Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Kandidatin für den UNO-Sicherheitsrat
Die Schweiz macht jetzt Weltpolitik

Auf der grossen Weltbühne: Bundespräsident Guy Parmelin (rechts) und Vizepräsident sowie Aussenminister Ignazio Cassis besuchen die UNO-Vollversammlung in New York.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Auf einmal scheint alles so reibungslos zu funktionieren, dass es misstrauisch macht. 1986 wollten die Schweizerinnen und Schweizer noch nicht einmal der UNO beitreten. Heute, nur 35 Jahre später, ist die neutrale Schweiz bereits Kandidatin für die höchste politische Instanz der Welt. Sie will Teil werden von jener exklusiven Gruppe, in der über Krieg und Frieden entschieden wird: dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Es ist so gut wie sicher, dass sie im kommenden Juni gewählt wird. Es werden zwei Plätze für westliche Staaten frei, für die mit der Schweiz und der Republik Malta exakt ebenso viele Interessentinnen bereitstehen.

Gibt es doch noch eine Überraschung?

Trotzdem gehen die Bundesräte auf Nummer sicher. Zu zweit sind sie diese Woche zur UNO-Vollversammlung in New York gereist, die erste seit Corona, die wieder als physisches Treffen stattfindet. Bundespräsident Guy Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis machten sich bei zahlreichen Gesprächen für die Schweizer Kandidatur stark. «Ein Plus für den Frieden», lautet der Slogan, das «Plus» ist dabei (nicht eben subtil) das Schweizerkreuz.

Die Bundesräte erhoffen sich vom UNO-Engagement eine Stärkung der Position des Landes auf dem internationalen Parkett und eine Aufwertung von Genf, neben New York der zweite Hauptsitz der Vereinten Nationen. Cassis sagte an einer Medienkonferenz am Mittwochmorgen, Überraschungen in letzter Minute seien nie auszuschliessen.

Unliebsame Überraschungen dürften aber eher Malta als die Schweiz treffen, heisst es bei Beobachtern der UNO: Vielen stösst sauer auf, dass ausgerechnet ein Land, in dem Journalistinnen ermordet und Politiker der Korruption überführt werden, die westlichen Länder im Sicherheitsrat vertreten soll. Das erwähnte der diplomatische Cassis in New York nicht. Er sei «zuversichtlich», dass alles klappen werde, fasste er zusammen: «Viele Länder haben uns ihre Unterstützung zugesichert.»

Schlachtfeld des Kalten Kriegs

Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Cassis das so sagen kann. Jahrzehntelang hatte die Schweiz ihre liebe Mühe mit der UNO, obwohl sie 1920 zu den Gründerinnen des Völkerbunds gehörte, der Vorgängerorganisation, die ebenfalls in Genf ihren Sitz hatte. Der Nachfolgerin UNO hingegen blieb das Land fern, denn die Vereinten Nationen trugen nur diesen Namen, in Wahrheit jedoch waren sie nach Schweizer Lesart tief gespalten, ein politisches Schlachtfeld des Kalten Kriegs, auf dem ein neutrales Land nichts zu suchen hatte. 1986 sprachen sich in einer Volksabstimmung 75,7 Prozent gegen eine UNO-Mitgliedschaft aus. Der Fall des Eisernen Vorhangs warf die Frage von neuem auf, und 2002 erreichte eine breite Allianz mit einer Volksinitiative für den UNO-Beitritt eine Mehrheit von 54,6 Prozent.

«Ich verstehe nicht, warum jetzt zwei Bundesräte in New York auf den Knien darum betteln, dass wir in den Sicherheitsrat gewählt werden.»

Franz Grüter, SVP-Aussenpolitiker

Selbst 20 Jahre später sind die Zweifel nicht bei allen verschwunden. Sie kommen jetzt wieder hoch, diese Fragen, weil es langsam ernst gilt – ausgerechnet in einer Zeit, in der die Spannungen zwischen den westlichen Mächten, Russland und China wieder stark zunehmen. Die Deutschen etwa, die soeben zwei Jahre im Sicherheitsrat verbracht haben, wurden von Russland mit der Bemerkung verabschiedet, man werde sie nicht vermissen.

