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Zeitungen in Italien
Die Familie Agnelli übernimmt ein Medienimperium

Ein Viertel der italienischen Presse gehört der Industriellenfamilie Agnelli: Kundin am Kiosk in Rom. Foto: Alessia Pierdomenico (Getty Images)
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Giano ist das italienische Wort für Janus, den römischen Gott des Anfangs und des Endes. Und dass der zwei Gesichter hat, einen Doppelkopf, ist vielleicht nicht das glücklichste Symbol für diese Geschichte. Es ist die Geschichte einer tektonischen Verwerfung grösseren Ausmasses. Es ist auch die Geschichte einer Revolution von oben, wie man da und dort lesen kann. Am meisten wird man sie in Rom spüren. Giano Holding, so heisst ein neues Unternehmen aus dem weiten Imperium Exor der Turiner Industriellenfamilie Agnelli: 144 Milliarden Euro Jahresumsatz, vor allem mit Autos von Fiat und Chrysler.

Es übernimmt nun auf einen Schlag etwa ein Viertel aller Zeitungen und Zeitschriften in Italien, das gesamte Portfolio von Gedi der römischen Verlegerfamilie De Benedetti. Dazu gehören die Tageszeitungen «La Repubblica» aus Rom, «La Stampa» aus Turin, «Il Secolo XIX» aus Genua, ein Dutzend Lokalblätter, das grosse Wochenmagazin «L’Espresso», die geopolitische Zeitschrift «Limes», das philosophische Heft «Micro Mega», Radiosender, digitale Marken, eine Werbeagentur. Das ist nicht nur eine Sammlung von Titeln, das ist eine ganze, eigene Geisteswelt.

Ein Stellenabbau ist geplant

Ziel der neuen Besitzer ist es, aus diesen Titeln eine starke Plattform für multimediale Formate zu formen, die den Sprung in die digitale Zukunft schafft. Wenn man den italienischen Branchenexperten glauben darf, muss der Sprung mit sehr viel schlankeren Belegschaften gelingen. Überall sind offenbar scharfe Kostenschnitte geplant. Allein bei «Repubblica» sollen mehr als hundert von 350 Reporterstellen gestrichen werden.

Die zentrale Frage aber geht so: Bleiben die beiden grossen Tagestitel, «La Stampa» und «La Repubblica», in ihrer alten Prägung unabhängig bestehen? Es geht um Welten. Als der berühmte Publizist Eugenio Scalfari 1976, mitten in den Jahren des Terrorismus, die linksliberale «Repubblica» gründete, schrieb er in seinem ersten Leitartikel: «Das ist eine Nachrichtenzeitung, die explizit Stellung bezieht, statt sich einer illusorischen Neutralität hinzugeben.» Die italienischen Zeitungen sind politisch leicht verortbar, obschon es keine Parteiblätter im eigentlichen Sinn mehr gibt.

Um nur die fünf grössten Zeitungen im medienpolitischen Machtdreieck Mailand-Turin-Rom grob einzuordnen: Der «Corriere della Sera» ist das Blatt des Mailänder Bürgertums: wirtschaftsliberal, meist regierungsnah. Die «Repubblica» ist die Zeitung urbaner, progressiver Leser. «La Stampa» gehörte früher schon mal der Familie Agnelli, damals war sie die Zeitung von Fiat – und das Megafon des Fussballvereins Juventus Turin. «Il Sole 24 Ore» ist ein Wirtschaftsblatt, es hört auf den Arbeitgeberverband Confindustria. Die junge Zeitung «Il Fatto Quotidiano» ist so etwas wie das Zentralorgan der Regierungspartei Cinque Stelle.

Der neue Konzern will keinen linken Chefredaktor

Darum ist es für die Meinungsbildung in Italien jetzt so wichtig, wo dieser Turiner Janus hinschauen wird: nach vorne oder nach hinten, nach links oder eher weiter nach rechts. Der erste Personalentscheid gab schon mal eine Vorahnung. Maurizio Molinari, der Chefredaktor der «Stampa», wird publizistischer Direktor der gesamten Gruppe und gleichzeitig Redaktionsleiter von «Repubblica». Molinari war Korrespondent in New York, dann in Israel. Er gilt als Atlantiker, ist vor allem an den grossen internationalen Zusammenhängen interessiert. Innenpolitisch hält man ihn für einen Zentristen, ein Linker ist er sicher nicht. Und das ist so gewollt.

Präsident von Giano ist John Elkann, der Konzernchef von Exor – ein Agnelli, auch wenn sein Name das nicht verrät. Elkann ist selbst Sohn eines Journalisten und Enkel von Gianni Agnelli, dem 2003 verstorbenen «Avvocato». Den hatte man früher, als er über Turin und ein bisschen auch über das Land herrschte mit dem grössten italienischen Privatunternehmen, den ungekrönten König Italiens genannt. Der Enkel sieht offenbar eine Möglichkeit, das Erbe fortzusetzen: Die Agnellis sind mit 43 Prozent der Anteile auch die grössten Einzelaktionäre des britischen Magazins «The Economist». John Elkann soll kein Freund der grossen Titelbuchstaben sein, wie sie «Repubblica» früher gegen Silvio Berlusconi und neuerdings gegen die Rechtspopulisten um Matteo Salvini setzten, fett auf der Frontseite.

Der neue starke Mann in der italienischen Medienbranche: John Elkann, Präsident von Giano und Konzernchef von Exor.

Molinari wird die grossen Buchstaben wohl schnell in den Setzkasten zurücklegen. Er löst Carlo Verdelli ab, der das Blatt erst seit etwas mehr als einem Jahr geführt hatte, markant weiter links als sein Vorgänger. Dass Verdelli ausgerechnet am letzten Donnerstag entlassen wurde, empfanden viele Kommentatoren als Affront, obschon der Entscheid wohl schon seit längerem geplant gewesen war: Verdelli steht neuerdings unter Personenschutz, weil ihm eine anonyme, wahrscheinlich neofaschistische Gruppe wegen seiner publizistischen Linie gegen Salvini schon mehrmals mit dem Tod drohte. «Das Timing war zumindest peinlich», schrieb das Redaktionskomitee in seiner Protestnote und streikte für einen Tag.

Von Zeitungsgründer Scalfari hört man, er sei dermassen aufgebracht gewesen über Verdellis Entlassung, dass er gedroht habe, nie mehr für seine Zeitung zu schreiben. Das tut er, mit 96 Jahren, noch immer mindestens einmal die Woche, stets sonntags. Seine langen Leitartikel sind so etwas wie die säkulare Sonntagsmesse. In Rom laufen derweil schon Bestrebungen, die Zeitungsstimme, die da zu verstummen droht, mit einem neuen Titel zu ersetzen – im Tonfall der alten «Repubblica».