Die Zukunft der MonarchieDie letzte Hoffnung für Spaniens Krone
Der Opa dankte ab wegen zu vieler Skandale, der Vater, Felipe VI., gilt als unnahbarer Saubermann. Um das Ansehen der Monarchie in Spanien zu retten, bleibt nur noch die 17-jährige Infantin Leonor.

War es bloss die Sonne, die sie blendete? Ein wenig verkniffen sah das Gesicht von Prinzessin Leonor schon aus, als sie Anfang Juli in der Militärakademie von Saragossa ihren ersten offiziellen Auftritt vor dem spanischen Militär hatte. In jener Akademie also, in die sie selbst diese Woche einrücken und ihre Militärausbildung beginnen wird. Die 17-jährige Thronerbin wirkte jedenfalls alles andere als entspannt, als sie auf ihren schmalen Absätzen den Eltern über den Kasernenhof folgte, dessen Kopfsteinpflaster eindeutig nicht für Schuhe wie die ihren gemacht war.
Und wie es bei Hofe nun mal so ist: Etikette ist alles. Also balancierte Leonor auf dem Pflaster, während das Königspaar bequem auf dem glatten roten Teppich schritt. Penibel, wenn auch etwas wacklig hielt sich Leonor stets knapp neben der Teppichkante. Noch ist sie schliesslich nicht Königin. Ihre Zeit wird kommen.
Schliesslich wird, wenn alles läuft wie vorgesehen, eines Tages sie die Oberbefehlshaberin der spanischen Armee sein.
Es war Leonors erster Besuch in der Militärakademie, an der schon ihr Vater, Spaniens König Felipe VI., im Jahr 1985 seine Ausbildung begann. Auch er war damals 17 Jahre alt. Wie für ihren Vater wird die Kadettenausbildung auch für Leonor drei Jahre dauern: ein Jahr beim Heer, ein Jahr bei der Marine, ein Jahr bei der Luftwaffe. Schliesslich wird, wenn alles läuft wie vorgesehen, eines Tages sie die Oberbefehlshaberin der spanischen Armee sein. Und deswegen stand auch nie zur Debatte, ob sie nach der Matura vielleicht erst einmal lieber zur Selbstfindung mit dem Rucksack durch Südostasien reisen möchte.

Prinzessin sein ist, anders als das Klischee behauptet, ein recht anstrengendes Geschäft. Die Verschnaufpausen sind kurz für künftige Königinnen. Und es dürfte in Zukunft nicht einfacher werden für Leonor. Wenn sie erst einmal Königin ist, kommt ihr die Aufgabe zu, zu retten, was kaum noch zu retten ist: das Ansehen der spanischen Monarchie.
Laut der jüngsten Umfrage aus dem Jahr 2021 hängen nur noch 31 Prozent der Spanier an ihrem Königshaus. 39,4 Prozent würden die Monarchie lieber abschaffen. Dabei steigt der Anteil der Befürworter einer spanischen Republik seit Jahren langsam, aber stetig. Es ist, als habe sich für viele Spanier die parlamentarische Monarchie als Staatsform überlebt. Das mag einerseits den Zeitläuften geschuldet sein. Andererseits aber hat die parlamentarische Monarchie in Spanien einen Geburtsfehler, der sie bis heute belastet: Sie ging unmittelbar aus der Diktatur hervor.

Diktator Francisco Franco setzte den jungen König Juan Carlos I. sogar als seinen Statthalter ein. Daher ist die Monarchie in Spanien bis heute mit der politischen Rechten assoziiert. Die Aufgabe, alle Spanier zu repräsentieren und zu einen, kann sie nur schwer erfüllen.
Darüber, inwieweit die 17-jährige Leonor sich von solchen politischen Verwerfungen betroffen fühlt, kann nur spekuliert werden. Ihre bisherigen Auftritte beschränken sich auf offizielle Anlässe, bei denen sie Reden hielt, die aus ihrem Mund immer ein wenig erbaulicher klingen, als wenn ihr Vater sie gehalten hätte. Felipe gilt als nüchtern, nicht besonders charismatisch. Leonor hat einen erfrischenden Charme.
Eine Frau auf dem spanischen Thron, das ist nach wie vor ungewöhnlich.
Leonor de Todos los Santos de Borbón y Ortiz, wie sie mit vollem Namen heisst, wird, wenn nichts dazwischenkommt, einmal die zweite Königin sein, die Spanien seit dem Zusammenschluss von Kastilien und Aragonien im 16. Jahrhundert hatte.

