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Meinung

Kommentar zur Corona-Bewältigung
Die Schweiz muss sich an den Besten messen

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In welchem Land hätten Sie in den letzten zwei Jahren in Europa lieber leben wollen als in der Schweiz? Bundesrat Alain Berset stellt diese rhetorisch gemeinte Frage öfter. Die Antwort könnte lauten: Dänemark. Die Dänen hatten ähnliche Voraussetzungen wie wir und bewältigten die Pandemie trotzdem deutlich besser, wie unser grosser Vergleich zeigt. Auch die Finninnen und Norweger kamen sehr gut durch die Krise: Kaum Übersterblichkeit, wenig Schäden an Volksgesundheit und Wirtschaft und doch ähnlich viele Freiheiten wie in der Schweiz.

Der Berner Epidemiologie Christian Althaus sagte kürzlich in einem Interview mit dieser Redaktion: «Die Schweiz hatte sehr gute Voraussetzungen, um eine Pandemie zu bewältigen. Wir haben eine starke Wirtschaft, eine international vernetzte Wissenschaft und ein exzellentes Gesundheitssystem. Unser Anspruch sollte nicht das Mittelfeld sein, wir sollten in Europa als positives Beispiel vorangehen.»

Wer die Vergangenheit allerdings nicht kritisch aufarbeiten will, wird auch nichts für die Zukunft lernen.

Doch die Schweiz scheint sich mit einer mässigen Corona-Performance zufriedenzugeben. Das Land zeigte bisher wenig Interesse daran, sich technologisch und gesundheitspolitisch an den besten Virenbekämpfern zu orientieren. Der Tenor ist vielmehr, wir hätten es gar nicht so schlecht gemacht. Sogar die bürgerlich-liberale NZZ lobt SP-Gesundheitsminister Berset überschwänglich für seinen Corona-Kurs und handelte die Jahrhundert-Übersterblichkeit im ersten Pandemiejahr, die 13’000 Toten und Zehntausenden Hospitalisierten mit wenigen Sätzen ab. Eine verdächtige, allzu bekannte Eintracht. Mit Vergangenheitsbewältigung und Selbstkritik tut sich die Schweiz seit jeher schwer.

Wer die Vergangenheit allerdings nicht kritisch aufarbeiten will, wird auch nichts für die Zukunft lernen. «Ich habe in dieser Pandemie manches falsch eingeschätzt und auch Fehler gemacht»: Solch reuige, emotionale Worte wie vom ehemaligen deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn bei seiner Abschiedsrede sind in der Schweiz – mit wenigen Ausnahmen – kaum überzeugend zu hören. Deutsche Politikerinnen und Experten räumten immer wieder Fehler in grosser Ausführlichkeit ein.

Auch umfassende staatliche und parlamentarische Untersuchungsberichte zum ersten Pandemiejahr wie in Schweden («Verspätet und ungenügend reagiert») und Grossbritannien («Falscher Ansatz hat Leben gekostet»), die beide den Regierungen ein verheerendes Zeugnis für ihre Pandemiebewältigung ausstellten, sind bisher in der Schweiz nicht erstellt worden. Es sind allerdings mehrere Berichte zu verschiedensten Aspekten der Pandemie von den Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) und der Bundeskanzlei für die nächsten Monate angekündigt.

Das Hin und Her zwischen Kantonen und Bund war ein unwürdiges Kapitel in der zweiten Welle.

Die Dänen haben nun also als erstes Land sämtliche Corona-Restriktionen aufgehoben. Ob das voreilig war, werden wir sehen. Dänemark hat aber bisher vieles richtig gemacht, auch was die Kommunikation betrifft, die war immer kohärent. Bei der Einführung von Massnahmen zeigte das Land kein Zögern. Den Bürgerinnen und Bürgern wurden stets realistische Ausblicke vermittelt. Die Regierung hat auch jetzt deutlich gemacht, dass sie jederzeit bereit ist, sofort wieder zu handeln.

Es wird sich zeigen, ob die Schweiz nicht nur bei Öffnungsschritten jeweils zu den schnellsten gehört, sondern im Fall einer erneuten schweren Krankheitswelle für einmal auch bei der effizienten Eindämmung des Virus. Ob sie die Digitalisierung und Technologisierung weiter vorantreibt, die Datenerhebung verbessert und die Strukturen im BAG pandemietauglich macht. Und ob sie schon lange verfügbare wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit von FFP2-Masken und guter Belüftung, Aerosol-Übertragung, Long Covid und der Rolle der Kinder beim Infektionsgeschehen endlich anerkennt und daraus die richtigen Handlungen und Investitionen ableitet.

Am wichtigsten wäre aber zu klären, wie das Land trotz den schwerfälligen föderalen Strukturen auch in der Krise handlungsfähig bleibt. Das Hin und Her zwischen Kantonen und Bund war ein unwürdiges Kapitel in der brutalen zweiten Welle im Herbst/Winter.

Es ist allerdings zu befürchten, dass nun eine Phase des Pandemie-Revisionismus beginnt. All jene, die überlebt haben und nicht schwer oder chronisch krank wurden, werden dazu neigen, die Gefährlichkeit von Sars-Cov-2 rückwirkend falsch zu beurteilen. Die Zeugen und Opfer werden im Alltag wenig sichtbar sein. Das Leben geht weiter. Man nennt es Survivorship Bias. Diese kognitive Verzerrung müssen wir verhindern, sonst gibt es keinen Lerneffekt, und die nächste Welle oder Pandemie wird uns wiederum kalt erwischen.