert.

Sie treffen sich auf dem Rasen, um zu jubeln: Bei den Iranern muss ganz viel raus.

Ihr grenzenloser Jubel aber zeigt: Hier ging es von Anfang an um mehr als um ein Fussballspiel.

Denn vor nur vier Tagen standen die Iraner schon einmal im Fokus. Das hatte aber nichts mit ihrer 2:6-Niederlage gegen England zu tun. Sie gaben ein bemerkenswertes Statement ab, als sie die Hymne ihres Landes nicht sangen. Sie solidarisierten sich mit einem grossen Teil ihrer Landsleute, die in den Strassen des Iran für Freiheit kämpfen. Für einige war das sogar noch ein zu wenig starkes Zeichen.

Sie singen mit geschlossenen Augen oder starren Blicken

Die Spannung war also schon vor dem Spiel gegen Wales da. Und als die Hymne im Stadion ertönte, dürften viele Regimekritiker enttäuscht worden sein. Die Spieler sangen diesmal mit, zögerlich zwar, gar nicht euphorisch, einige mit starren Blicken, andere mit geschlossenen Augen. Aber sie sangen. Die TV-Kameras fingen im Stadion Menschen mit iranischer Flagge ein, die weinten.

Eine Frau hielt ein Trikot hoch mit dem Namen Mahsa Amini. Die 22-Jährige wurde Mitte September verhaftet, weil sie den Hidschab nicht korrekt getragen hatte, und starb in Haft. Von der iranischen Polizei hiess es, Amini habe einen Herzinfarkt erlitten, viele aber vermuten hinter dem plötzlichen Tod Polizeigewalt. Auf Twitter kursieren Bilder, die zeigen, wie Offizielle der Frau das Amini-Trikot wegnehmen.

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Seit dem Tod Aminis tobt im Iran der Aufstand. Demonstrationen werden niedergeprügelt. Es gibt diverse Beispiele von Menschen, die sich den Protesten angeschlossen haben und nun im Gefängnis sitzen. Einigen droht die Todesstrafe. Auch das Verweigern der Hymne kann in der islamischen Republik schwerwiegende Konsequenzen haben. Dass die Spieler im ersten Spiel nicht sangen, bot also Raum für Spekulationen. Wurde ihnen oder ihren Familien gedroht? Sangen sie aus Angst? Aus Scham?

Im Interview mit dieser Zeitung sagte Historiker und Iran-Kenner Kijan Espahangizi nach dem England-Spiel: «Jetzt wird erst recht auf das Team eingewirkt, diese Geste zu unterlassen, und die Verantwortlichen werden alle ihnen zur Verfügung stehenden Druckmittel einsetzen. Und dass Mullahs dabei nicht zimperlich vorgehen, haben die letzten Wochen deutlich gezeigt. Dieses Regime praktiziert ja bereits den Massenmord an seiner eigenen Bevölkerung.»

Im Ahmad Bin Ali Stadium von Katar zeigt sich: Ein Sieg in einem Fussballspiel kann zumindest kurzfristig ganz viel wert sein.

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