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Volksinitiative zur Biodiversität
Soll die Schweiz Milliarden für Naturschutzgebiete ausgeben?

Zu wenig Schutzgebiete: Erst 13,4 Prozent der Landesfläche sind als Schutzgebiete ausgewiesen. 
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Sein Ende hat keine Wellen geworfen. Der Bodensee-Steinbrech wuchs einst am Ufer des gleichnamigen Sees. Doch dann, in den 70er-Jahren, verschwand die krautige Pflanze. Sie ist ein Beispiel dafür, wie die biologische Vielfalt in der Schweiz abnimmt: ohne Knall, schleichend. Mehr als 250 Tier- und Pflanzenarten sind hierzulande bereits ausgestorben. Ohne Gegenmassnahmen, darin sind sich Fachleute einig, werden weitere folgen. Mittlerweile sind landesweit die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten bedroht. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bewertet den Zustand als «schlecht», die Entwicklung als «unbefriedigend».

Der Bundesrat will dieses stille Sterben stoppen oder zumindest eindämmen. In Zukunft sollen Biodiversitätsschutzgebiete mindestens 17 Prozent der Landesfläche ausmachen – eine Fläche von der Grösse des Kantons Graubünden. Heute sind es laut Bafu erst 13,4 Prozent; dazu gehören nicht nur bekannte Schutzobjekte wie der Nationalpark, sondern auch Moore, Waldreservate und Jagdbanngebiete.

Der Bundesrat will das Ziel gesetzlich verankern. Es ist das Herzstück seiner Antwort auf die sogenannte Biodiversitätsinitiative, die Natur- und Umweltschutzverbände im September eingereicht haben. Das Volksbegehren verlangt einen stärkeren Schutz der Biodiversität und Landschaft und des baukulturellen Erbes – und damit mehr Geld. Bund und Kantone sollen dafür sorgen, dass die entsprechenden «Mittel und Instrumente zur Verfügung stehen». Auch sollen für «erhebliche Eingriffe» in Schutzobjekte des Bundes und der Kantone «überwiegende Interessen» von nationaler respektive kantonaler Bedeutung vorliegen.

Dem Bundesrat geht das zu weit. Er sieht den Handlungsspielraum der Kantone «übermässig» eingeschränkt, auch stelle der verlangte strengere Schutz namentlich bei kleineren Schutzgebieten eine starke Einengung dar, etwa für die Wirtschaft, aber auch für die Energiepolitik, welche erneuerbare Energien wie Solar- und Windanlagen fördert – und damit potenzielle Konflikte mit dem Landschaftsschutz.

Umweltschützer reagieren unterschiedlich

Die Initianten reagieren zurückhaltend auf den indirekten Gegenvorschlag, den der Bundesrat letzten Freitag angekündigt hat. Es seien erst «vage Züge» bekannt, sagt Raffael Ayé, designierter Geschäftsführer von Birdlife Schweiz. «Es ist noch nicht klar, wie viel Substanz er tatsächlich enthält.» Immerhin, so Ayé, anerkenne der Bundesrat den «grossen Handlungsdruck». Das Departement von Umweltministerin Simonetta Sommaruga arbeitet bis im Frühjahr die Details des indirekten Gegenvorschlags aus, mit entsprechenden Änderungen des Natur- und Heimatschutzgesetzes.

Die Skepsis der Umweltschützer rührt nicht zuletzt daher, dass der Bundesrat materiell nichts wirklich Neues präsentiert hat. Zum 17-Prozent-Ziel hat sich die Schweiz im Rahmen der internationalen Biodiversitätskonvention vor zehn Jahren und damit schon längst verpflichtet. Erreichen müsste sie es dieses Jahr. Entsprechend hin- und hergerissen sind Umweltschützer. Die einen verbuchen es als Erfolg, dass SP-Magistratin Sommaruga im bürgerlichen Bundesrat mit einem Gegenvorschlag durchdringen konnte. Andere haben sich mehr erhofft als bloss die gesetzliche Verankerung eines Ziels, zu dem sich die Schweiz längst bekannt hat.

Auch bei der Umsetzung des Ziels wandelt der Bundesrat auf bereits eingeschlagenem Weg. So etwa will er die Waldreservate ausbauen – ein Ziel, das bereits in der Waldpolitik 2020 festgeschrieben steht. Nicht neu ist auch die Absicht, nationale Biotope zu sanieren; dies steht schon im Aktionsplan Biodiversität, den der Bundesrat 2017 verabschiedet hat. Alles in allem will der Bundesrat also bestehende Instrumente stärken. Nur punktuell sieht er Ergänzungen vor. Zum Beispiel soll im städtischen Raum und in Agglomerationen mehr für die Natur getan werden.

Allein die Sanierung der nationalen Biotope kostet schätzungsweise 1,6 Milliarden Franken.

Die Volksinitiative ist umstritten – auch finanzpolitisch. Allein die Sanierung der nationalen Biotope, wozu etwa die Revitalisierung von Auen gehört, kostet schätzungsweise 1,6 Milliarden Franken. SVP-Nationalrat Mike Egger warnt, die Kosten seien sehr hoch, der Nutzen für die Umwelt äusserst ungewiss. Er befürchtet auch nicht hinnehmbare Einschränkungen für die Landwirtschaft durch neue Schutzgebiete: «Bauernfamilien sind auf eine Agrarpolitik angewiesen, die auf Kontinuität setzt und die Programme zur Biodiversitätsförderung nicht mit jeder neuen Reform wieder grundlegend ändert.»

Zum Gegenvorschlag äussern sich bürgerliche Politiker skeptisch. Dort gelte es allerdings noch, den definitiven Entwurf abzuwarten. Wie teuer die Umsetzung des Gegenvorschlags wird, ist nicht bekannt. Das Bundesamt für Umwelt wagt keine Schätzung. Sicher sei, dass es weitere Mittel für den Schutz und die Förderung der biologischen Vielfalt brauche, sagt Hans Romang, Chef der Abteilung Biodiversität und Landschaft beim Bafu. Auch die Initianten lassen sich nicht auf die Äste hinaus. Eine Studie, die in Arbeit ist, soll Antworten geben. Die Finanzierungsfrage dürfte in der anstehenden Debatte im Parlament viel Raum einnehmen – zumal während der Corona-Krise und ihren Folgekosten. Die Initianten wissen um diese Klippe, wie Simona Kobel von Pro Natura klarmacht. Das Geld sei jedoch gut investiert. «Es ist unsere Lebensgrundlage, die wir sichern müssen.»