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Schweizer Architektur
Die neue Heiterkeit

Einladender Eingangsbereich zu einer Wohnung der neuen Siedlung in Cham.
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Der Eingang sagt schon alles. Statt mit einem Loch in der Wand empfängt die Siedlung in Cham ihre Bewohner mit einem architektonischen Freudenschrei. Eine Betonstütze windet sich zur Skulptur, die zum Vordach und zur Bank wird. Eine massive Holzleiste zeigt die Hausnummer an. Die rote Eingangstür schwingt raumhoch auf, und verglaste Partien geben den Blick frei ins Treppenhaus, wo das Spiel aus Farbe, Form und Vielfalt weitergeht.

Auch die Fassade macht Lust auf mehr. Grün- und Rottöne wechseln sich ab. Dazwischen flattern orange Vorhänge im Wind. Der Holzbau löst sich in viele Elemente auf, die zueinander versetzt und ineinander gesteckt sind. Die Fassade ist keine hermetische Hülle, sondern eine offene Konstruktion unter einem schützenden Vordach. Die Architekten haben bis zuletzt entworfen. Sie haben auf den Balkenstirnen noch etwas Farbe aufgetragen oder im Treppenhaus mit dreieckigen Flächen für Abwechslung gesorgt, sodass sich ihre Kolleginnen und Kollegen an der Besichtigung kaum sattsehen konnten.

Die Überbauung von Loeliger Strub Architekten steht für eine neue Frische in der zeitgenössischen Architektur der Schweiz. Lange wirkte der Hall der «Swiss Box» nach, die mit ihren klaren Konturen, ihrer homogenen Erscheinung und abstrakten Formensprache in die Geschichte einging. Doch allzu oft hat der Kommerz deren baukulturelle Leistung unterwandert und die Abstraktion zum Vorwand genommen, Dinge wegzusparen.

Blühende Details

Nun sträubt sich eine andere Generation von Architekten dagegen. Es regt sich bei ihr ein Verlangen nach blühenden Details, nach einer sprechenden Architektur, nach einer vielschichtigen Interpretation. Statt wegzulassen und zu reduzieren, reichern die Architekten ihre Entwürfe an, differenzieren Schichten aus, betonen die Unterschiede, stärken den Charakter jedes Bauteils.

Das führt zu einer leichten, heiteren Architektur, die reichhaltig ist wie eine gute Ernährung. Die Siedlung in Cham wirkt wie die Antithese auf die 08/15-Wohnungen, die der Schweizer Pavillon an der Architekturbiennale 2018 in Venedig so gekonnt auf die Schippe nahm.

Statt Produkte ab Stange zu verwenden, entwerfen die Architekten ihre eigenen Lösungen, vom Balkongeländer bis zum Wasserspeier. Statt die Wohnungen in Hygieneweiss zu tunken, setzen sie mit Farben gezielt Akzente, etwa bei der Sockelleiste oder beim Fensterrahmen. Und statt die Flächen möglichst bündig über alles zu ziehen, zelebrieren Marc Loeliger und Barbara Strub die Abstufungen, die Kontraste, die feinen Unterschiede.

Holz spielt eine wichtige Rolle in der Wohnüberbauung von Marc Loeliger und Barbara Strub.

Das Zürcher Büro Loeliger Strub steht nicht allein mit seiner Haltung. In Nuglar hat die Architektin Lilitt Bollinger letztes Jahr auf dem Fundament eines alten Weinlagers Loftwohnungen gebaut, die ähnlich viel gestalterisches Glück verbreiten. Und Esch Sintzel Architekten haben 2018 an der Maiengasse in Basel eine Wohnsiedlung erstellt, die viele Themen aus Cham vorwegnimmt. Beide Projekte hat die Zeitschrift «Hochparterre» mit einem Hasen für vorbildliche Architektur ausgezeichnet.

Ein zentrales Element dieser neuen Strömung in der Architektur ist das Material Holz. Der Baustoff erlebt eine bemerkenswerte Renaissance, werden damit doch mittlerweile selbst Hochhäuser konstruiert. Neben der guten CO₂-Bilanz bringt Holz einen weiteren Vorteil mit sich für die Gestaltung: Das Material lässt sich leicht und genau bearbeiten. Weil Holz aus vielen Teilen gefügt wird, liegt die Vielfalt und Mehrschichtigkeit in der Natur des Materials. Die «Swiss Box» gossen die Architekten einst am liebsten aus Beton, nun verbinden sie Balken und Bretter.

Offene und helle Räume. Marc Loeliger und Barbara Strub werten die Wohnräume auf.

Die Architekten entwerfen zwar üppig, kommen aber ohne teure Materialien oder Details aus. Das günstigste Ornament ist die Farbe. So bleiben die Kosten im Rahmen. Trotzdem: Diese gestalterische Beweglichkeit muss der Bauherr wollen. Hinter dem Projekt in Cham steht kein professioneller Investor, der in erster Linie rechnet, sondern eine Familie, deren Mutter in einem Bauernhaus nebenan gross geworden ist.

Vor Jahren haben die Eigentümer einen Teil der Parzelle verkauft und waren enttäuscht, was dort gebaut wurde. Sie merkten: Bauen ist ein kultureller, nicht nur ein wirtschaftlicher Akt. Also nahmen sie es diesmal selbst in die Hand und veranstalteten einen Studienauftrag, um das beste Projekt zu finden. Das siegreiche Büro Loeliger Strub entwarf neben den zwei farbigen Holzbauten einen Riegel mit Reihenhäusern und ersetzte das Bauernhaus durch einen wesensgleichen Neubau.