Episoden zur WMNelson Mandela und der Superläufer: Das sind die grössten Rugby-Momente
Der knallharte Sport verlangt den Spielern alles ab – und macht die Besten zu Legenden. Rückblick auf vergangene Turniere, bevor am Freitag die WM in Frankreich beginnt.
Zum Unmöglichen inspiriert
Und Nelson Mandela sagte: «Dieses Land dürstet nach wahrer Grösse.»
Welche Kraft der Sport entfalten kann, zeigte sich selten so eindrücklich wie beim Sieg der Südafrikaner an der Rugby-WM 1995 im eigenen Land. Als krasse Aussenseiter angetreten, schlugen sie erst Australien, später Frankreich und schliesslich, im Final in Johannesburg, sogar das übermächtige Neuseeland. Danach überreichte der schwarze Nelson Mandela dem weissen Captain Francois Pienaar den Pokal. Was für eine Symbolik für die junge Regenbogennation.
Erst zwölf Monate vor der WM war er an die Macht gekommen, vier Jahre nach seiner Freilassung und nur wenig nach dem Ende der Apartheid. Und er erkannte, dass diese Heim-WM der Anlass sein könnte, das gespaltene Land zu einen. Obwohl – oder gerade weil – die Springboks tief in der Kultur der weissen Minderheit Südafrikas verwurzelt sind und von den Schwarzen zunächst abgelehnt wurden. Mandela inspirierte vor allem Captain Pienaar, ans Unmögliche zu glauben.
Der eindrückliche Spielfilm «Invictus» mit Morgan Freeman und Matt Damon in den Hauptrollen nimmt sich dieser fantastischen Reise an.
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Die Sensation in der Nachspielzeit
Minutenlang würgten sie an der Mallinie herum. Versuchten mit Gewalt, die entscheidenden letzten Meter zu gehen. Drückten und drängten den übermächtigen Gegner an den Rand einer Niederlage. Und waren doch ständig in Gefahr, den Ball und damit das Spiel zu verlieren.
Bis in der vierten Minute der Nachspielzeit dieses Vorrundenspiels der WM 2015 gegen Südafrika der japanische Flügel Karne Hesketh sich mit Schwung ins Malfeld warf. Sein Try drehte die Partie in letzter Sekunde, der Sieg der Japaner ist eine der grössten Sensationen in der Rugby-Geschichte. «Ja in der Geschichte des Sports. Es ist ein Märchen, ein Wunder», schwärmte der englische TV-Kommentator.
Bis zu jenem Match am 19. September 2015 in Brighton hatten die Cherry Blossoms erst zweimal eine der grossen Rugby-Nationen besiegt, 1998 Argentinien und 2013 Wales. Südafrika ist aber noch die grössere Nummer, zu jenem Zeitpunkt immerhin Weltranglistenzweiter. Der überraschende Erfolg löste entsprechende Jubelstürme aus. Auf den Tribünen weinten die japanischen Fans.
Am Ende der Gruppenphase war die Hierarchie aber wiederhergestellt: Südafrika konnte weitere Patzer vermeiden und schaffte es dank der Bonuspunkte, die im Rugby für hohe Siege verteilt werden, auf Kosten Japans in den Viertelfinal.
Eine Enthauptung angedeutet
Selten war der Haka intensiver und aggressiver. Im WM-Final 2011 trafen Gastgeber Neuseeland und Frankreich aufeinander, zwischen den Teams herrschte zu jener Zeit eine besondere Rivalität. Die Neuseeländer packten zu diesem Anlass die alternative Version ihres Rituals aus. Der Haka «Kapa o Pango» wird als noch martialischer wahrgenommen, auch textlich. Am Ende wird mit dem Daumen eine Enthauptung angedeutet.
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Der Haka, der als Kriegstanz verstanden wird, aber eigentlich keiner ist, zählt zu den Besonderheiten des Rugby-Sports. Er wird allen Teams zugestanden, in denen die Kultur der Maori eine wichtige Rolle spielt. Neben Neuseeland sind das auch Tonga und Samoa. Aufgeführt wird er jeweils im Anschluss an die Nationalhymnen.
Diese Ausnahmeregel kommt nicht überall gleich gut an, und immer wieder gibt es Teams, die sich über eine Regel von World Rugby hinwegsetzen, die besagt, dass man eine Distanz von zehn Metern wahren muss. Im WM-Viertelfinal 2007 näherten sich die Franzosen bis auf einen Meter, und auch im Final vier Jahre später liessen sie die provokante alternative Version nicht auf sich sitzen. Sie stellten sich erst in einer V-Formation auf, hielten sich an den Händen und rückten im Laufe des neuseeländischen Haka nach und nach heran. Neuseeland gewann das Endspiel 8:7.
An der WM 2023 treffen sich die beiden Teams gleich im Eröffnungsspiel am Freitag im Stade de France wieder.
