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Wimbledon-Sensation Tatjana Maria
Sie kommt mit dem Kinderwagen und packt die Sense aus

Ausholen und sensen: Tatjana Marias Lieblingsschlag ist zweifellos der Slice – hier praktiziert sie den Unterschnittschlag mit der Rückhand.
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Im Aorangi Park herrscht in den Stosszeiten Gedränge am Eingang. Ab 9.30 Uhr marschieren die ersten Profis auf die Trainingsplätze im All England Club, Teams in Mannschaftsstärke tauchen auf. Dann werden Tonnen von Taschen geschleppt und übereinander gestapelte Schläger getragen. Wenn Tatjana Maria auftaucht, schiebt sie erst mal den Kinderwagen rein.

Cecilia, 15 Monate alt, schaut sich neugierig um. Charlotte, die achtjährige erste Tochter, ist schon mal flitzend unterwegs. Die meisten hier kennen sie, so kommt es schon mal vor, dass jemand zu ihr sagt: «Na, Champion!» Tatjana Maria findet oft auch nicht sofort den Weg zu ihrer Übungsstätte. Ständig wird sie begrüsst, eine Umarmung hier, ein freundlicher Satz dort.

Die Frau, die einen der giftigsten, unangenehmsten Schläge im Tennis nahezu perfekt beherrscht, ist zweifellos eine nette Person. Das sagen, wenn man sich umhört, auch viele Kolleginnen. Zumindest jene, die nicht mit Maria auf den Platz müssen.

Das jüngste Opfer von Maria: Jelena Ostapenko aus Lettland kann zwei Matchbälle nicht verwerten und scheitert im Achtelfinal an ihr.

Tatjana Maria aus Bad Saulgau, längst eine Weltreisende mit ihrer Familie, hat nun in Wimbledon mal wieder auf sich aufmerksam gemacht. Vier Siege in Serie bei einem Grand-Slam-Turnier, das war ihr in ihrer Profikarriere, die 2001 unter dem Mädchennamen Malek begann, noch nie geglückt. Sie stand auch noch nie im Viertelfinal. Bis jetzt. Am Freitag bezwang sie in der dritten Runde überraschend Maria Sakkari, die Weltranglisten-Fünfte aus Griechenland, die reihenweise die Bälle, die Maria mit ihrer gesensten Vorhand abschickte, ins Netz stach.

Im Achtelfinal bekam Jelena Ostapenko die unorthodoxe Spielweise Marias zu spüren. Die 34-Jährige bezwang am Sonntag die an Nummer zwölf gesetzte Lettin 5:7, 7:5, 7:5. Die frühere French-Open-Siegerin Ostapenko kam vor allem zu Beginn mit der der Spielart von Maria nicht zurecht. Im zweiten Satz wehrte die Deutsche zwei Matchbälle ihrer Gegnerin ab und holte sich nach 2:07 Stunden den grössten Erfolg ihrer Karriere. Nein, an ihrer Spielweise hat sich auch mit vergrösserter Familie nichts geändert.

Erst zwei Titelgewinne auf Stufe WTA

Gemeinhin gilt die Amerikanerin Serena Williams als die berühmteste Mutter der Tennistour, die 23-malige Grand-Slam-Siegerin bekam 2017 Tochter Olympia. Doch im Grunde müsste Marias Geschichte viel mehr Beachtung finden. Sie fliegt nicht nur sporadisch zu Turnieren ein, sie tingelt auch auf vielen ITF-Turnieren herum, jener Serie unterhalb der WTA-Tour, bei denen sie schon 16 Titel errang. Alle Jahre wieder taucht Maria aber auch auf grösseren Bühnen auf, erst im März gewann sie in Bogota ihr zweites WTA-Turnier, im Einzel. Doppel kann sie ja auch gut, in dieser Disziplin holte sie vier Turniersiege.

Ihr Erfolg in Wimbledon ist auch deshalb so besonders, weil dieser Ort eng verknüpft ist mit ihrem eigenen Weg. Sie spielte an der Church Road in der ersten Runde, als sie mit Charlotte schwanger war. Bei ihrer ersten Wimbledon-Teilnahme, nachdem die Tochter geboren war, kam sie 2015 in die dritte Runde. Jetzt, mit zweitem Kind, läuft es wieder, was Maria vor ihrer Partie gegen Sakkari zu der schlüssigen Erkenntnis verleitete: «Ich sollte mehr Kinder kriegen.» Sie lachte laut auf. Sie strahlt schon eine herrliche Leichtigkeit aus.

