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Archäologie entdecken
Die Wikinger waren gar nicht so blond und blauäugig

Künstlerische Darstellung von Wikingern die zeigt, dass auch südeuropäische Gene Eingang in das skandinavische Volk gefunden haben.
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Ein Zufallsfund bei Bauarbeiten an einem estnischen Strand nahe Salme entpuppte sich im Jahr 2008 als Glücksfall für die Wissenschaft: Zwei Schiffe steckten dort im Sand und bargen die Skelette von mehr als 40 Männern. Begraben wurden sie um das Jahr 750 mitsamt Speeren, Äxten, Messern, Schilden und Schwertern. Es waren Kriegsschiffe, in denen die Männer die Küste erreicht hatten. Schnell, wendig und leicht. Gebaut für Raubzüge, für die Wikinger bis heute berüchtigt sind. Dieser eine Überfall muss jedoch gescheitert sein.

Neue DNA-Analysen haben nun weitere Details des missglückten Angriffs offenbart: Alle Männer, die Schulter an Schulter in dem Bauch der Grabschiffe lagen, kamen vermutlich aus demselben Ort, vier von ihnen waren sogar Brüder.

Den typischen Wikinger gab es nie

Die gross angelegte Genstudie, die im Wissenschaftsmagazin «Nature» erschienen ist und an der ein internationales Forscherteam sechs Jahre lang gearbeitet hat, lässt Rückschlüsse auf Routen und Herkunft der Seekrieger zu. Und sie kommt neben dem Schluss, dass Mannschaften sich oft aus Männern einer Region zusammensetzten, zu verblüffenden Ergebnissen. Demnach waren Wikinger alles andere als ein homogenes Volk blonder, blauäugiger Hünen, denn nicht alle von ihnen waren Skandinavier. Den typischen Wikinger habe es überhaupt nicht gegeben.

Die Erbsubstanz dieses welblichen Skeletts aus einer Grabstätte in Varnhem, Schweden, wurde im Rahmen der Studie unersucht.

«Unsere Forschung entlarvt das moderne Bild von Wikingern, da viele braune Haare hatten und durch genetischen Zustrom von Regionen ausserhalb Skandinaviens beeinflusst wurden», sagt Eske Willerslev, der das Projekt an den Universitäten in Kopenhagen und Cambridge geleitet hat. Die buchstäbliche Knochenarbeit der Forscher bestand darin, DNA aus den Gebeinen von Menschen zu gewinnen, die etwa zwischen 750 und 1050 unserer Zeitrechnung als Wikinger bestattet worden sind.

Dabei ist es dem Team gelungen, 442 Genome von Frauen, Männern, Kindern und Babys mit Wikinger-Bezug zu sequenzieren, deren Gräber sich in einem Gebiet befinden, das von Grönland bis nach Russland und Italien reicht. Die Resultate glichen sie mit dem Erbgut von 922 Menschen aus der Vergangenheit und 3855 aus der Gegenwart ab. Ihre Ergebnisse legen dabei nahe, dass der Begriff Wikinger eher als Berufsbezeichnung und kulturelle Identität verstanden werden muss, denn als genetisch einheitliche Ethnie. «Viele Wikinger haben ein hohes Mass an nicht-skandinavischer Abstammung, was auf einen anhaltenden Genfluss in ganz Europa hindeutet», sagt Martin Sikora, Hauptautor der Studie und ausserordentlicher Professor am Zentrum für Geogenetik der Universität Kopenhagen.

Genetische Einflüsse aus Südeuropa und Asien

Ein Beispiel für Wikinger ohne skandinavisches Erbgut fand das Team auf den Orkney-Inseln: Die beiden dort bestatteten Männer ähneln genetisch heutigen Iren und Schotten, wurden jedoch nach Wikinger-Brauch mit ihren Schwertern und anderen Grabzugaben beigesetzt.

Knochen und Zähne aus weiteren Gräbern belegen genetische Einflüsse von Südeuropa bis nach Asien und verfestigen das uneinheitliche Bild der Seekrieger. So wurden in Norwegen mehrere Menschen als Wikinger begraben, deren Gene sie jedoch als Samen identifizieren. Ein Volk, das genetisch Ostasiaten und Sibiriern näher ist als Europäern.

Ein Massengrab mit rund 50 geköpften Vikingern von einer Fundstätte in Dorset, Südwest-England.

Mit ihren Ergebnissen beendet das Forscherteam zudem eine seit Jahrzehnten geführte Debatte darüber, ob die Routen der Wikinger-Raubzüge durch Meeresströmungen, Wellen und den schlichten Zufall bestimmt waren oder ob die Krieger ihre Destinationen gezielt ansteuerten. Erstmals lässt sich nun anhand der gewonnenen DNA die Herkunft von Menschen zurückverfolgen, die als Wikinger lebten und oft fern ihres Geburtsorts starben. Die Analysen zeigen, dass Wikinger, die aus dem Gebiet des heutigen Schweden kamen, mehrheitlich entlang von Flüssen gen Osten ins Baltikum bis nach Russland und in die Ukraine zogen.

Briten mit Wikinger-DNA

Expeditionen mit Ausgangspunkt an den Küsten des heutigen Dänemark brachen eher nach Westen auf und überfielen Gegenden im heutigen England. Wikinger aus dem Gebiet des heutigen Norwegen setzten ihre Segel auf dem Nordatlantik meist mit Kurs auf die heutigen Staaten Irland, Island und Grönland.

«Die Wikingerzeit veränderte die politische, kulturelle und demografische Landkarte Europas auf eine Weise, die bis heute in Orts- und Nachnamen sowie in der modernen Genetik erkennbar ist», schreibt das Team in einer gemeinsamen Mitteilung. Das genetische Erbe der Wikingerzeit lebe in Europa weiter fort: Sechs Prozent der britischen Bevölkerung haben den Forschern zufolge noch heute Wikinger-DNA in ihren Genen, in Schweden sind es sogar rund zehn Prozent.