Nur die Nieren konnten den Superstar stoppen
Er war ein Monument seines Sports, und weil er Rugbyspieler war und in seinem Land kein Sport grösser ist als Rugby, war er auch ein Monument für ganz Neuseeland. Jonah Lomu war sein Name, 1975 in schwierige familiäre Verhältnisse geboren. Er hing auf der Strasse herum, 13 war er damals, als ein Räuber die Schuhe von ihm wollte. Jonah begann sich langsam zu erheben und wuchs immer weiter, er war damals schon über 1,80 m gross und 100 kg schwer. Später erzählte er einmal, in diesem Moment habe er realisiert, welche Macht er habe, jemand zu sein.
Aus dem Jungen von den Strassen Aucklands wurde der erste globale Star seines Sports. Dass er 1,96 m gross war und 119 Kilo schwer, war schon eindrücklich genug, aber der Wing Back konnte die 100 m in 10,8 Sekunden sprinten. Seine Läufe am linken Flügel sind zu vergleichen mit Dribblings von Maradona – und einer bleibt ganz besonders in Erinnerung. An der WM 1999 in England, gegen den Gastgeber, als er mit seinem Sturmlauf das Spiel entschied. «Die Sunday Times» zeichnete in einer ganzseitigen Grafik jeden seiner 29 Schritte nach, mit denen er einen Gegner nach dem anderen abschüttelte.
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Die Ironie ist, dass Lomu nie Weltmeister geworden ist. Sein Vermächtnis liegt in seinem Spiel, das verhalf ihm zu Werbemillionen. Sein Schicksal war, dass bei ihm schon früh, mit 21, eine schwere Nierenkrankheit festgestellt wurde. 2015 erlag er, 40-jährig, seinem Leiden.
Der David Beckham des Rugby
Die Engländer haben eine grosse Sportnation, aber ein Problem: Im Fussball sind sie erst einmal Weltmeister geworden, und darum wäre es für sie so wichtig gewesen, hätten die Frauen diesen Sommer den Final gegen Spanien gewonnen.
Im Rugby sind sie auch eine Grossmacht. Nur Neuseeland hat so oft in einem Endspiel gestanden wie sie. Es gibt aber eine kleine, schmerzliche Differenz: Die All Blacks haben drei ihrer vier Finals gewonnen, die Engländer dagegen drei verloren, 1991, 2007 und 2019.
Darum überstrahlt dieser Triumph von 2003 alles. Es war der 22. November, Gegner war Australien, und der Gastgeber beschwerte sich über das körperbetonte und simple Spiel Englands. Bei 17:17 ging es in die Verlängerung, 26 Sekunden waren noch zu spielen, als Jonny Wilkinson in Aktion trat, 24-jähriger Fly-half, ein Spielmacher.
Nach seinem Rücktritt erzählte er dem «Telegraph Magazine»: «Das war der einzige Moment in meiner Karriere, in dem ich nichts dachte. Der Ball kam, er flog mir in die Hände, und ich schoss.» So einfach, so grossartig. Sein Dropkick brachte die drei Punkte, die England den Titel sicherten.
Seit diesem Tag ist Wilkinson in seiner Heimat das, was David Beckham für den Fussball (und darüber hinaus) ist: eine Berühmtheit. Er wurde von der BBC zum Sportler des Jahres gewählt und später mit diversen Titeln des englischen Königreichs geehrt.
Kolisi und die überladene Symbolik
Wahrscheinlich gibt es kein Land, in dem Rugby von mehr Symbolik überladen ist als Südafrika. Das war auch 2019 so, 24 Jahre nach dem berühmten Endspiel im Ellis Park. Die Springboks standen beim Turnier in Japan im Final, und ihr Spiel gegen England verstanden viele daheim als Chance, ihrem Land Hoffnung zu geben und tiefgehende soziale Probleme zu lösen. Es war ein nach wie vor gespaltenes Land.
Das Gesicht der Mannschaft war Siya Kolisi. Siyas Geschichte begann in einer Township in Port Elizabeth. Er war 12, als die Grossmutter starb, die ihn grossgezogen hatte. Es war auch das Alter, als er in Boxershorts auf einem staubigen Platz Rugby spielte, weil er keine andere Hose besass. Ein Scout entdeckte ihn und vermittelte ihm ein Stipendium.
«Meine Geschichte ist eine typisch südafrikanische Geschichte», sagte Kolisi einmal. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Kolisi war der Captain der Springboks, als sie England auf dem Weg zu ihrem dritten Titel besiegten – Kolisi, der erste Schwarze mit der Binde am Arm, der Spieler mit der Nummer 6, dieser in Südafrika so ikonischen Nummer, seit sie Francois Pienaar 1995 getragen hatte.
Kolisi ist mit einer weissen Frau verheiratet. Von Rassisten wurde sie deshalb beschuldigt, «ihre guten weissen Gene zu verschwenden». Kolisi ist auch jetzt in Frankreich der Mann mit der Nummer 6.
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