Spezielle Commonwealth GamesDie Briten geben sich inklusiv und queer – doch ein Schatten bleibt
Die Spiele in Birmingham bemühten sich, alles richtig zu machen. Nur die oft brutale britische Kolonialgeschichte ist kaum Thema.
Das letzte Tor ist geschossen, die letzten Medaillen sind vergeben. Mit dem Triumph der australischen Landhockeyaner endeten am Montag die Wettkämpfe der 22. Commonwealth Games. Obenaus schwingt Australien mit 178 Medaillen (67 goldene), danach kommt England mit 176 (57 goldene) und dann lange nichts, das drittplatzierte Kanada bringt es immerhin auf 92 Auszeichnungen (26 goldene).
Die Briten haben die drittgrösste Multisportveranstaltung der Welt zu einem stimmungsvollen Ereignis mit progressivem Anstrich gemacht – auf die Auseinandersetzung mit der eigenen kolonialen Vergangenheit haben sie jedoch weitgehend verzichtet.
Vor knapp zwei Wochen hatte Königin Elizabeth II. die Commonwealth Games zwar nicht persönlich eröffnen können, aber ihr Sohn Prinz Charles hatte eine Botschaft von ihr überbracht. Birmingham sei eine Gastgeberstadt, die «symbolisch für die reiche Vielfalt und Einheit des Commonwealth» stehe. Dann war es der offen schwul lebende Wasserspringer Tom Daley, der den symbolischen Staffelstab ins Stadion trug. Auch als Zeichen an die 35 Mitgliedsstaaten des Commonwealth, in denen Homosexualität noch immer kriminalisiert wird.
Ausserhalb der Sportstätten sprangen einem die gesellschaftlichen Botschaften in Birmingham ebenfalls ins Auge. Auf Plakaten, in Museen, in der Bibliothek: Die Organisatoren warben für offene, nachhaltige Commonwealth Games. Sogar mit mehr Medaillen für Frauen als für Männer, auch mit paralympischen Wettbewerben. Die Spiele sollten inklusiv sein, klimaneutral – und zudem die britische Bevölkerung zu mehr Bewegung animieren.
Mehr als 5000 Sportler aus 72 Ländern und Territorien nahmen teil. Die englischen Gastgeber betonten immer wieder, dass die Athleten «gemeinsame Werte» teilen. Von der gemeinsamen, oft brutalen Geschichte war weniger die Rede.
In den 1920er-Jahren, zur Zeit der grössten Ausdehnung, hatte sich das britische Imperium auf ein Viertel der weltweiten Landfläche erstreckt. Die indische Ökonomin Utsa Patnaik glaubt, dass London allein aus Indien zwischen 1765 und 1938 Rohstoffe und Güter ins «Mutterland» transportieren liess, die heute einem Wert von rund fünfzig Billionen Euro entsprächen. Zum Allgemeinwissen in Grossbritannien gehören solche Zahlen eher nicht, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov von 2020 nahelegt: Dreissig Prozent der Befragten glauben, dass es den einstigen Kolonien unter britischer Kontrolle heute besser ginge.
Seit dem Mord an George Floyd durch einen weissen Polizisten 2020 in den USA wird auch im Vereinigten Königreich mehr über strukturellen Rassismus gesprochen. Doch meist bleibe die Debatte oberflächlich, sagt der Sportsoziologe Stefan Lawrence von der Newman-Universität in Birmingham: «Etliche Medien und Politiker wollen die Geschichte reinwaschen. Sie betonen nur die angeblichen Errungenschaften. Dazu gehören Strassen, die in den Kolonien gebaut wurden – und dazu gehört der Sport.»
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nutzten britische Missionare, Beamte und Lehrer ihre Sportarten Fussball, Cricket oder Rugby auch als Mittel der Erziehung in der Karibik, in Afrika oder Asien. Der anglikanische Geistliche John Astley Cooper forderte 1891 in der Zeitung «Greater Britain» ein Festival für Sport und Kultur. Cooper wünschte sich die Förderung «männlicher Eigenschaften» wie «Mut, Selbstlosigkeit und Kameradschaft». In einem Interview sagte er: «Wenn man nicht wie ich unter Schwarzen gelebt hat, kann man sich keine Vorstellung davon machen, welch wunderbare moralische und disziplinarische Wirkung Cricket auf die uns anvertrauten Schwarzen hat.»
