Interview mit Chefunterhändler«Die Leute fielen vor Erschöpfung fast unter den Tisch»
Ein Deal mit Indonesien um vier Uhr morgens. Ein Handelsvertrag, wie ihn die Schweiz noch nie hatte. Jetzt erzählt der Schweizer Chefunterhändler erstmals, wie es dazu kam.

Eine weltweite Premiere – so preisen Sie das Wirtschaftsabkommen mit Indonesien. Was ist daran so einzigartig?
Es gibt weltweit kein anderes Abkommen, das solche Auflagen macht. Zum ersten Mal gewährt die Schweiz einem anderen Staat erleichterte Einfuhren nur, wenn die importierten Produkte nachhaltig hergestellt werden. Das heisst: Palmöl aus Indonesien kann nur vergünstigt importiert werden, wenn es ökologische und soziale Standards erfüllt.
Konkret: Welche Voraussetzungen muss das Palmöl neu erfüllen?
Bei der Palmölproduktion müssen Primärwälder und Torfmoore geschützt, Brandrodung verhindert und die Rechte der indigenen Gemeinschaften respektiert werden. Nur Produzenten, die diesen Ansprüchen genügen, dürfen zu vergünstigten Zöllen in die Schweiz exportieren.
Das klingt schön. Aber wie überprüft die Schweiz, dass das indonesische Palmöl diese Vorgaben erfüllt?
Sichergestellt wird das mit etablierten und anerkannten Nachhaltigkeitslabels. Nur Palmöl mit diesen Labels profitiert von den Zollrabatten. Dafür haben wir die vier weltweit strengsten Standards ausgewählt. Diese werden von unabhängigen Stellen und Auditfirmen überprüft.
Das bekannteste dieser Palmöl-Label ist RSPO. Kritiker halten es für einen Etikettenschwindel. Die Auflagen seien zu schwach und sähen keine wirksamen Sanktionen vor.
RSPO mag nicht perfekt sein, aber es gibt derzeit keinen strengeren Standard. Er garantiert, dass wir das Palmöl bis zur einzelnen Plantage zurückverfolgen können.
Aber für jede Plantage wurde irgendwann Urwald gerodet. Kann Palmöl überhaupt nachhaltig sein?
Unbestritten: Palmöl ist aus Sicht der Nachhaltigkeit problematisch. Ein gerodeter Primär-Urwald lässt sich nicht wiederherstellen. Aber wenn eine Plantage auf einem Gebiet entsteht, das nach 2005 gerodet wurde, wird sie nie mehr mit RSPO gelabelt. Bedenken Sie zudem: Palmöl lässt sich nicht so einfach ersetzen. Es hat einen drei- bis viermal grösseren Ertrag pro Fläche als Raps- oder Sonnenblumenöl. Ein Ersatz würde die Umweltprobleme einfach verlagern.
Warum waren die Indonesier überhaupt zu solchen Konzessionen bereit?
Die Verhandlungen waren schwierig. Zu Beginn forderten die Indonesier, Palmöl in unbegrenzter Menge zollfrei in die Schweiz zu exportieren. Dass sie sich am Ende zu Nachhaltigkeit und Kontingenten bekannten, ist ein grosser Verhandlungserfolg!
Was mussten Sie ihnen im Gegenzug versprechen?
Es gab keinen direkten Deal zu dieser Klausel. Es war das Gesamtpaket, das am Ende beide Seiten überzeugte. Entscheidend war, dass wir den Indonesiern unsere innenpolitische Situation erklärt haben.
«Die Indonesier merkten, dass es bei uns einen Markt für nachhaltiges Palmöl gibt.»
Wie meinen Sie das?
Wir konnten ihnen glaubhaft darlegen, dass zollfreie und unbeschränkte Einfuhren von Palmöl in der Schweiz den Todesstoss für das Abkommen bedeutet hätten. Die Indonesier merkten auch, dass es bei uns einen Markt für nachhaltiges Palmöl gibt.
Wer hätte dem Abkommen in der Schweiz den Todesstoss versetzt: die Umweltverbände oder die Bauernlobby?
Die Gefahr hätte in einer unheiligen Allianz bestanden.
Aber ganz ehrlich: Vor wem hatten Sie als Unterhändler mehr Angst?
Ich muss immer auf alle Befindlichkeiten zu Hause achten. Denn dort muss das Abkommen mehrheitsfähig sein. Das ist aber kein Nachteil: Es stärkt mich sogar in den Verhandlungen. So haben wir das absolute Maximum herausgeholt! Das grenzt an ein kleines Wunder.
Wie gelang dieses Wunder? Weil Sie ein so guter Verhandler sind?
Ich denke schon, dass ich ein guter Verhandler bin. Ich sehe zwar freundlich aus und komme harmlos daher (lacht). Aber ich habe den Ruf, hart zu verhandeln. Entscheidend ist auch die Vorbereitung, eine gute physische Konstitution und Teamwork.
Körperliche Konstitution? Verhandlungen sind doch Kopfarbeit.
Eine letzte Verhandlungsrunde ist körperlich kein Zuckerschlecken. Das bedeutet sehr lange Tage und Nächte mit sehr wenig Schlaf. Und trotzdem muss man im entscheidenden Moment klar im Kopf sein, um die richtigen Formulierungen durchzusetzen.
«Um 4 Uhr morgens gelang der Durchbruch, die Gegenseite lenkte ein.»
Erinnern Sie sich noch an diesen alles entscheidenden Moment?
