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Im Industriegebiet Rümlang
Dieser Vogel brütet zum ersten Mal seit 400 Jahren in der Schweiz

Der Rümlanger Waldrapp auf einem Feld in der Nähe seiner Brutstelle.
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Voller Begeisterung erzählt Arnold Huber, Hobbyornithologe aus dem Unterland, von seiner Begegnung mit dem Waldrapp: «Ich hatte sehr Freude, so etwas Spezielles zu sehen.» Für ihn sei es von grosser Bedeutung, dass der Zugvogel erstmals seit 400 Jahren wieder in der Schweiz in der freien Wildbahn brüte. Seit Ende April ist dies nämlich der Fall – auf einem Fenstersims der Harley-Davidson-Garage im Industriegebiet Rümlang, wie Tele Top zuerst berichtete. 

Es sei ein Ziel seiner Organisation, dass in der Schweiz Waldrapp-Kolonien entstünden, erzählt der Biologe Johannes Fritz. Der Österreicher ist der Gründer des Fördervereins Waldrappteam und Leiter des Life-Projekts, das sich die Etablierung einer selbst erhaltenden Waldrapp-Population in Europa auf die Fahne geschrieben hat. «Die beiden Vögel haben unseren Plan, in der Schweiz Tiere auszuwildern, etwas vorweggenommen.»

Von Italien über Deutschland in die Schweiz

Die beiden Zugvögel entstammen einer Kolonie von Waldrappen in Überlingen, auf der deutschen Seite des Bodensees. Obwohl die Art sich eigentlich gerne zu grossen Kolonien von mehreren Dutzend bis zu über hundert Exemplaren zusammenschliesse, sei es nicht unüblich, dass ein einzelnes Paar allein ausfliege, erklärt Fritz. «Für die Waldrappe besteht die Notwendigkeit, neue Kolonien zu gründen und geeignete Orte dafür zu suchen», erklärt Fritz. «Wir sehen den Ausbruch dieser beiden Exemplare in diesem Kontext.» Die beiden Vögel seien wohl nach der Rückkehr aus dem Überwinterungsgebiet in der Toskana wieder losgezogen und hätten sich für Rümlang als optimalen Brutort entschieden. 

Dieses Verhalten habe das Waldrappteam nämlich auch schon in anderen Fällen in Italien und Spanien beobachtet. Wie in diesen Beispielen handelt es sich auch in Rümlang um Jungvögel, die das erste Mal brüten. Das Fehlen von älteren Artgenossen, die eine Vorbildfunktion übernehmen könnten, sei für ihre Überlebenschancen nicht optimal. Trotzdem seien diese an und für sich recht gut, schätzt Fritz ein.

Migration dank menschlicher Hilfe

Nachdem die Küken geschlüpft sind, was in den nächsten Tagen passieren soll, müssen diese 40 Tage im Nest überleben, bevor sie flügge werden. Die nächste Prüfung steht dann an, sobald im Herbst die Artgenossen den Weg Richtung Süden antreten. Diesen zu finden, sei nämlich gerade für junge Tiere anspruchsvoll. Die Tiere aus Kolonien, die von Hand aufgezogen wurden, mussten auch schon mithilfe eines Leichtflugzeugs zu ihrem Winterquartier geleitet werden. 

«Bei einer Rückkehr gibt es die Überlegung, die Waldrappe an einen geeigneteren Ort zu transferieren.»

Johannes Fritz

Sollte das Paar samt Nachwuchs aber im nächsten Frühling noch am Leben sein, rechnet Biologe Fritz damit, dass die Tiere erneut nach Rümlang zurückkehren. «Sollte dieser Fall eintreten, überlegen wir uns, das Brutpaar an einen anderen Ort zu transferieren», so Fritz. Das Gebäude der Harley-Davidson-Garage sei nämlich nicht wirklich geeignet als dauerhafter Brutort für eine wachsende Kolonie.  

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Das schwarz-grün schillernde Gefieder und der kahle rote Kopf sind charakteristisch für den Waldrapp.
Das Waldrapp-Paar brütet auf dem Fenstersims einer Motorradgarage.
Das schwarz-grün schillernde Gefieder und der kahle rote Kopf sind charakteristisch für den Waldrapp.

Die Schweiz steht im Fokus des Waldrappteams, weil der Vogel hier optimale Bedingungen antrifft. Das hat eine Habitatsanalyse des gesamten nordeuropäischen Raums ergeben. Denn die Vögel ernähren sich von Larven und Würmern, die in Wiesen beheimatet sind. Da der schweizerische Alpenvorraum über grosszügige Kulturlandflächen verfügt, bietet er diese Nahrungsgrundlagen in Massen an. 

Wegen Jagd ausgestorben

Weil er früher von den Menschen gegessen wurde, galt der Waldrapp in der Schweiz und im Rest von Mitteleuropa als ausgestorben. Im Jahr 1551 beschrieb der Zürcher Stadtarzt Conrad Gessner in seinem Werk «Historia animalium» das Fleisch des Zugvogels als «feinschmeckend zart». So war der Waldrapp in Europa lange unter dem Namen Schopfibis als Delikatesse sehr gefragt, aber auch unter Sammlern ein beliebtes Tier zum Ausstopfen, was zum weitestgehenden Aussterben der Art führte. 

Heute existiert in der freien Wildbahn einzig eine sesshafte Population des Waldrapps an der Atlantikküste Marokkos. Dies entspricht jedoch nicht seiner ursprünglichen Lebensweise als Zugvogel, weshalb das Projekt Life in Überlingen und an drei anderen Standorten in Deutschland und Österreich Kolonien in Handaufzucht gegründet hat. 

Kolonie in der Innerschweiz

Für das Jahr 2024 ist geplant, in der Nähe des Tierparks Goldau im Kanton Schwyz die erste migrierende Kolonie der Schweiz zu gründen. Dafür sollen mehr als hundert Jungvögel aus verschiedenen Schweizer Zoos ausgewildert werden und mit diesen vier von Menschen geleitete Migrationen in das Winterquartier in der Toskana durchgeführt werden, sodass sie eine neue Zugroute über die Alpen begründen können. Vielleicht ist die Kolonie Goldau dann bereits die zweite in der Schweiz – nach derjenigen in Rümlang.