Wobei sie auch die Schattenseiten des Lebens kennen gelernt hat. 2008 erlitt sie aufgrund einer Thrombose eine Lungenembolie, kurz darauf verstarb ihr Vater Heinrich, zu dem sie ein enges Verhältnis hatte, an Krebs. Ihre Karriere als Tennisprofi kam nicht recht voran, bis sie 2012 den privaten Tenniscoach Charles Edouard Maria kennen lernte. Diese Beziehung hatte grosse Auswirkungen, es war, als hätte Maria nach Momenten, in denen sie mit ihrem Beruf gehadert hatte, ihre Bestimmung gefunden.

«Die Familie kommt an erster Stelle. Und Tennis kommt an zweiter Stelle.»

Tatjana Maria

Serena und Venus Williams waren ihre Nachbarn in West Palm Beach, als Charlotte auf die Welt kam, die berühmten Tennis-Schwestern hielten sogar eine Babyparty für Maria ab. Sie ist gut vernetzt und respektiert im Tenniskosmos, auch als Spielerin aus der dritten Reihe. «Die Familie kommt an erster Stelle. Und Tennis kommt an zweiter Stelle», so umschrieb Maria ihre Herangehensweise im Alltag.

Sie und ihr Mann sind immer wieder bemüht, mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die WTA-Tour mehr für Mütter unternehmen müsse. Sie sprach auch in Wimbledon über manches Problem, so würde bei den Match-Ansetzungen kaum Rücksicht auf die Uhrzeit genommen. Mit Kindern gilt es ja stets, deren Betreuung zu sichern, die nur bei Grand Slams angeboten wird. Auch so ein Punkt, den Maria bedauert.

Sie findet es «schade, dass es nicht bei den grösseren Turnieren wie in Indian Wells oder Miami Kinderbetreuung gibt». Den Kindern der Profis würde das auch guttun. «Es wäre schön, wenn sich alles ein bisschen ändern würde», sagte Maria. «Man könnte Familien helfen, zurückzukommen. Ich denke, dass ich da ein ganz gutes Vorbild bin, mit zwei Kindern wieder zurück auf der Tour zu sein. Und wieder Tennis zu spielen auf einem hohen Niveau.»

Den Blick auf den Viertelfinal gegen ihre Landsfrau Jule Niemeier gerichtet: Tatjana Maria.

Auch dass Spielerinnen, die aufgrund einer Schwangerschaft pausieren, wie verletzte Spielerinnen behandelt werden, kann Maria nicht nachvollziehen. Ihre Kritik trägt sie aber nie mit dem Tonfall einer Klage oder Anklage vor. Vielmehr klingt sie pragmatisch. Bezeichnend auch, wie sie Tennis und Familie trennt. «Ich würde nicht vor meinen Kindern anfangen zu heulen wegen eines Tennismatchs», sagte sie mit einem Lächeln. Und sie würde auch nie mit ihrem Mann Charles Edouard, der auch ihr Coach ist, wegen Tennis streiten. «Er gibt die Linie vor, ich versuche es umzusetzen.»

Ihr Tennisspiel unterscheidet sich von 99 Prozent auf der Tour. Maria traktiert ihre Kontrahentinnen nicht immer wieder mit ihren Slice-Schlägen, weil sie den Topspin nicht kann. Sie hat nur gemerkt, dass sie so erfolgreicher spielt. «Im Allgemeinen weiss ich, dass alle gestresst sind», erklärte sie. Die Gegnerinnen sind ein Tennis wie das ihrige nicht gewohnt. «Deswegen ist es für mich natürlich von Vorteil.» Vor allem auf Rasen, auf diesem schnellen, so speziellen Belag könne sie den anderen «wehtun».

Auch in ihrem ersten Grand-Slam-Viertelfinal wird sie ihrem Stil treu bleiben. Das wird nun wieder interessant werden. Auch weil es gegen ihre Landsfrau Jule Niemeier geht. «Wir spielen oft gegen Leute, die wir mögen», sagte Maria über ihre zwölf Jahre jüngere Kontrahentin vor der Partie am Dienstag. «Ich glaube, wir kriegen das beide gut hin, dass wir rausgehen, unser bestes Tennis spielen, und danach ist alles wieder in Ordnung.» Auch Niemeier verschwendete keinen Gedanken an die aussergewöhnliche Konkurrenzsituation. Sie freue sich «extrem», dass auf jeden Fall eine Deutsche im Halbfinal stehe: «Für mich hat das nur positive Sachen.»

Ihren Paradeschlag indes müsse sie nicht extra jedes Mal schulen, sagte Maria. «Den Slice kann ich auch nachts spielen. Den muss ich nicht unbedingt trainieren.» Und sie betonte: «Mein Slice», die scharfe Sense, «wird bleiben.»

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