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WM-Glotzblog
Diese iranischen Erschütterungen

Ein iranischer Spieler küsst den am Boden liegenden Torhüter Alireza Beiranvand auf die Stirn. 
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Nach acht Minuten ging im Spiel England - Iran gar nichts mehr. Der iranische Torhüter Alireza Beiranvand war in einen eigenen Verteidiger gekracht und lag mit blutiger Nase auf dem Boden. Obschon er groggy wirkte und es schwer danach aussah, dass er besser ausgewechselt werden sollte, entschieden die Teamärzte, dass Beiranvand weiterspielen kann.

Das tat er ein paar Minuten lang, bevor er sich endgültig auf den Rasen legte. Er wurde mit Verdacht auf eine schwere Gehirnerschütterung sowie einen Nasenbeinbruch ins Krankenhaus gebracht, wie der iranische Trainer nach dem Spiel bekannt gab.

Es war erst das zweite WM-Spiel in Katar, und schon konnte die Fifa zeigen, dass sie auch in Sachen Spielerschutz einen äusserst schlechten Eindruck macht. Vor dem Start hatte Andrew Massey, neuer Leiter der medizinischen Abteilung der Fifa, noch unterstrichen, dass Gehirnerschütterungen im Hinblick auf die Gesundheit der Spieler eine «Priorität» darstellen würden.

Während der WM präsentieren wir den «Glotzblog» – denn Sportgrossanlässe sind immer auch Fernsehgrossanlässe. Meinungen, Ratings, Quiz: Schalten Sie sich zu, wenn wir das Geschehen vom Fernsehsessel aus verfolgen.

Dazu hat die Organisation ein 21-seitiges Dokument mit dem Titel «Fifa Medical Protocol for Concussions. Suspect and Protect» hochgeladen. Es gibt den Teamärzten Ratschläge, wie sie bei einem Verdacht auf Gehirnerschütterung vorgehen sollen, und ermutigt sie dazu, bei Verletzungsanzeichen den Spieler vom Feld zu nehmen. Die Teams werden dazu von der Fifa mit Tablets ausgestattet, die es ihnen erlauben, rasch eine Szene in der Wiederholung zu sehen. Unterstützt werden die Ärzte zusätzlich von medizinisch geschulten «concussion spotters» auf den Rängen.

Diese scheinen im Fall von Alireza Beiranvand nicht allzu viel gemacht zu haben. Am Ende haben die iranischen Teamärzte Alireza Beiranvand weiterspielen lassen und ihm dafür ein bisschen Wasser ins Gesicht gespritzt. Dennoch fragen sich nun alle, wozu es dieses Gehirnerschütterungs-Protokoll eigentlich braucht, wenn es gar nicht befolgt wird.

Dafür kam an der WM erstmals die Regel zur Anwendung, dass eine Mannschaft einen Spieler, der wegen Verdachts auf Gehirnerschütterung vom Platz geht, nicht vom Auswechselkontingent abziehen muss. Das ist freilich ein schwacher Trost für die Iraner, denen das Regime nun harsche Konsequenzen androht, nachdem sie vor dem Spiel die Hymne nicht mitgesungen haben. Voraussichtlich werden sie ohne ihren Nationaltorhüter weiterspielen. 

So beginnt die WM der extremsten Widersprüche: Da soll der schöne Fussball die politischen Erschütterungen und dreckigen Realitäten überstrahlen. Aber der Sport ist bislang nur dann wichtig, wenn die Fifa allen Spielern eine Gelbe Karte androht, die es wagen, die «One Love»-Binde zu tragen. Ansonsten beherrschen die politischen Tumulte den Platz. Die Iraner haben 2:6 gegen England verloren, aber sie haben dafür sonst alles aufs Spiel gesetzt, was sie haben.