Noch ganz genau! Es war in einem Hotel auf Bali, in der Nacht auf den 1. November 2018, wir hatten schon den ganzen Tag verhandelt. An einer Krisensitzung nach Mitternacht baten mich meine Kollegen um eine Pause bis zum nächsten Morgen. Die Leute fielen vor Erschöpfung fast unter den Tisch. Doch ich merkte: Das ist für uns Schweizer die Sternstunde! Ich war noch fit, weil ich am Nachmittag kurz geschlafen hatte. Ein halbstündiger Powernap wirkt wie vier Stunden Schlaf in der Nacht. Dann kam uns auch noch die Zeitverschiebung zu Hilfe.
Wie das?
Wir brauchten für die Fortsetzung der Gespräche noch Informationen. Während in Indonesien tiefe Nacht herrschte, war die Bundesverwaltung in der Schweiz noch an der Arbeit. Nach und nach erhielten wir die Informationen aus Bern, sodass wir um 3 Uhr die Schlussdiskussionen aufnehmen konnten. Um 4 Uhr morgens gelang der Durchbruch, die Gegenseite lenkte ein.
Ihr Gegenüber hat also wegen Ermüdung kapituliert.
Sicher nicht. Aber solche Aspekte spielen in Verhandlungen mit. Doch wir hatten auch überzeugende Argumente. Zudem wussten beide Seiten, dass wir unbedingt abschliessen müssen. In Indonesien begann wenige Monate später der Wahlkampf um das Präsidentenamt; das hätte die Verhandlungen wohl lange unterbrochen.
Beim Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten ist Ihnen das nicht gelungen. Dort fehlen solche Nachhaltigkeitsbestimmungen wie beim Palmöl.
Auch aus Südamerika kommen Produkte, die wegen der Nachhaltigkeit problematisch sind, etwa Gold oder Soja. Aber diese Produkte werden bereits heute zollfrei gehandelt. Hier können wir in einem Abkommen keine zusätzlichen Bedingungen formulieren.
Sehr umstritten ist im Mercosur die Fleischproduktion. Warum haben Sie keine Bestimmungen zum Tierwohl verlangt?
Das ginge nur, wenn es international akzeptierte Standards dafür gäbe. Anders als beim Palmöl ist das beim Tierwohl nicht der Fall. Aber wir haben dafür erstmals einen Dialog zum Tierwohl vereinbart.
«Das wäre reiner Agrarprotektionismus – das würde die Gegenseite niemals akzeptieren.»
Warum verlangt die Schweiz nicht einfach, dass das Importfleisch unsere Tierschutznormen erfüllt?
Es nützt nichts, wenn ich einen nationalen Standard in ein Abkommen schreibe. Wenn er im Produktionsland nicht angewendet und kontrolliert wird, bringt das gar nichts. Zudem wäre es reiner Agrarprotektionismus – das würde die Gegenseite niemals akzeptieren.
Das Abkommen mit Indonesien schottet den Schweizer Agrarmarkt weiter ab, öffnet aber den indonesischen Markt für die Schweizer Industrie. Ist das fair?
Glücklicherweise produziert die indonesische Landwirtschaft vor allem Produkte, die es in der Schweiz nicht gibt – etwa tropische Früchte. Agrarpolitisch heikel war nur das Palmöl.
Unter den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz liegt Indonesien nur auf Rang 47. Lohnt sich der Aufwand für dieses Abkommen überhaupt?
Indonesien hat rund eine Viertelmilliarde Einwohner und ist damit das viertgrösste Land der Welt. Schon bald wird es zu einer der grössten Volkswirtschaften werden. Ein Handelsabkommen mit einem solchen Land schliessen wir nicht nur für ein paar Jahre ab, sondern für Jahrzehnte. Für eine gewisse Zeit gibt das Abkommen uns auch einen Vorteil gegenüber anderen Partnern wie der EU.
Wie sieht dieser Vorteil aus?
Heute hat Indonesien teilweise sehr hohe Zölle. Wenn diese für Schweizer Exporteure wegfallen, erhalten sie vielleicht eher einen Auftrag, der andernfalls an eine Firma in der EU gegangen wäre.
Zum ersten Mal seit fast 50 Jahren kann das Volk über ein Freihandelsabkommen abstimmen. Was, wenn es Nein sagt?
Das wäre jammerschade. Wer Nein sagt, muss damit rechnen, dass Schweizer Exporteure in Zukunft auf dem indonesischen Markt benachteiligt werden. Wer Nein sagt, schickt auch ein schlechtes Signal nach Indonesien, das Bereitschaft zeigt, sich in der Nachhaltigkeit zu verbessern. Ein Nein an der Urne könnte auch andere Länder abschrecken, in Zukunft überhaupt mit der Schweiz Handelsgespräche aufzunehmen.
Das Referendum ist Ausdruck einer grundsätzlichen Globalisierungskritik. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung steht den sozialen und ökologischen Folgen des Welthandels kritisch gegenüber.
Die Globalisierung hat bereits in der Steinzeit angefangen, als unsere Vorfahren Salz gegen Tierfelle tauschten. Klar: In den letzten Jahren hat diese Entwicklung eine atemberaubende Dynamik angenommen. Als Volkswirtschaft können wir aber nicht alles selbst produzieren. Die Vorstellung einer autarken Schweiz ist ein Mythos. Ein solches Abkommen soll unnötige Schranken des Handelns beseitigen. Zölle verteuern nur die Preise für die Konsumenten.
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