Die Demokratie stirbt unter grellem Gelächter
Johan Simons' flockige Adaption von Houellebecqs Roman «Unterwerfung» ist auf der Pfauenbühne in Zürich zu sehen.
Nicht erst mit der Bluttat von Hanau hat Michel Houellebecqs Satire über die Schwäche der westlichen Demokratie eine entsetzlich ernste Seite erhalten. Am Anfang von Houellebecqs Roman «Unterwerfung» (2015) ziehen Rechtsradikale mit Waffengewalt durch die Strassen; Muslime ringen mit harten Bandagen um die Vorherrschaft beim Wahlkampf ums französische Präsidentenamt; und die Mitte-links-Liberalen kapitulieren.
So setzen der niederländische Regisseur Johan Simons (derzeit Intendant des Schauspielhauses Bochum) und Co-Regisseur Chokri Ben Chikha das Ensemble zu Beginn des Abends erschlafft, mit dem Rücken zum Pfauenpublikum, in abgehalfterte Sessel und Sofas an den Rand einer Müllkippe. Sie lassen die fünf auf alte Matratzen, kaputte Plastikstühle starren. Gemütlich ist anders: Die Komfortzone der Welt und die Seele des säkularen, spirituell obdachlosen Durchschnittswestlers sind inzwischen «voller Risse», wie es hier immer wieder heissen wird.
Der Untergang der Komfortzone
2005 hatte der Bühnenbildner Bert Neumann die ausrangierten Sitz- und Liegegelegenheiten vom Bühnenhimmel herunterdonnern lassen als vielsagenden Auftaktwirbel zu Simons' Houellebecq-Romanadaption «Plattform» am Nationaltheater Gent. 2017, für die Inszenierung von «Unterwerfung», griff Regisseur Simons auf dieses düstere Panorama zurück. Vom Untergang des Abendlandes erzählen schliesslich beide Romane – weshalb Simons sie zuletzt auch zur Doppelsoiree verband. Für Zürich hat er die Chose nun aber wieder auseinanderklamüsert und offeriert «Unterwerfung» als rund 100-minütiges, hochironisches Matratzengrab-Ballett.
«Ich schaue in den Abgrund und dann auf mein Handy», kommentiert in seinem Sessel der Hochschullehrer François, der beim erstklassigen Stefan Hunstein seinem Schöpfer Houellebecq verblüffend ähnlich sieht mit den seitengescheitelten, dünnen, fettigen Haaren, dem rundum zerknautschten Look. Anfangs hängt François in einem Adidas-Trainingsanzug herum, als sei er ein Agglo-Penner, und träumt von seiner jungen Ex-Geliebten, der jüdischen Studentin Myriam (Karin Moog). Am Ende des Studienjahrs hatte er mit ihr Schluss gemacht wie mit jeder studentischen Bettgenossin zuvor. Aber diesmal tuts irgendwie weh.
Genauso wie die Kündigung, die ihm die Universität Sorbonne schickt. Der «moderate Muslim» und raffinierte Manipulator Ben Abbes ist 2023 Staatspräsident geworden. Er verbannt die Frauen an Heim und Herd oder zu niederen Tätigkeiten, begrenzt die Schulpflicht auf das Alter von 12 Jahren; und an der Sorbonne dürfen bloss noch gläubige Muslime unterrichten. Einige Professoren (Professorinnen gibts nicht mehr) – sogar ehemalige Rassisten – legen daher eine Turbo-Konversion zum Islam hin: Guy Clemens als Literaturprofessor Steve, einst ein faschistoider Parteigänger der Identitären, hat sich schnell ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Fly Emirates» übergezogen und klamaukt in einem hohlen Ritual seine religiöse Wandlung auf die Bühne. François aber ziert sich; noch.
Und wir – lachen. Die Bühnenfassung von Jeroen Versteele und ihre Inszenierung fokussieren auf die Leichtigkeit in der Bitternis; auf die komischen Spitzen von Houellebecqs böser Dystopie, vom Sushi-Konsens des Westens bis zu dessen spirituellem Wankelmut. Das mehrsprachige Ensemble mit Clemens, Hunstein, Moog, Mercy Dorcas Otieno – durchgehend stark als rückgratschwache, gekündigte Professorin – und Mourade Zeguendi als Universitätsrektor von Ben Abbes' Gnaden gehen da voll mit. Wer erzählerischen Furor und komödiantische Distanz derart süffig auf die Bretter ballern kann, der hält sein Publikum schon bei der Stange. Auch wenn es an inszenatorischer Inspiration und dramaturgischer Straffheit mangelt.
Eine gruselige Karikatur gelingt etwa dem grossartigen Zeguendi, wenn er sein Bond-Bösewicht-Lächeln automatenhaft an- und ausknipst. Supergiftig ist auch, dass Johan Simons die Liebenden Myriam und François, in buchstäblich splitternackter Verzweiflung ineinander verknäuelt, über die durchgelegenen Matratzen rollen lässt wie orientierungslose Clowns – und dass Macho François sich danach wieder anzieht, derweil Myriam lange unbekleidet auf der Seite kauert: als feuchter Traum ihres Geliebten, nach dem er ab und an tastet, ohne hinzusehen.
«I just had to laugh»
Aus dem Off intonieren die Beatles dazu ihr abgedrehtes «I just had to laugh», wenn die News den Tag füllen wie ein schlechter Trip. Als Simons 2004 die letzte (und später preisgekrönte) Premiere der Marthaler-Ära am Schauspielhaus Zürich stemmte mit Houellebecqs «Elementarteilchen», holte er aus dem Thesenroman eine Kälte und Härte heraus, die uns den Atem verschlug. Der schwarze Humor löste da ersticktes Gurgeln aus, kein lautes Gelächter wie in «Unterwerfung». Hier dagegen stirbt die Demokratie nicht in Dunkelheit wie beim Slogan der «Washington Post», sondern unter grellem Geussen und Gackern.
Ist es Resignation, dass die «Risse» in den Protagonisten diesmal nur noch als flotte Kabarettnummern durchgejuxt werden – weil ohnehin alles zu spät ist, wie François prophezeit? Oder verrät das eine gewisse Hoffnung auf bessere Zeiten? Im Matratzengrab herrscht am Schluss jedenfalls heitere Hilflosigkeit. Im Parkett auch.
Bis 29.3.
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