Durchbruch bei ImpfstoffstudieDieses Ehepaar will die Welt vor Corona retten
Hinter der deutschen Impfstofffirma Biontech stehen Ugur Sahin und Özlem Türeci. Beide haben Wurzeln in der Türkei – und vergleichen sich mit Tesla.
Es ist ein klar erkennbares Licht am Ende des langen Tunnels, auch als Jahr 2020 bekannt: Die deutsche Firma Biontech und der US-Pharmariese Pfizer haben am Montagmittag für ihren Corona-Impfstoff einen Durchbruch vermeldet. Die Notzulassung ist in Arbeit, 50 Millionen Impfdosen stehen bis Ende Jahr bereit, 2021 werden 1,3 Milliarden dazukommen (lesen Sie hier, was die Erfolgsmeldung der Impfstoffhersteller bedeutet).
Die Nachricht platzt mitten in eine chaotische zweite Corona-Welle in Europa und ist mit das Verdienst von Ugur Sahin und Özlem Türeci. Das Ehepaar hat 2008 in Mainz die Firma Biontech gegründet, und sie sind bis heute die Köpfe hinter dem Biotechnologiekonzern. Die Forscher haben geschafft, wovon viele nur träumen, und sie stehen exemplarisch für eine wachsende Gruppe in Deutschland – Selbstständige mit Migrationshintergrund. Eine deutsche Studie zeigte im Oktober, dass sich deren Zahl seit 2005 um ein Drittel erhöht hat, auf 800’000. In ihren Firmen gibt es 2,3 Millionen Arbeitsplätze. Dabei sind das zum grössten Teil nicht mehr Kebabimbisse oder Lebensmittelläden, sondern Baufirmen, Dienstleistungsbetriebe oder eben Innovationstreiber wie Biontech. Über 1300 Mitarbeitende beschäftigen CEO Ugur Sahin und CMO Özlem Türeci.
CMO steht für Chief Medical Officer, Türeci ist quasi die oberste Ärztin der Firma. Ihre Familie stammt aus Istanbul, sie wurde 1967 in Lastrup im Norden Deutschlands geboren, wo ihr Vater als Arzt und Chirurg in einem Spital arbeitete. CEO Ugur Sahin wurde 1965 in Iskenderun in der Türkei geboren. Er kam als Vierjähriger mit seiner Mutter nach Deutschland, wo der Vater in einer Autofabrik arbeitete. Sahin studierte in Köln Medizin und wurde mit einer Arbeit über Immuntherapie bei Tumorzellen promoviert. Seine Arbeit führte ihn danach an die Universitätsklinik Homburg im Saarland, wo er Özlem Türeci kennen lernte, die dort Medizin studierte. Die beiden wechselten 2000 an die Uni Mainz. Sahin leitet dort eine onkologische Forschungsgruppe, Türeci ist Privatdozentin.
Zwei Firmen mit Zwillingen gegründet
Biontech gründete das Ehepaar 2008 zusammen mit Christoph Huber. Auch Huber ist bis heute mit dabei, er sitzt im Aufsichtsrat. Das Geld für die Gründung kam massgeblich von den Zwillingen Andreas und Thomas Strüngmann, 250 Millionen Euro flossen. Das Ehepaar und die Investoren kannten sich schon von der Firma Ganymed, die Antikörper gegen Krebs entwickelt. Auch die haben Sahin und Türeci gegründet, auch in Ganymed steckte das Geld der Zwillinge. Die Strüngmanns kamen mit ihrer eigenen Firma Hexal zu Geld, 2005 haben sie den Generikahersteller für 5,6 Milliarden Euro an Novartis verkauft.
Biontech macht seit dem Frühjahr Furore, als das Unternehmen in Deutschland die erste Zulassung für klinische Tests mit Impfstoffkandidaten erhielt. Sahin habe schon im Januar in der britischen Fachzeitschrift «Lancet» zum ersten Mal über das unbekannte Virus und den Ausbruch in der chinesischen Stadt Wuhan gelesen. Und er antizipierte, was damals noch niemand in Europa wahrhaben wollte: «Im April sind bei uns die Schulen dicht», sagte Sahin damals gemäss dem «Manager-Magazin» zu seiner Frau. Nur in der Geschwindigkeit hatte er sich getäuscht, es ging alles schneller.
Aktie klettert von 30 auf 105 Dollar
Der Aktienkurs des Unternehmens zeigt den erfolgreichen Aufstieg, den Biontech mit der Corona-Impfung hingelegt hat. Im Februar waren die Wertpapiere an der US-Technologiebörse Nasdaq noch rund 30 Dollar wert, seit März geht es steil nach oben. Am letzten Freitag schlossen sie bei 92 Dollar, am Montag schossen sie auf 105 Dollar hoch. Sahin wurde damit zum Multimilliardär, er besitzt 19 Prozent der Aktien und gehört nun zu den 100 reichsten Deutschen.
