Elisabeth Baume-Schneider im PorträtDie Unterschätzte ist ganz oben angekommen
Die Sozialarbeiterin wurde oft belächelt und bekam doch stets, was sie wollte – nun sogar einen Deutschschweizer Bundesratssitz. Wie macht sie das?
Zuerst wählte man Bundesrat Rösti, dann eine Bundesrätin, die den Röstigraben vergessen machen soll. Die Bundesversammlung vergab einen traditionell deutschschweizerischen Sitz in der Landesregierung an Elisabeth Baume-Schneider.
«Sie kann den Röstigraben verkleinern.» Mit diesem Argument hatte die jurassische Regierung ihr ehemaliges Mitglied empfohlen. Aufgrund ihrer familiären und politischen Biografie hat Baume-Schneider das Zeug dazu. Die Familie der SP-Vizepräsidentin stammt aus dem Berner Seeland, sie wuchs im Jura auf, daheim sprach man Schweizerdeutsch.
Sie nennt sich eine «Brückenbauerin»
Baume-Schneider, kurz EBS, bezeichnete sich selbst in drei Wochen Bundesratswahlkampf immer wieder als «Brückenbauerin». Das taten schon viele vor ihr. Aber nur die wenigsten können auf eine bilingue Herkunft verweisen. Und noch weniger auf dazu passende politische Meisterleistungen.
EBS hingegen schaffte es als Regierungsrätin, im latent Deutschschweiz-skeptischen Jura eine zweisprachige Matur einzuführen. Zudem verhandelte sie erfolgreich mit der Berner Regierung über den kürzlich erfolgten Wechsel Moutiers in den jüngsten Kanton.
«Ich dachte, es sei nicht möglich.»
Dabei hätte EBS, wäre es nach den Bürgerlichen gegangen, gar nie in die jurassische Exekutive einziehen sollen. Als sie vor zwanzig Jahren kandidierte, kam es zu einer im Jura legendären TV-Debatte. «Madame», belehrte sie der Christdemokrat Jean-François Roth, damals der starke Mann in der Regierung, «Sie sind wie ein Militärvelo.» Dann fügte er hinzu: «Und mit einem Militärvelo gewinnt man Paris–Roubaix einfach nicht.» EBS wurde gewählt. Und sie hat seither keine Wahl verloren.
Doch auch nun, im Rennen um das prestigeträchtigste Amt der Schweiz, wirkte es, als sei sie mit dem Militärvelo unterwegs gegen Gegnerinnen im Rennsattel. Sogar sie selber glaubte nicht so richtig an einen Sieg. «Ich dachte, es sei nicht möglich», gab EBS am Mittwochnachmittag zu.
Aber sie hat wieder gewonnen, diesmal sensationell. Das Handicap, dass sie für viele aus der falschen Sprachregion kommt, hatte sie wettgemacht. Auch nicht zum Verhängnis wurde ihr ihre frühe Revoluzzer-Phase und ebenso wenig ihre noch heute zum Teil pointiert linken Positionen. Und das in der von Mitte-rechts beherrschten Bundesversammlung.
Nun ist die oft unterschätzte und oft fröhliche Sozialarbeiterin aus den Freibergen das erste Bundesratsmitglied des Kantons Jura. Damit ist ein Marsch durch die Institutionen beendet, der nach einer politischen Frühphase bei der Sozialistischen Arbeiterpartei, die zuvor Revolutionäre Marxistische Liga (RML) hiess, mit einem Beitritt zur SP begann. Von 1995 bis 2002 sass Baume-Schneider für die Sozialdemokratie im jurassischen Parlament. Dort fiel sie als Präsidentin auf, die zwischen Ratsdebatten ihr zweites Kind stillte. Vor über zwei Jahrzehnten galt das noch als etwas Besonderes. Dann amtete Baume-Schneider zwölf Jahre als kantonale Bildungs- und Kulturministerin und zuletzt vier Jahre als Ständerätin. In der kleinen Kammer präsidierte sie die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie. Dazwischen leitete sie als Direktorin vier Jahre lang die Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne.
Jüngst ist Baume-Schneider immer wieder auf ihre marxistische Vergangenheit angesprochen worden – auch an ihrer ersten Medienkonferenz nach der Wahl, worauf sie sagte: «Wenn man jung ist und studiert, hat man Utopien, und das ist sehr, sehr nützlich. Das Schlechteste ist, wenn man gleichgültig ist. Wenn man Utopien hat, macht man nachher vielleicht Politik. Ich ging in La Chaux-de-Fonds in die Handelsschule, das ist eine Arbeiterstadt. Ich war bei Amnesty International aktiv. Ich war bei der RML. Es war die Epoche von Solidarnosc. Ich habe keine Probleme damit. Ich bin aber auch keine Züchterin von Schwarznasenschafen. Ich habe Schwarznasen. Aber ich bin vor allem anderen eine Politikerin.»
Mit ihren Schafen, die in ihrer Kleingemeinde Les Breuleux auf 1100 Meter über Meer weiden, hatte die Bauerntochter in den Hearings Landwirtschaftsvertreter und danach Medien gleichermassen verzückt. Alle strichen ihre ländliche Herkunft stärker hervor, als sie sich in ihrer politischen Karriere niedergeschlagen hatte.
Sie ist «eher europhil» und «charmant»
Fragen zu ihren politischen Prioritäten wich sie in ihrer ersten Medienkonferenz als Bundesrätin aus. Einzig auf die Europafrage antwortete sie, dass sie «eher europhil» sei. Ihre Partei kommunizierte kurz nach der Wahl ihre Erwartungen: Die neue Bundesrätin, schrieb die SP, solle «für die Bevölkerung Partei ergreifen und auch in ihrer neuen Funktion den Klimaschutz voranbringen, in der Gleichstellungspolitik Pflöcke einschlagen und die Kaufkraft der Menschen stärken».
Baume-Schneider selbst liess die Bundesversammlung in ihrer Antrittsrede wissen, sie sei zwar «charmant», aber sie könne «auch ernst arbeiten». Im Jura zweifelt kaum jemand daran, dass sie auch durchsetzungsfähig ist und temperamentvoll. Darauf von «24 heures» und der «Tribune de Genève» angesprochen, sagte die Frau, die an Heiligabend 59 Jahre wird: «Wenn man altert, verliert man seine Fähigkeit zur Revolte nicht.» Ob EBS mit dem Militärvelo auch im Bundesrat auf der Überholspur ist?
Fehler gefunden?Jetzt melden.