Historischer Coup für FussballerinnenDas könnte der Wendepunkt sein: Die EM 2025 kommt in die Schweiz
Nun haben auch die Frauen ihren Grossanlass: Die Schweizer Bewerbung setzt sich gegen starke Konkurrenz durch – das ist eine historische Chance.
Die Schweiz hat ihre nächste Fussball-Europameisterschaft. Nach 2008, als die Männer gemeinsam mit Österreich eine Heim-EM austragen durften, sind im Sommer 2025 die Frauen an der Reihe. Als Uefa-Präsident Aleksander Ceferin vor 17 Uhr Schweizer Zeit in Lissabon den Namen «Switzerland» ausrief, erlebte die Schweizer Delegation um SFV-Präsident Dominique Blanc und Frauenfussball-Direktorin Marion Daube einen Gefühlszustand irgendwo zwischen Erleichterung und Ekstase. «Wir sind stolz, dass unsere Bewerbung überzeugt hat und möchten zeigen, dass der Fussball für alle zugänglich ist», lässt sich Daube vom Schweizerischen Fussballverband zitieren. Im Schlussgang gewann die Schweiz gegen die nordische Kandidatur mit 9:4 Stimmen.
Im Vorfeld sprach sie von den «wichtigsten fünf Minuten meines Lebens», sie meinte damit die Zeit, die sie vor dem Exekutivkomitee kriegte, um ihm die Bewerbung ein letztes Mal zu präsentieren. Oftmals gilt das als Formalität, die Meinungen sind da meistens schon gemacht – doch wie Daube im Nachhinein erfuhr, seien diese fünf Minuten für die gewonnene Abstimmung ausschlaggebend gewesen. Gemeinsam mit einem Überraschungsgast, der Zürcher Rapperin Lou Kaena, hat sie es geschafft, das Exekutivkomitee zu beeindrucken. Vielleicht lag es aber auch an der Schweizer Schokolade, mit der Daube die Uefa-Verantwortlichen bestochen hatte. Wie auch immer, auf diese fünfminütige Darbietung, ein Mix aus Präsentation und Rap, folgen nun die vielleicht wichtigsten zwei Jahre. Denn mit dem Zuschlag kommt die grosse Verantwortung, den immensen Erwartungen gerecht zu werden.
Ein möglicher Wendepunkt
Nutzt die Schweiz die von der Uefa erhaltene Chance, könnten die nächsten Jahre eine Art Wendepunkt für Fussball spielende Frauen und Mädchen in der Schweiz bedeuten. Die mehr als 45 Millionen Franken, die Städte und Kantone zugesichert haben, sind ein beachtliches Startkapital. Eines, das quasi verpflichtet, das in der Bewerbung gemachte Versprechen einzuhalten – und die Schweiz in eine grosse Festhütte zu verwandeln. Dem ist sich Daube bewusst: «Unser Turnier soll ein vierwöchiges Fest für die ganze Schweiz und durch unsere Lage im Herzen von Europa auch für die umliegenden Länder werden.»
Noch wichtiger wird aber sein, die Clubs und Verbände mit einzubeziehen, sie zu unterstützen, aber auch in die Pflicht zu nehmen. Der kürzlich erschienene Gastbeitrag von Lia Wältis Schwester in diversen Zeitungen der AZ Medien widerspiegelt die aktuelle Gefühlslage im Schweizer Fussball der Frauen ziemlich akkurat. Meret Wälti lässt die ehemaligen Nationalspielerinnen Lara Dickenmann und Sandra Betschart zu Wort kommen, beide sind aktuell als General Manager bei ihren Clubs Tätig (Dickenmann bei GC, Betschart bei YB) – und beide scheinen dem Ist-Zustand hierzulande wenig Positives abgewinnen zu können.
Sie sprechen von Trainern, die bei den Buben oder Männern abgelehnt oder abgeschoben werden und nur deshalb im Mädchen- oder Frauenfussball landen. Das ist ein ähnliches Phänomen wie diejenigen Coaches, die nur deshalb temporär ein weibliches Nachwuchs- oder Aktivteam übernehmen, um die vom Verband vorgeschriebene Zeit als Trainer in einer Stufe zu absolvieren – um dann nach einer Saison zurück in den Männerfussball zu wechseln. Darunter leidet die nachhaltige Entwicklung der Frauen, zugunsten kurzfristiger Fortschritte einzelner Männer.
Mit der EM 2025 am Horizont dürfte wohl auch die Motivation steigen, auf einen ins Rollen kommenden Zug aufzuspringen. Sie bietet nicht nur den aktuellen und angehenden Fussballerinnen eine Perspektive, sondern auch dem dringend notwendigen Personal ausserhalb des weiss markierten Fussballfeldes. Und den Städten vielleicht ein paar Gründe mehr, den Women’s-Super-League-Teams den Zugang zu den grossen Stadien zu erleichtern.
Erreicht das Nationalteam dann seinen Zenit?
Sportlich hingegen hält sich der Spielraum in Grenzen, weil zwei Jahre nicht für einen Neuaufbau reichen. Die EM-Qualifikation des U-17-Nationalteams beweist aber, dass im Nachwuchs Talente vorhanden sind, die für die Heim-EM interessant werden könnten. Dazu prognostizierte der abgetretene Nationaltrainer Nils Nielsen vor einem Jahr, dass das aktuelle Nationalteam mit Ergänzungen aus dem Nachwuchs seinen Höhepunkt just bei der Europameisterschaft 2025 erreichen könnte. Leistungsträgerinnen wie Ana Maria Crnogorcevic, Ramona Bachmann oder Lia Wälti befinden sich dann zwar im Herbst ihrer Karriere, ein solch historisches Ereignis dürfte aber für die notwendige Motivation sorgen, um in bestmöglicher Verfassung anzutreten. «Als ich 2009 im Nationalteam begann, hätte ich mir nicht mal erträumen können, je an einer EM dabeizusein», sagt Crnogorcevic. Und nun erlebt sie eine im eigenen Land: «Das ist einfach unglaublich.»
Ein weiteres Argument für Nielsen war, dass hoffnungsvolle Talente ein paar Schritte weiter in ihrer Entwicklung sein werden. Das beste Beispiel dafür ist Riola Xhemaili, die im Sommer von Freiburg zum deutschen Spitzenclub Wolfsburg wechselt.
Nielsens Nachfolgerin Inka Grings kann zudem nach der WM kommenden Sommer ihr Team zwei Jahre lang gezielt und in Ruhe aufbauen, weil die Schweiz als Gastgeberin die EM-Qualifikation nicht bestreiten muss.
Tatjana Haenni, bis Ende 2022 Chefin der Direktion Frauenfussball beim SFV, prophezeite vor ihrem Abgang in die USA, dass der Schweizer Fussball der Frauen bei einem Zuschlag zu einem Höhenflug ansetzen werde – einem, der das Potenzial habe, Dinge zu bewegen, die sonst bis zu zehn Jahre dauern würden. Dieser Verantwortung ist sich auch Nachfolgerin Daube bewusst: «Wir möchten das Vermächtnis des Turniers über viele Jahre sicherstellen.»
Vielleicht erhält dieser Höhenflug mit der anstehenden Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland sogar noch weiteren Auftrieb. Da spielt die Schweiz in der Gruppe A gegen Neuseeland, Norwegen und die Philippinen – der Einzug in den Achtelfinal scheint realistisch. Das wäre so etwas wie der sportliche Startschuss in eine richtungsweisende Phase für den Schweizer Fussball der Frauen.
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