AbstimmungsbüchleinDie mysteriöse Zahl des Bundesrats
Wie viele Firmen wären vom Kreditverbot der Kriegsgeschäfte-Initiative betroffen? Der Bundesrat nennt eine auffällig hohe Zahl – will aber nicht sagen, woher er sie hat.
Es wird an alle 5,5 Millionen Stimmberechtigten verteilt. Es soll sie befähigen, komplexe politische Geschäfte zu bewerten. Es ist die Bibel des politisch aktiven Bürgers. Die Wahrheit, geheftet. Doch nun sorgt das Abstimmungsbüchlein – wieder einmal – für Streit. Verbreitet der Bundesrat vor dem Urnengang vom 29. November unfundierte Zahlen?
Auslöser der Debatte ist die Kriegsgeschäfte-Initiative. Sie will der AHV, den Pensionskassen und der Nationalbank verbieten, in die Rüstungsindustrie zu investieren. Die Initianten wollen damit den Frieden fördern.
Initiative mit doppelter Hürde
Im Abstimmungskampf steht bisher eine Frage im Zentrum: Wie viele Unternehmen wären vom Kreditverbot betroffen? Im Abstimmungsbüchlein schreibt der Bundesrat, dass es keine Zahlen dazu gebe. Aber zwei der grossen Schweizer Rüstungsunternehmen zählten «gemäss eigenen Angaben rund 3000 Zulieferbetriebe, die je nach Jahresumsatz als Kriegsmaterialproduzenten gelten würden».
Viele Stimmbürger dürften also davon ausgehen, dass ein Ja zur Initiative die Geldbeschaffung für einige Tausend Schweizer Industriebetriebe erschweren würde.
Doch ob diese Grössenordnung stimmt, ist fraglich. Erstens ist die hiesige Rüstungsindustrie überschaubar: So weist die Fachgruppe für Sicherheits- und Wehrtechnik des Industrieverbands Swissmem auf ihrer Website nur 56 Mitgliedsunternehmen aus. In den letzten Jahren haben jeweils rund 120 Schweizer Firmen Bewilligungen für Kriegsmaterialexporte erhalten, wie eine Analyse der «Wochenzeitung» ergab.
«Das Bundesgericht ist bei Zahlen im Abstimmungsbüchlein relativ streng.»
Zweitens gilt die Kriegsgeschäfte-Initiative nur für Unternehmen, die mehr als fünf Prozent ihres Jahresumsatzes mit der Herstellung von eindeutigem Kriegsmaterial erzielen. Es gibt also zwei Kriterien: eine Umsatzhürde und eine Materialhürde. Wer nur Schrauben liefert, die auch für zivile Zwecke gebraucht werden, hat mit keinen Konsequenzen zu rechnen.
Wie also kommt der Bundesrat auf die Zahl von 3000 Zulieferbetrieben? Hat die Verwaltung diese Zahl verifiziert oder wenigstens plausibilisiert? Auf diese Fragen antwortet das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco nicht. Und wer sind diese beiden Rüstungsunternehmen, auf deren Angaben der Bundesrat sich stützt? Auch das will das Seco nicht sagen. «Die beiden Firmen verweisen auf das Geschäftsgeheimnis», sagt Seco-Sprecher Fabian Maienfisch.
Zahlen müssen deklariert werden
Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor an der Universität Basel, findet das problematisch. «Das Bundesgericht ist bei Zahlen im Abstimmungsbüchlein relativ streng», sagt er. Das Gericht habe wiederholt klargemacht, dass Zahlen stimmen und Schätzungen als solche deklariert und hergeleitet werden müssten.
Auch das Parlament legt Wert auf die Richtigkeit der Behördeninformationen in Abstimmungskämpfen. Deshalb hat es 2007 eine Rechtsgrundlage geschaffen, die es den Stimmberechtigten ermöglicht, Angaben der Regierung durch das Bundesgericht überprüfen zu lassen. Diesen Mechanismus unterlaufe der Bundesrat, wenn er Zahlen nenne, deren Quellen er nicht offenlegen dürfe, sagt Staatsrechtsprofessor Schefer. «In diesem Fall wäre es aus Sicht der politischen Rechte wohl besser gewesen, auf die Nennung einer konkreten Zahl zu verzichten.»
Beim Seco sieht man das anders. Der Bundesrat müsse im Abstimmungsbüchlein die wichtigsten im parlamentarischen Entscheidungsprozess vertretenen Positionen darlegen. «Die 3000 Zulieferer waren bereits im Parlament ein Thema», schreibt der Seco-Sprecher. Allerdings ist dieses Argument zirkulär. Die einzige Person, die im Parlament von 3000 Zulieferbetrieben sprach, war Bundesrat Guy Parmelin selbst.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.