Für den SVP-Aussenpolitiker Franz Grüter ist die Kandidatur «ordnungspolitisch, aussenpolitisch und neutralitätspolitisch einer der grössten Fehler, den die Schweiz je begangen hat. Aber niemand im Bundesrat und nur wenige im Parlament und der Verwaltung sehen die Gefahr». Im Sicherheitsrat werde über Krieg und Frieden entschieden, warnt Grüter: Müsse die Schweiz da Stellung beziehen, gefährde sie ihre neutrale Mittlerrolle. «Ich verstehe nicht, warum jetzt zwei Bundesräte in New York auf den Knien darum betteln, dass wir in den Sicherheitsrat gewählt werden.»

Die Schweizer Regierung dürfe ihre Haltung zu UNO-Geschäften nicht allein beschliessen, sondern müsse das Parlament mitentscheiden lassen. Selbst so werde aber das Grundproblem mit der Neutralität nicht gelöst. Der Bundesrat argumentiert, für einen starken Einbezug des Parlaments fehle meist die Zeit, gerade Sanktionsbeschlüsse müssten oft innert weniger Stunden oder Tage gefällt werden. Grüter findet, eine Verzögerung «wäre weniger schlimm, als fatale Entscheidungen mitzufällen».

Wie geht das mit der Neutralität?

Der Bundesrat weist die Bedenken als unbegründet zurück. Die Schweiz werde auch im Sicherheitsrat entlang ihrer aussenpolitischen Linien entscheiden, verspricht Aussenminister Cassis. Weder rechtlich noch politisch sei die Neutralität dadurch gefährdet. Im Gegenteil: Die UNO schätze das Engagement neutraler Staaten, weil diese glaubwürdig vermitteln könnten. Länder wie Schweden, Österreich und Finnland nahmen schon mehrfach Einsitz im Sicherheitsrat.

Inzwischen ist die SVP die einzige Fraktion im Bundeshaus, die sich noch gegen die Mitgliedschaft der Schweiz im Sicherheitsrat wehrt. Einige CVP-Exponenten äussern sich zwar auch kritisch, vor allem aber hinter den Kulissen. Verhindern lässt sich die Kandidatur der Schweiz ohnehin nicht mehr, ein Referendum hat die Mehrheit im Parlament ausgeschlossen.

Mehr Demokratie, mehr Zivilgesellschaft

Doch auch die Befürworter wollen der Regierung keinen Blankocheck ausstellen. FDP-Vertreter Damian Müller, Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats, sagt: «Wir entwickeln einen Modus, der dem Schweizer Politsystem gerecht wird. Einerseits soll das Parlament in die Entscheidungsfindung in wichtigen Fragen einbezogen werden, und andererseits soll auch das Volk über die Politik der Schweiz im Sicherheitsrat informiert werden.» Die Schweiz könne als gutes Beispiel vorangehen und einen Beitrag zur Demokratisierung der UNO leisten, die bisher zu sehr als Versammlung von Regierungen funktioniere. «Es wäre wünschenswert und dem eigenen Selbstverständnis entsprechend, wenn die Schweiz einen neuen Massstab setzen würde, wie sich die Zivilgesellschaft in die Politik des Sicherheitsrats integrieren lässt», sagt Müller.

Das grosse Dilemma

Neue Massstäbe setzt die Schweiz allein schon mit dem Kompromiss, der sich abzeichnet: Der Bundesrat wird die Aussenpolitischen Kommissionen regelmässig darüber informieren, was im Sicherheitsrat läuft. Und wenn es schnell gehen muss – also immer dann, wenn es wichtig wird –, will der Bundesrat zumindest die Präsidien der Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat konsultieren.

Franz Grüter wird das vor ein Problem stellen. Der SVP-Aussenpolitiker dürfte turnusgemäss ausgerechnet dann Präsident der Kommission werden, wenn die Schweiz im Sicherheitsrat die Arbeit aufnimmt. Ihn, den Kritiker, wird Aussenminister Cassis also konsultieren müssen. «Es ist ein grosses Dilemma, und ich weiss jetzt noch nicht, wie ich über Krieg oder Frieden mitentscheiden würde», sagt Grüter.

Korrektur vom 23. September, 19.29 Uhr: In einer früheren Version des Artikels stand, 1986 hätte sich eine knappe Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung gegen den UNO-Beitritt ausgesprochen. Es waren aber 75,7 Prozent. Das Resultat der Abstimmung von 2002 war mit 57 Prozent Ja angegeben, es waren aber 54,6 Prozent.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.