Analyse zur AbstimmungDie Schweiz braucht dieses CO2-Gesetz dringend
Die Vorlage ist auf der Kippe – dabei ist sie so wichtig wie lange keine mehr. Das Gesetz ist austariert und bezahlbar. Weil der Klimaschutz eilt, ist ein Ja nötig.
Diese Abstimmung gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten der letzten Jahre. Entsprechend hart ist der politische Kampf. Und schmutzig. Die Gegner des CO₂-Gesetzes operieren dabei mit Halbwahrheiten, die den Volkszorn wecken sollen. So etwa warnen sie davor, Fliegen werde teurer. Verschweigen aber, dass ein bis zwei Europaflüge pro Jahr weiterhin saldoneutral drinliegen – weil die Bevölkerung einen Teil der Einnahmen aus der geplanten Flugticketabgabe zurückerhält. (Mehr dazu: Faktencheck – Ist das CO₂-Gesetz ein Kostentreiber?)
Weiter behaupten die Gegner, das Benzin werde mit dem Gesetz um 12 Rappen pro Liter teurer. Richtig ist: Die Importeure von Benzin und Diesel müssen einen wachsenden Teil der CO₂-Emissionen dieser Treibstoffe mit Klimaschutzmassnahmen kompensieren. Dafür dürfen sie umgerechnet maximal 12 Rappen pro Liter auf die Autofahrer überwälzen. Ob sie dies tun werden, ist aber offen. Heute liegt die gesetzliche Obergrenze bei 5 Rappen, realiter sind es 1,5 Rappen. Die Importeure nutzen den Spielraum heute also bei weitem nicht aus.
Die Beispiele sind entlarvend. Die Gegner probieren, das neue Gesetz als radikales Machwerk darzustellen, entworfen von einer Politikerklasse, die der Bevölkerung das Geld aus der Tasche ziehen will – und das zu einem delikaten Zeitpunkt: Wegen der Corona-Krise haben viele Menschen im Land finanzielle Sorgen, Zukunftsängste drücken aufs Gemüt. (Lesen Sie weiter: Simonetta Sommaruga: «Bei einem Nein zum CO₂-Gesetz gewinnt die Erdölindustrie»)
Doch radikal ist diese Vorlage nicht. Nachdem ein erster Versuch im Nationalrat Ende 2018 krachend gescheitert war, justierte die FDP unter dem Eindruck der Klimaproteste und bevorstehender Wahlen ihren Kompass und machte so den Weg frei für eine mehrheitsfähige, punktuell verschärfte Vorlage, die nun auch grosse Teile der Wirtschaft mittragen. Taktisch klug hat das Parlament gehandelt, als es nach dem Wahlsieg der grünen Parteien im Herbst 2019 das Gesetz nicht überladen hat. Unter dem Strich ergibt das jene austarierte Vorlage, die jetzt vorliegt. Dass sie radikalen Klimaschützern zu wenig weit geht, unterstreicht ihre Ausgewogenheit.
Das Gesetz baut einerseits auf Grenzwerte, die zunehmend strenger werden, etwa beim Ersatz fossiler Heizungen oder bei den Neuwagen. Damit lenkt es die Entwicklung in die erwünschte Richtung: weg von den fossilen Energien. Andererseits schaffen Lenkungsabgaben wie die CO₂-Abgabe auf fossile Brennstoffe und die Flugticketabgabe Anreize, die klimafreundliches Verhalten belohnen. Unschön ist: In beiden Fällen werden nicht alle Einnahmen an die Bevölkerung und Wirtschaft rückverteilt, was der Idee einer echten Lenkungsabgabe widerspricht. Dass es nicht die ganze Summe ist – auch dies ein politischer Kompromiss.
Der Rest dieser Einnahmen fliesst in einen Fonds, der klimafreundliche Investitionen fördert, etwa Ladestationen für Elektroautos. Solche staatlichen Geldtöpfe sind nicht unproblematisch, wecken sie doch Begehrlichkeiten vieler Anspruchsgruppen und können schlimmstenfalls in unnötige Subventionen münden. Die Politik muss deshalb sicherstellen, dass die Ausgaben wirklich dem Klimaschutz zugutekommen und maximaler Transparenz unterliegen.
Wichtiger Zwischenschritt
Den Gegnern ist es gelungen, die klimapolitische Vorlage zu einer Frage des Portemonnaies zu machen. Sie treffen damit den wunden Punkt: Eine forcierte Klimapolitik produziert nebst Gewinnern auch Verlierer. Alles in allem ist das Gesetz aber ziemlich sozial. Es trifft weder die Büezerinnen und Büezer noch die Landbevölkerung am härtesten. Vielmehr sind es finanzkräftigere Haushalte, die ökologisch auf grossem Fuss leben. (Zum Thema: Das CO₂-Gesetz bestraft vor allem reiche Umweltsünder)
Und dort, wo schwere soziale Verwerfungen drohen, wird vorgesorgt. Zum Beispiel im Gebäudebereich, wo der Ersatz fossiler Heizungen durch eine neue Öl- oder Gasheizung deutlich erschwert wird. Fehlt Hausbesitzern das Geld für eine (in der Anschaffung, aber nicht im Betrieb) teurere fossil-freie Alternative, können sie aus dem Klimafonds finanzielle Hilfe beantragen. Das Geld muss in solchen Fällen dann aber auch fliessen; sonst schwindet die Akzeptanz der neuen Bestimmung dahin.
Es gibt weitere unangenehme Tatsachen. So etwa wird selbst bei einer kompletten Unabhängigkeit von der Erdölbranche Geld künftig ins Ausland fliessen, etwa weil hier die Rohstoffe für die Herstellung von Solarpanels fehlen. Energieautark wird die Schweiz also nicht. Noch ungelöst ist zudem das Problem, woher die Schweiz bei einer wachsenden Elektrifizierung des Verkehrs den Strom hernimmt.
Bei alledem darf aber der Blick aufs Ganze nicht verloren gehen. Die Schweiz hat sich international verpflichtet, bis 2030 den Treibhaugasausstoss gegenüber 1990 zu halbieren. Es ist ein eminent wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050. Ohne die Verschärfungen des neuen Gesetzes wird die Schweiz es nicht schaffen. Dies sei auch an die Adresse jener radikalen Klimaschützer gesagt, die die Vorlage bekämpfen. Ein Nein am 13. Juni hiesse vor allem: Zeitverlust. Bis ein neues Gesetz stünde, würden Jahre vergehen. Ob es schärfer würde, wäre mitnichten sicher. Klimaschutz ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Weitere Verzögerungen verträgt es nicht mehr.
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