Moskaus ZensurgesetzDie cleveren Titelseiten der «Nowaja Gaseta»
Die kremlkritische Zeitung hat vorerst Redaktionsschluss. Gezwungenermassen. Anlass für einen Nachruf.
Sie war die letzte grosse kremlkritische Zeitung Russlands und prägte die Postsowjet-Ära mit ihrem furchtlosen Journalismus massgeblich mit. Ihr Chefredaktor, Dmitri Muratow, wurde letzten Oktober dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Nun setzt die «Nowaja Gaseta» ihr Erscheinen nach eigenen Angaben bis zum Ende des Krieges in der Ukraine aus – oder wie es die Zeitung in Übereinstimmung mit dem neuen Kriegszensurgesetz selbst bezeichnet, bis zum Ende der «speziellen Operation auf dem Territorium der Ukraine.»
Grund dafür war die zweite Warnung der russischen Aufsichtsbehörde, die am Montag damit drohte, der Zeitung die Lizenz zu entziehen. «Wir haben bis zur letzten Sekunde weitergearbeitet», sagte Muratow gegenüber der «New York Times». «Die Redaktion bleibt bestehen, wir gehen nirgendwo hin.» Muratov räumte jedoch ein, dass er nicht genau wisse, ob und wann die Zeitung wieder erscheinen könne.
Die «Nowaja Gaseta» hatte es immer wieder geschafft, Moskaus Zensurauflagen mit cleveren Methoden zu umgehen. Auf ihren schlagzeilenkräftigen Titelseiten beschrieb die Zeitung oft, was ist – ohne dabei direkt zu sagen, was ist. Dafür bezahlten in den drei Jahrzehnten ihres Bestehens sechs «Nowaja Gaseta»-Journalisten mit dem Leben.
Selbst nachdem Putin am 4. März ein neues Mediengesetz erlassen hatte, das Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren für der Kremllinie abtrünnigen Journalisten vorsieht, machte die Redaktion weiter. Bis gestern, nun ist Redaktionsschluss, bis auf weiteres. Um die Chuzpe der russischen Kollegen zu ästimieren, zeigen wir an dieser Stelle eine Auswahl besonders gelungener Titelseiten:
«Russland. Bombardiert. Ukraine.» (25.2.2022)
Einen Tag nach der russischen Invasion in der Ukraine erscheint die «Nowaja Gaseta» zweisprachig – auf Russisch und auf Ukrainisch. Mit einer Schlagzeile, die schlicht lautete: «Russland. Bombardiert. Ukraine.» Mit der Entscheidung, die Ausgabe in zwei Sprachen zu verfassen, setzte die Redaktion ein klares Statement für einen Dialog mit der Ukraine – ganz im Gegensatz zu Putins Strategie, nicht direkt mit der ukrainischen Regierung zu verhandeln.
Wegen der neuen Zensurgesetze sind viele Titelbilder, unter anderem auch dieses, im Onlinearchiv der Zeitung mittlerweile nur noch verpixelt zu sehen. Wie der Beobachter russischer Medien, Kevin Rothrock, heute auf Twitter mitteilt, musste die Zeitung mittlerweile auch sämtliche Berichte und Reportagen aus dem Krieg löschen:
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«Ausgabe der Nowaja nach allen Regeln des geänderten Strafgesetzbuchs in Russland» (9.3.2022)
Nachdem Putin das neue Zensurgesetz unterzeichnet hatte, wurde zahlreichen unabhängigen Medien von der Regierung die Lizenz entzogen, oder sie schlossen ihre Redaktionen aus eigenen Beweggründen.
Die «Nowaja Gaseta» hingegen wagte den Spagat und titelte die erste Ausgabe nach Einführung des Zensurgesetzes bezeichnenderweise: «Ausgabe der Nowaja nach allen Regeln des geänderten Strafgesetzbuchs in Russland.» Ein Titel, der einerseits ganz deskriptiv beschreibt, was in der Zeitung vorzufinden sein wird, aber gleichzeitig auf die weitreichenden inhaltlichen Einschränkungen dessen hinweist.
Die Bildsprache zeigt, was durch die Einschränkungen ausgeblendet werden musste: Vier Tänzerinnen aus Tschaikowskys «Schwanensee», im Hintergrund ein Atompilz. Schwanensee gilt in Russland als Code für die Vertuschung der Wahrheit, seitdem beim Putsch 1991 das sowjetische Fernsehen anstelle der durch Moskau rollenden Panzer klassische Musik und Ballettaufführungen zeigte. Wofür der Atompilz steht, dürfte keine Erklärung brauchen.
«Zombiekiste zeigt Risse live im Ersten Kanal» (16.3.2022)
Als Zombiekiste wird in Russland der Fernseher – mitsamt seiner Staatskanäle – bezeichnet. Ein Zombie ist im Genre des Horrorfilms ein wiederbelebter Toter, der zu einem willenlosen Werkzeug dessen verkommen ist, der ihn zum Leben erweckt hat. Eine klare Anspielung auf die beabsichtigte Wirkung russischer Staatspropaganda.
Der Riss bezieht sich auf die Journalistin Marina Owsjannikowa, die während der quotenstarken Abendnachrichten «Wremja» im Moskauer Staatsfernsehen ins Studio gestürmt war und in die Kamera ein Transparent mit folgender Botschaft gehalten hatte: «Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen sind gegen Krieg.» Damit gelang es ihr, einen Riss in die Zombiekiste zu reissen – und das live im Ersten Kanal. Nach einer Geldstrafe droht ihr nun ein Strafverfahren – in den sozialen Medien wird sie hingegen als Heldin gefeiert.
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