Das Ehepaar Sahin und Türeci plagten aber schon zuvor keine Geldsorgen. Bereits 2016 trennten sie sich von ihrer Beteiligung an Ganymed. Die japanische Firma Astellas zahlte für die ganze Firma gut 422 Millionen Euro mit der Aussicht auf mehr, falls Wirkstoffe Erfolg hätten. Die Adresse der Firma in Mainz passt somit heute mehr denn je zu Biontech: An der Goldgrube 12.
Gemäss einem Interview mit Investor Thomas Strüngmann ist das Geld für die Forscher aber nur eine Nebenerscheinung, wichtiger ist der wissenschaftliche Erfolg. «Sahin hat nie die Monetarisierung in den Vordergrund gestellt», sagte Thomas Strüngmann vergangenes Jahr im «Handelsblatt». «Sein Traum deckt sich mit dem unsrigen, etwas Nachhaltiges, Bleibendes aufzubauen und grundlegend neue, bessere Therapien zu entwickeln.» Strüngmann sieht Sahin und Türeci als «Ausnahmeerscheinungen».
Letztes Jahr erhielt Sahin den deutschen Krebspreis. In einem Interview sagte er, dass es das Ziel von Biontech sei, «individualisierte, auf den Krebs jedes einzelnen Patienten massgeschneiderte Therapien zu entwickeln». Dazu müsse man die ganze Innovationskette samt der Produktion grosser Stückzahlen auf die Beine stellen. «Sie können uns mit Tesla vergleichen», sagte Sahin. Nur dass bei Biontech der Grad der Individualisierung viel höher sei.
Mit Lichtgeschwindigkeit voraus
Biontech entwickelte bisher unter anderem auf Basis der Boten-Ribonukleinsäure Impfstoffe gegen Krebs. Auf der gleichen Technologie baut nun der Impfstoff gegen das Virus auf. Es ist eine Technologie, die auch von Moderna und Curevac genutzt wird. Moderna arbeitet dafür mit Lonza zusammen.
Das Corona-Programm von Biontech heisst «Lightspeed», also Lichtgeschwindigkeit. Praktisch so schnell hat die Firma auch umgestellt, von Krebsforschung zum Impfstoffpionier. 400 der 1300 Mitarbeitenden sind nur noch mit Corona beschäftigt. Nach Angaben des Verbandes forschender Pharmaunternehmen sind seit Jahresanfang weltweit «mindestens 96 Impfstoffprojekte» angelaufen. Biontech ist allen anderen aber derzeit eine Nasenlänge voraus.
Nun liegt es an den Behörden in den USA und Europa, eine Notzulassung zu erteilen, wenn alle Unterlagen geprüft sind. «Wenn die Genehmigung stattfindet, ist die nächste Frage: Können wir prinzipiell Impfstoff liefern?», sagte Sahin Ende Oktober in Zeitungsinterviews. «Wir haben schon angefangen, Impfstoff zu produzieren. Der lagert bei uns, ist in den Qualitätskontrollen und noch nicht freigegeben.» Diese Freigabe würde nur dann erfolgen, wenn eine Genehmigung vorliege. «Diese Schritte können prinzipiell noch dieses Jahr erfolgen.»
Für Biontech ist das ein grosser Erfolg im harten Geschäft der Biotechnologie. Die Firmen brauchen viel Zeit und viel Geld, bis die Forschung in Produkte mündet, die dann einen langen Zulassungsprozess durchlaufen. Die Ausfallraten sind hoch. Jetzt in der Corona-Pandemie sind Firmen wie Biontech die Hoffnung auf Immunität und auf Heilung. Es hat lange gedauert, bis sie es in die Schlagzeilen schafften.
Auch Chinesen und Bill Gates sind beteiligt
Biontech hat bislang kein einziges Medikament auf dem Markt, aber zehn Produktkandidaten in klinischen Studien. Die Impfstoffkandidaten gegen Sars-CoV-2 sind da nicht mit eingerechnet. Im Geschäftsjahr 2019 setzte Biontech rund 109 Millionen Euro um. Die Verluste summierten sich auf fast 180 Millionen Euro.
Im März stieg der chinesische Pharmakonzern Fosun mit weniger als einem Prozent bei Biontech ein. So konnten klinische Studien für den Corona-Impfstoff in China gemacht werden. Im Erfolgsfall darf Fosun den Impfstoff exklusiv in China vertreiben. Bis zu 135 Millionen Dollar haben die Chinesen dafür gezahlt. Den Rest der Welt erschliesst Biontech mit dem US-Konzern Pfizer, der sich ebenfalls beteiligt und Biontech zunächst 185 Millionen Dollar zahlte, im Erfolgsfall fliessen bis zu 563 Millionen Dollar mehr.
Zu den Investoren von Biontech zählt zudem die Stiftung von Bill und Melinda Gates. Seit Ende Juni gehört auch der staatliche Fonds Temasek aus Singapur zu den Gesellschaftern. Er investierte gemeinsam mit anderen insgesamt 250 Millionen Dollar.
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