Ihre jüngste Vorgängerin auf dem Thron war Isabella II. (1830–1904), die allerdings 1868 gestürzt wurde. Eine Frau auf dem spanischen Thron, das ist nach wie vor ungewöhnlich. Die Erbfolge bevorzugt männliche Nachkommen.
Mit Exzentrik fällt Leonor bislang nicht auf, im Gegenteil. Ihrer Mutter, Königin Letizia, einst Fernsehjournalistin, wurde nach der Hochzeit mit Felipe von einigen spanischen Medien so lange nachgestellt, dass diese nun grossen Wert darauf legt, dass es ihren Töchtern nicht ähnlich ergeht. Das Privatleben von Leonor und ihrer Schwester Sofía ist geheim.

Das ganze Königshaus wirkt unnahbar, als würde die königliche Familie in einer Festung wohnen und nicht im Gartenpalast Zarzuela im Norden der Hauptstadt Madrid.
Heute ist Königin Letizia eines der beliebtesten Mitglieder des spanischen Königshauses.
Die Verschlossenheit lässt Gerüchte spriessen. Diverse Boulevardmedien versuchen seit Jahren erfolglos, Leonor einen Freund anzudichten. Bislang hat sich keines der Gerüchte bestätigt. Das jüngste betrifft einen jungen Brasilianer, Millionärssohn und laut spanischen Medien «ein wenig pummelig». Darüber, ob die Prinzessin mit ihm zusammen die Sommerferien bis zum Start der Militärakademie verbracht hat, ist nichts bekannt.
Ihre Mutter, die 50-jährige Letizia, ist so etwas wie die Garantin der Bodenständigkeit ihrer Töchter.
Als angeheiratete Bürgerliche hatte es die heutige Königin Spaniens nicht immer leicht am Hof. Insbesondere ihre Schwiegereltern sollen ihr das Leben eine Zeit lang schwer gemacht haben, heisst es von spanischen Königshaus-Experten wie der Journalistin und Buchautorin Pilar Eyre. Doch Letizia hat durchgehalten – und sich am Ende durchgesetzt. Heute ist die Königin eines der beliebtesten Mitglieder des spanischen Königshauses.

Letizia weiss, was da auf ihre Erstgeborene zukommt und dass es eher Schicksal als Gnade ist, eine Prinzessin zu sein. Als die königliche Familie vor wenigen Monaten eine Einrichtung für sozial benachteiligte Kinder auf Mallorca besuchte, stellten die Kinder dort ihren Gästen recht ungenierte Fragen. Wie gross er eigentlich sei?, wollten sie vom hochgeschossenen König wissen. 1,93 Meter, antwortete Felipe VI. Und was Leonor einmal werden möchte, wenn sie erwachsen ist? Da antwortete Letizia schneller als ihre Tochter: «Nicht, was sie möchte, sondern, was sie werden muss.» Das Leben als künftige Königin, es hat weniger mit Wollen als mit Müssen zu tun.
Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption
Spaniens Könige regieren nicht, sie repräsentieren. Preise verleihen, Gebäude einweihen und an Weihnachten erbauliche Reden halten. Das ist im Wesentlichen der praktische Teil von Leonors künftigen Aufgaben. Aber es gibt da noch eine andere Aufgabe, weniger sichtbar und deutlich schwieriger: Spaniens Könige müssen auch dafür sorgen, dass die Institution der Krone selbst weiterlebt. Und hier wird vermutlich die grösste Herausforderung für Leonor liegen.

