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Internationaler Tag der Roma
«Die falschen Bilder über uns müssen endlich weg»

Jenische positionieren einen Wohnwagen auf dem Schermenareal zwischen Woelflistrasse und Schermenwald in Bern. Noch immer mangelt es in der Schweiz an Standplätzen. 
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Kemal Sadulov (53)

Präsident Verein Romano Dialog, Sozialpädagoge, Radiomoderator

«Wir Roma leben unseren Alltag ganz normal – Familie, Arbeit, Schule. Doch darüber und über die Geschichte der Schweiz mit den Roma wissen die Leute wenig. Ihr Bild von uns ist stark geprägt durch Kunst, Medien, Filme und pseudowissenschaftliche Publikationen – oft stereotype Darstellungen. Das hat mit dem Alltag nichts zu tun.

Der strukturelle Rassismus und Rassismus im Alltag sind noch immer präsent. Da überlegen sich viele: Wie viel von meiner Kultur zeige ich gegen aussen? Einige sind aber proaktiv. Ich bin einer von ihnen.

Der Entscheid des Bundes, uns Roma nicht als nationale Minderheit anzuerkennen – im Wissen, dass die Schweiz in der Vergangenheit Roma lange Jahre aus dem Land vertrieb und nicht einreisen liess –, ist ein zynischer Entscheid, ein Skandal. Es ist hart, diese Haltung zu spüren. Aber wir halten fest daran, unsere Anerkennung und den Schutz als nationale Minderheit einzufordern.

Die Geschichte und die Kultur der Roma sollten fester Bestandteil des Lehrplans werden.

Eines unserer Anliegen ist das Romani, unsere Sprache. Sie ist bedroht. Wir müssen mehr Möglichkeiten haben, sie zu pflegen, Leute motivieren, Romani zu sprechen, zu schreiben, Unterricht über Sprache und Kultur der Roma ermöglichen.

Für den Internationalen Tag der Roma wünsche ich mir, dass mehr unternommen wird gegen strukturellen Rassismus und Diskriminierung gegenüber den Roma – das muss von höchster Ebene kommen. Es muss langfristig angelegte Schwerpunktprogramme für die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung geben, die zusammen mit Roma-Organisationen ausgearbeitet werden. Auch müssen Behörden und die Bevölkerung sensibilisiert werden, die Geschichte und die Kultur der Roma sollten fester Bestandteil des Lehrplans werden. Die falschen Bilder über uns müssen endlich weg.»

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Mo Diener

Künstlerin, künstlerische Leiterin des Roma-Jam-Session-Art-Kollektivs

Die Performance «Chroma» des Roma-Jam-Session-Art-Kollektivs, Neu-Oerlikon, Zürich, 2018. 

«Die Roma-Gemeinschaft in der Schweiz wird in ihrer Vielfalt nicht wirklich wahrgenommen. Die Bezeichnung Roma wird leider oft stereotyp gedeutet und darum als Stigma erlebt. Nur wenige haben Lust, sich in dieser Atmosphäre zu outen.

Als Schweizerin mit einem Sintiza-Hintergrund betrachte ich die Welt durch eine etwas andere Brille. Ich schaue auf eine Geschichte der Diskriminierung und Gewalt zurück. In meiner künstlerischen Arbeit interessiere ich mich für persönliche Geschichten und ihre Kontextualisierungen in der offiziellen Geschichtserzählung. Es gibt viele Geschichten der Assimilation und des Verlustes. Es ist wichtig, sie zu erzählen – gerade heute. Daran arbeite ich. Ich suche eine künstlerische Form für Erzählungen, die in die Zukunft verweisen.

Seit fünf Jahren arbeite ich im Roma-Jam-Session-Art-Kollektiv, wo wir gemeinsam versuchen, stereotype Vorstellungen und fossilierte Vorurteile gegenüber Roma aufzulösen – künstlerisch wie auch aktivistisch. Wir arbeiten mit Public Performances und Grafik. «Chroma Detox Switzerland – Detox Europe» heisst unsere aktuelle Public Performance. Darin verweben wir Begegnungen, Berührungen, Musik und Text zu einem liquiden sozialen Körper, zu dem auch das Publikum gehört.

Die Roma-Community wünscht sich, dass die Roma als Schweizer Minderheit anerkannt werden. Dafür braucht es politischen Mut und etwas Klarheit. Mir scheint dieser Wunsch legitim, nachdem auch die Sinti und Jenischen diese Anerkennung erreicht haben. Die politische Aufspaltung in drei ethnische Gruppen finde ich unrichtig auf der politischen Ebene, schmerzhaft für die Roma und eigentlich unlogisch, ja sogar absurd. Anlässe wie das Festival Weltenweit können helfen, in der Gegenwart positive Zeichen zu setzen und Unklarheiten zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Gesellschaften abzubauen. Und es braucht noch mehr positive Aktionen, mehr internationale Solidarität. Khanchi Amendar Bi Amengo – Nichts über uns ohne uns.»

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Mustafa Asan

Künstler und Aktivist beim Roma-Jam-Session-Art-Kollektiv

«Die Ablehnung der Roma als Minderheit in der Schweiz – Jenische und Sinti wurden anerkannt – ist ein europäischer Skandal. Ich versuche, als Musiker und Aktivist auf die Anliegen der Roma aufmerksam zu machen. Kunst kann Stereotype bekämpfen. Davon bin ich überzeugt. Ich würde mir wünschen, dass es wie in Berlin und Wien auch in einer Schweizer Stadt eine Roma-Parade zum 8. April gibt.»

