Machtkampf in OstdeutschlandDie Koalition steckt in der Krise – wegen 86 Cent
In Sachsen-Anhalt will die CDU die Erhöhung der TV- und Radiogebühr blockieren, zur Not zusammen mit der AfD. Der CDU-Ministerpräsident ist darüber genauso entsetzt wie die Koalitionspartner und die Parteispitze in Berlin.
Vor neun Monaten löste sich im Osten Deutschlands schon mal eine verfahrene Situation in einem grossen Feuerball auf, der das ganze Land aufschreckte. Das war, als CDU und FDP in Thüringen mithilfe der rechtsradikalen AfD einen FDP-Ministerpräsidenten wählten, wenigstens für ein paar Tage.
In Sachsen-Anhalt könnte sich in den nächsten Tagen etwas ganz Ähnliches ereignen: Über eine Sachfrage haben sich die Koalitionspartner derart zerstritten, dass nicht nur der Weiterbestand der Regierung, die Macht des Ministerpräsidenten, sondern darüber hinaus der Ruf der CDU im Superwahljahr 2021 in Gefahr steht. Und wieder lauert die AfD im Hintergrund.
Wegen 86 Cent
hat die CDU eine
offene Feldschlacht angezettelt.
In der Sache geht es um 86 Cent: Um diesen Betrag soll die deutsche TV- und Radiogebühr ab 2021 steigen, von bisher 17,50 auf 18,36 Euro im Monat. Es ist die erste Erhöhung seit 2009, festgelegt wurde sie weder von den Medien noch von der Politik, sondern von einer unabhängigen Kommission. Die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer stimmten dem entsprechenden Staatsvertrag zu, ebenso 14 von 16 Landesparlamenten. Im 15. steht das Plazet kurz bevor. Das 16. ist Sachsen-Anhalt.
Wichtig zu wissen ist, dass der Parlamentsvorbehalt im Grunde nicht politischer, sondern notarieller Natur ist: Welches Radio und Fernsehen die Deutschen haben wollen, entscheidet sich bei der Verhandlung eines separaten Medienstaatsvertrags. Die Festlegung der Gebührenhöhe hingegen ist eine technische Angelegenheit – ausser man politisiert sie.
«Zu teuer, zu westlich, zu links»
Die CDU in Magdeburg bekämpft die steigenden Gebühren für ARD und ZDF schon seit vielen Jahren, mit ähnlichen Argumenten wie die AfD: Die öffentlich-rechtlichen Medien seien viel zu teuer, berichteten zu wenig und zu wenig positiv über den Osten. Zudem seien sie viel zu links.
Ursprünglich war auch die Linke gegen die Erhöhung, was es der CDU ermöglicht hätte, den Staatsvertrag zu versenken, ohne die Hilfe der AfD in Anspruch zu nehmen. Seit die Linke umgeschwenkt ist, steckt die CDU in der Falle. Sie hat mit der AfD zwar eine Mehrheit im Parlament, darf mit ihr aber keine Mehrheit bilden, weil sie sonst gegen das entsprechende Verbot der Bundes-CDU verstossen und die Koalition mit SPD und Grünen sprengen würde.
Was steht im Koalitionsvertrag?
Die Koalition hat 2016 vereinbart, sie halte am «Ziel der Beitragsstabilität» fest. Jegliche Erhöhung ausgeschlossen hat sie nicht. SPD und Grüne wollen für die moderate Erhöhung stimmen, die CDU wirft ihnen vor, damit den Koalitionsvertrag zu brechen. SPD und Grüne wiederum kündigen an, die Regierung zu verlassen, falls die CDU mit der AfD gegen die Erhöhung stimme.
Der 66-jährige Reiner Haseloff ist seit neun Jahren Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Der Christdemokrat formte 2016 die erste Kenia-Koalition Deutschlands, als schwarz-rot-grünes «Bollwerk der Mitte» gegen die Extreme AfD und Linkspartei. Teile seiner eigenen Fraktion, die offen mit der AfD sympathisieren und Grüne für linke Extremisten halten, haben das im Grunde nie akzeptiert.
Die sachsen-anhaltinische CDU gilt nicht nur als konservativste CDU-Fraktion Deutschlands, sondern auch als störrischste und chaotischste. Autorität hat bei ihr im Grunde niemand, schon gar nicht Ministerpräsident Haseloff.
In sechs Monaten wird gewählt
In einem halben Jahr soll in Sachsen-Anhalt der neue Landtag gewählt werden, entsprechend heftig wird in der CDU um die künftige Richtung gekämpft: Wieder mit Haseloff in der Mitte? Oder mal mit der AfD? An diesem Punkt kommt Holger Stahlknecht ins Spiel, Haseloffs Gegenspieler.
Stahlknecht, Chef der Landes-CDU, wollte Haseloff als Ministerpräsident beerben, musste aber nach einigen Fehlern erneut hinter diesen zurücktreten. In der Schlacht um die Rundfunkgebühr sah der 56-Jährige nun seine Chance, das Blatt noch zu wenden.
In Berlin wächst das Entsetzen
Statt Haseloff bei der Kompromisssuche zu unterstützen, bestärkte er die Fraktion in ihrer Renitenz. Für den Fall, dass SPD und Grüne die Regierung verliessen, stellte er eine Minderheitsregierung der CDU in den Raum – toleriert von der AfD. Haseloff konterte den Putschversuch sofort und entliess Stahlknecht als Innenminister.
Die Wirren von Magdeburg ziehen längst Kreise in der Bundespolitik. SPD und Grüne beschuldigen die CDU, nach der «Schande von Thüringen» erneut mit der AfD zu paktieren. Das stimmt für Haseloff zwar gerade nicht, für einige seiner Parteifreunde aber schon. Die CDU-Spitze in Berlin schaut dem Treiben mit zunehmendem Grausen zu – Einfluss auf Magdeburg hat sie im Grunde so wenig wie vor neun Monaten auf Erfurt.
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