Aufstieg und Fall der spanischen Krone sind eng verknüpft mit Leonors Grossvater Juan Carlos I. Ihm kam in den 1970er-Jahren die Rolle zu, das Land von der Franco-Diktatur in die Demokratie zu führen. Er tat dies mit Würde, Bedacht und der notwendigen Entschlossenheit. Sogar einen Militärputsch verhinderte der König im Jahr 1981. Juan Carlos I. war Spaniens strahlender Held und geliebter König – bis zahlreiche seiner Verfehlungen bekannt wurden.
Dem Altkönig werden diverse Affären nachgesagt, vor allem aber Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption zur Last gelegt. Belangt werden kann der heute 85-Jährige für seine Eskapaden nicht, davor schützt ihn die königliche Immunität. Denn seine mutmasslichen Vergehen beging er während seiner Zeit im Amt.

2008, als in Spanien gerade Tausende Menschen aufgrund der Finanzkrise ihre Wohnungen verloren hatten und sich in Madrid die «colas de hambre», die Hungerschlangen, bildeten, redete Juan Carlos I. in seiner Weihnachtsansprache von der «Moral» und dem «Gemeinsinn», die die Spanier bräuchten, um die gegenwärtigen Probleme zu überwinden. Es waren jene Jahre der Krise, in denen Juan Carlos sich auf einer folgenreichen Luxus-Safari in Afrika die Hüfte brach.
Felipe wählte den Weg der maximalen Distanz zu seinem Vater: Er hat sich selbst enterbt, verzichtet auf Eskapaden und legte sogar sein Privatvermögen offen.
Der König auf der Jagd nach Elefanten, während zu Hause die Spanier unter der Krise ächzten. Es war auch die Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse, die Juan Carlos im Jahr 2014 schliesslich dazu zwangen, abzudanken.
Sein Sohn Felipe VI. übernahm den Thron. Doch mit Juan Carlos’ Niedergang verlor die spanische Krone ihren Glanz. Felipe hatte die schwierige Aufgabe, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, der einerseits Grosses geleistet und andererseits unverzeihliche Fehler gemacht hatte. Er wählte den Weg der maximalen Distanz zu seinem Vater: Er hat sich selbst enterbt, verzichtet auf jegliche Eskapaden und legte im vorigen Jahr sogar sein Privatvermögen offen. 2,6 Millionen Euro besitzt das spanische Königshaus demnach. Eine eher geringe Summe im Vergleich zu anderen europäischen Dynastien.
Felipes Saubermann-Kampagne ist schlichte Überlebensstrategie. Begeisterung entfacht der spanische König bei den wenigsten Spaniern. Zumal die Unterstützer einer Republik immer mehr und die Anhänger der Monarchie zunehmend älter werden. Sollte irgendwann der höchste Repräsentant des spanischen Staates keine Anhänger mehr haben, ist auch eine Verfassungsänderung, mit der Spanien sich selbst zur Republik erklären und die Monarchie abschaffen könnte, nicht mehr völlig ausgeschlossen.
Antiquierte Monarchie
So weit ist man allerdings noch lange nicht. Auch wenn die Idee einer Republik durchaus prominente Fürsprecher hat. Javier Bardem, Spaniens erfolgreichster Schauspieler und Ehemann von Penélope Cruz, erlaubte sich kürzlich beim Fototermin für seinen neuen «Arielle»-Film, in dem er König Triton spielt, ein halb ironisches «Viva la República!» Es lebe die Republik!
Dass Bardem und Felipe sich nicht viel zu sagen haben, ist kein Geheimnis. 2021 hätte der Schauspieler vom König die Goldene Medaille der Schönen Künste erhalten sollen. Zur Preisverleihung erschien er nicht – angeblich wegen «beruflicher Verpflichtungen».
Wie Javier Bardem geht es heute vielen Spaniern. Sie finden die Monarchie im besten Falle altmodisch, im schlimmsten Fall den Kopf eines korrupten Systems. Für seine Gegner ist das Königshaus ein Relikt aus einer anderen Zeit, viele assoziieren es bis heute mit dem Franquismus. Der Schatten des Diktators reicht sogar bis zu Leonor, die irgendwann einmal die erste Königin Spaniens der Neuzeit werden könnte. Und womöglich auch die letzte.
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