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Daniel Huber (52)

Präsident Radgenossenschaft der Landstrasse

«Früher haben sie uns andere Namen gegeben, auch ‹Zigeuner›. Heute können wir hinstehen und das sagen: Wir sind jenisch. Das macht uns sehr stolz, das sagen zu können, und bedeutet uns viel.

Für mich bedeutet jenisch sein, ein freier Mensch zu sein. Ich, als Schweizer Jenischer, jenischer Schweizer, lebe hier in meiner Kultur und bin ein Stück Schweizer Geschichte. Meine Kultur zu leben, heisst für mich, auf Achse zu gehen, mit Freunden unterwegs zu sein, am Feuer zu sitzen. Gerade jetzt, im Frühling, freuen sich alle, wieder auf Reisen zu gehen. Die Laune ist gut. Es zieht einen einfach, zu gehen! Auch ich würde gern mehr reisen. Doch als Präsident der Radgenossenschaft bin ich stark eingebunden, fahre mit dem Auto eher zwischen Politik und Behörden hin und her. Meine Kinder aber sind schon unterwegs.

Leider ist die Situation um Durchgangsplätze im Sommer und Standplätze für den Winter noch immer prekär. Wir hoffen, dass wir mit der Anerkennung der Jenischen als Schweizer Minderheit endlich mehr Lebensraum bekommen, nicht nur provisorischen, sondern auch festen.

Zum Internationalen Tag der Roma wünsche ich mir, dass wir Jenischen europaweit als Minderheit anerkannt werden. Denn auch in Nachbarländern der Schweiz leben Jenische. Zurzeit arbeiten wir daran, uns international zu vernetzen.»

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Isabella Huser (60)

Autorin und Übersetzerin

«Bereits als Kind wusste ich: Wir sind anders. Ich stamme von Vaterseite her aus einer jenischen Familie. Es war eine Mischung aus Stolz und dem unklaren Wissen um eine verheerende Geschichte der Verfolgung. Mein Vater hatte als Kind mit seinen Geschwistern vor dem Zugriff der Pro Juventute fliehen müssen. Meine Grosseltern, die sich Ende der 1920er-Jahre in Lachen am Zürichsee hatten niederlassen wollen, tauchten mit ihren sechs Kindern im Tessin unter. Als Musikantenfamilie fanden sie in Lugano eine Anstellung. Im Hotel spielten sie englischen Touristen zum Nachmittagstee auf.

Meine jenischen Leute trugen Tracht und spielten Schweizer Folklore. Ich habe selbst keine Diskriminierung erfahren als Jenische. Das Jenischsein sieht man einem nicht an. Ich sehe, von meiner Mutter her, eher italienisch aus und wurde – in der Zeit der sogenannten Überfremdungsinitiativen – als ‹Tschinggeli› betitelt. Damals wussten die meisten hiesigen Erwachsenen noch, welche Familiennamen jenisch sein konnten. Wie Huser.

Heute haben viele keine Ahnung mehr, was das heisst: jenisch. Wenn ich sage, dass ich einer jenischen Schweizer Familie entstamme, werde ich immer wieder gefragt: Ja, aber woher sind die denn ursprünglich gekommen? Nicht nur in der Schweiz gibt es Jenische. Meine jenischen Vorfahren stammen, wie ich heute weiss, aus der Innerschweiz.

Die Aktion der Kindswegnahmen im 20. Jahrhundert hat viel Kultur und Wissen zerstört.

Zum Internationalen Tag der Roma wünsche ich mir einen differenzierten Blick. Ich wünsche mir, dass die Leute sich für die Menschen interessieren, dass sie das Individuum wahrnehmen, Gesichter sehen und nach Lebensgeschichten fragen. Dass sie so sich selbst für die Klischeebilder sensibilisieren, die immer wieder neu hervorgeholt werden. Bei den Roma, aber auch bei anderen Gruppen von Menschen. Kaum dass wir Menschen zu einer Gruppe zusammenfassen, haben wir auch schon Klischeevorstellungen und Urteile zur Hand. Auch von den Journalisten und Medien wünsche ich mir diesen nuancierten Blick und das Interesse am Menschen statt an der Story.

Und hier in der Schweiz wünsche ich mir, dass Forschung über Jenische ermöglicht wird. Seit die programmatische Verfolgung der Jenischen durch die Pro Juventute in den 1970er-Jahren aufgeflogen ist, ist Herausragendes entstanden, aber insgesamt erschreckend wenig. Dabei haben die Entstehungsgeschichte der modernen Schweiz und die Geschichte der Jenischen in diesem Land viel miteinander zu tun. Ich erforsche dies im Rahmen meiner Herkunftsfamilie und in der Arbeit an meinem Roman. Das Thema sollte, weit über meine Familie hinaus, wissenschaftlich ergründet werden.

Die Geschichte der Jenischen, ihre Kultur, die jenische Sprache muss zum Thema werden an den Universitäten. Geschichts- und Sprachwissenschaften, Ethnologie, Rechtswissenschaften, Musikwissenschaften sind hier gefragt. Es muss Geld gesprochen werden, sodass viele Forscherinnen und Forscher sich an die Arbeit machen können. Die Aktion der Kindswegnahmen im 20. Jahrhundert hat viel Kultur und Wissen zerstört. Es ist spät, aber nicht zu spät.»

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