Zurzeit besteht der lose Commonwealth-Bund aus 56 Ländern
Die ersten «British Empire Games» fanden 1930 in Hamilton in Kanada statt. Der König hielt in London eine pathetische Rede und forderte Loyalität der Athleten zur Krone. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen die Spiele rasant, seit 1978 werden sie unter dem Namen Commonwealth Games ausgetragen. Der feierliche Bezug zur britischen Monarchie ging allerdings zurück, in den 1960er-Jahren erklärten in Afrika zahlreiche Länder ihre Unabhängigkeit. Zurzeit besteht der lose Bund für das Commonwealth aus 56 Ländern, darunter so unterschiedliche Staaten wie Australien, Ruanda, Zypern oder Samoa. An den Commonwealth Games nehmen auch kleine Inseln mit wenigen Tausend Einwohnern teil, etwa die Isle of Man, Jersey und Guernsey.
Welche Glaubwürdigkeit können die Commonwealth Games heutzutage noch bieten, in einer Zeit, in der sich auch Staaten bewusst vom Verbund abwenden? Barbados ist seit kurzem eine Republik, Jamaika drängt auf Reparationszahlungen für den britischen Sklavenhandel. «Wir können den Sport nutzen, um über Geschichte und Gegenwart kritisch zu diskutieren», sagt Geoff Thompson, der stellvertretende Verwaltungsratschef der Commonwealth Games in Birmingham. «Für mich beginnt die eigentliche Arbeit nach den Wettbewerben. Die neue Infrastruktur und die Community-Programme sollen der Gesellschaft langfristig zugutekommen.»
Geoff Thompson gehört zu den Funktionären, denen man solche Plädoyers abnimmt. Seine Eltern waren unter den Hunderttausenden, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Karibik nach Grossbritannien kamen und beim Wiederaufbau des Landes halfen. Thompson wuchs mit Rassismus auf, doch als erfolgreicher Karateka legte er sich «einen Schutzschild» zu. Als junger Mann engagierte er sich gegen die Apartheid. Er konnte gut verstehen, dass 32 Nationen die Commonwealth Games 1986 in Edinburgh boykottierten, weil ihnen die Haltung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher gegenüber dem Regime in Südafrika nicht streng genug war.
Sport als Element der urbanen Entwicklung
In diesem Jahr sollten die Spiele eigentlich erstmals auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden, doch Durban in Südafrika gab den Zuschlag aus Kostengründen zurück. Stattdessen also Birmingham, die zweitgrösste Stadt Grossbritanniens, in der jeder Vierte ausserhalb des Landes geboren wurde. Geoff Thompson ist sich bewusst, dass diese Vielfalt auch eine Folge des Imperialismus ist. Er verweist auf das Nachhaltigkeitskonzept der Spiele für Jugendsport, Gesundheitsvorsorge, Klimaschutz. Und er erinnert an die Commonwealth Games in Manchester 2002 und in Glasgow 2014. Beide Städte hatten in der Industrialisierung eine wichtige Rolle gespielt, beide Städte verloren während der Globalisierung ganze Industriezweige, beide Städte etablierten den Sport als Element der urbanen Entwicklung.
Auch in Birmingham hat es Streit um Fördermillionen gegeben, einige Vertreter mit Einwanderungsgeschichte fühlten sich nicht eingebunden. In den britischen Medien ist davon aktuell wenig zu erfahren. Und auch im Stadtbild von Birmingham muss man länger nach Orten suchen, die einen kritischen Blick auf Sport und Geschichte werfen. Das «Pride House» etwa zeigt in einer Ausstellung, in welchen Staaten des Commonwealth queeren Menschen das Recht auf Heirat, Adoption und Militärdienst verweigert wird. «Diese Gesetze wurden oft von der britischen Kolonialmacht eingeführt», sagt Jon Holmes, Mitarbeiter im Pride House. Doch als der schwule Wasserspringer Tom Daley bei der Eröffnungsfeier auftrat, war von dieser Information keine Rede.
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