Corona-Massnahmen in der WaadtDie «Superspreaderin» reagiert
Die Waadt ist erneut der Corona-Hotspot der Schweiz. Jetzt schliesst der Kanton seine Nachtclubs und Diskotheken.
Der Kanton Waadt erlebt ein böses Déjà-vu. Im Frühling wies kein Kanton eine höhere Corona-Infektions- und Sterberate auf als der Kanton Waadt. Seit Tagen steigen die Infektionen wieder sprunghaft an. Innerhalb der letzten 14 Tage wurden pro Tag und 100’000 Einwohner 203 Fälle gemeldet. Das macht die Waadt zur «Superspreaderin» der Schweiz. Die Anzahl hospitalisierter Covid-Patienten ist innert weniger Tage von unter 20 auf über 30 gestiegen. Das Universitätsspital Lausanne bereitet sich bereits auf eine zweite Welle vor.
Warum man in dieser «finsteren Statistik» immer an der Spitze stehe, erkundigte sich ein Journalist am Dienstag an einer Medienkonferenz der Regierung. Man sei halt ein grosser Kanton, antwortete Regierungspräsidentin Nuria Gorrite (SP). Tatsächlich beheimatet die Waadt 9 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Doch der Kanton verantwortet eben auch schweizweit ein Drittel aller Corona-Fälle. Die Bevölkerungszahl an sich dürfte nicht alleiniger Grund für die wiederkehrende Misere sein. (Hier geht es zum Kommentar: Ein Kanton wird zur Gefahr für die Schweiz)
Familienfest als Problemzone
Nach einem angenehmen Sommer mit vielen Freiheiten hält die Kantonsregierung die Schmerzgrenze bei den Corona-Fallzahlen nun für erreicht. Zwei Problemzonen hat sie identifiziert: das Nachtleben und Familienfeste. Bei beiden fliesse reichlich Alkohol, und man komme sich (zu) nahe.
Ab Donnerstagnachmittag müssen in der Waadt sämtliche Nachtclubs und Diskotheken schliessen. Bordelle blieben hingegen geöffnet, betonte Volkswirtschaftsdirektor Philippe Leuba (FDP). Gastronomiebetriebe dürfen neu nur noch Sitzplätze anbieten. Man muss diese Lokalitäten mit Masken betreten, die erst am Tisch ausgezogen werden dürfen und die wieder anziehen muss, wer auf die Toilette geht. Die vor den Sommerferien beschlossene Maskenpflicht in Einkaufsläden bleibt bestehen. Neu dürfen zudem an Familienfesten wie Taufen, Geburtstagen und Hochzeiten noch maximal 100 Personen anwesend sein.
An der Durchführung von Grossanlässen wie Fussball- und Eishockeyspielen ab dem 1. Oktober ändert dies alles nichts. Den Grundsatzentscheid des Bundes könne man nicht widerrufen, aber Veranstaltern wenn nötig Bewilligungen entziehen, betonte Staatsrätin Béatrice Métraux (Grüne). Die am Dienstag präsentierten Massnahmen gelten vorerst bis Ende Oktober.
Mit der Verschärfung der Corona-Massnahmen hat die Waadt lange zugewartet. Ging es zu lange, zumal der Nachbarkanton Genf sein Nachtleben bereits Ende Juli schloss? «Nein», sagt Nuria Gorrite. Ende Juli habe die Waadt in der 14-Tage-Bilanz 20 Neuinfektionen gehabt, Genf aber 60, so Gorrite. Doch heute weist die Waadt 203 Neuinfektionen auf und Genf 124.
«Versucht man, so viele Infizierte wie möglich zu finden, ist der Aufwand gemessen am Resultat nicht mehr rentabel.»
Dass Deutschland die Kantone Genf und Waadt auf die Quarantäneliste gesetzt hat, hat die Waadtländer Regierung unter Druck gesetzt. Stehe man auf roten Listen, schade das der Wirtschaft enorm, stellte Volkswirtschaftsdirektor Philippe Leuba (FDP) fest. Das behindere die international vernetzten Konzerne, Sportverbände und Exportunternehmen massiv.
Liegt es allenfalls an Problemen beim Contact-Tracing, dass die Waadt zum Risikogebiet geworden ist? Ist das Tracing bei durchschnittlich 100 bis 200 Neuinfektionen pro Tag überhaupt noch möglich? Das Contact-Tracing sei nicht das Problem, diagnostizierte Kantonsarzt Karim Boubaker. Man baue die Tracing-Kapazitäten derzeit von 50 auf 100 Personen aus, betonte Gesundheitsdirektorin Rebecca Ruiz (SP). Doch klar ist: Anders als in den allermeisten Kantonen arbeiten sich Waadtländer Tracer an Infektionsketten entlang nur bis zum ersten Kreis möglicher Infizierter vor. Das sind in der Regel Partnerinnen und Partner, die ständig mit dem Infizierten in Kontakt standen, direkte körperliche Kontakte pflegten und allenfalls aus demselben Glas tranken. Für Freunde, mit denen ein Infizierter 48 Stunden vor dem positiven Corona-Test rund um einen Tisch sitzend ein Bier trank und diskutierte, interessieren sich die Tracer kaum. Versuche man, so viele Infizierte wie möglich zu finden, sei «der Aufwand gemessen am Resultat nicht mehr rentabel», so der Kantonsarzt. Auch darum habe man den Quarantänezwang gelockert. Daran dürfte sich nichts ändern. «Unser Ziel ist nicht, ein möglichst grosses Tracing-Büro und Zehntausende Leute in Quarantäne zu haben», stellte Regierungspräsidentin Gorrite klar.
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