Krimis fürs FernwehDie blaue Welle
Angefangen hat es mit dem Bretagne-Ermittler Dupin, inzwischen gibt es zahllose Ferienkrimis. Über das Phänomen der Fernwehkommissare.
In den letzten Wochen ging es wieder wie in alten Zeiten kolonnenweise durch den Gotthard und in die Provence. Inzwischen sind viele wieder zurück – und wenn man sich die Reiseliteratur so anschaut, kann jeder froh sein, der es ohne kriminellen Zwischenfall nach Hause schafft. Mord, Totschlag, üble Familienfehden: Kein noch so malerischer Ferienort scheint vor solchen Ereignissen sicher zu sein. Zumindest wenn man den Büchern der Blauen Reihe glaubt.
«Unerbittliches Kreta», «Mörderischer Mistral», «Portugiesische Rache»: So heissen die Krimis, die seit einigen Jahren als Ferienbücher erscheinen. Mit riesigem Erfolg – und für Leser, die sich unter einem Ferienbuch offenbar keine poetische oder besonders vertrackte Lektüre vorstellen, sondern Geschichten über abgebrühte Täter und Ermittler in Strandambiente. Dafür ist die Blaue Reihe zuständig, die natürlich nicht wirklich so heisst. Aber es ist schon erstaunlich: Das Design der Cover ist ein Farbrausch von Ultramarin bis Türkis, meistens ist das Meer zu sehen.
Vitu Falconi hört sich korsisch an und heisst eigentlich Thomas Thiemeyer.
Die optisch derart als strand- und pooltauglich gekennzeichneten Bücher bedienen das Fernweh, gerade indem sie es mit einer Spur Entzauberung würzen. Wobei das Verlangen nach dem Fremden schon mit den Namen der Autorinnen und Autoren bedient wird: Fast alle sind Pseudonyme. Pierre Martin, Erfolgsgarant bei Knaur mit seiner «Madame le Commissaire»-Reihe, kommt so wenig aus Frankreich, wie der Spiegel-Bestsellerautor Luis Sellano (Heyne Verlag) Portugiese ist. Vitu Falconi hört sich korsisch an und heisst eigentlich Thomas Thiemeyer. Auch der Diogenes-Verlag hat in Luca Ventura einen Autor mit Deckname im Programm, seine «Bitteren Zitronen» laden nach Capri.
Vorgemacht hat das Jean-Luc Bannalec, der eigentlich Jörg Bong heisst und dem Verlag Kiepenheuer und Witsch seit 2012 mit dem Genre des Sehnsuchtskrimis astronomische Zahlen beschert. Bannalecs Kommissar Georges Dupin – Einsatzgebiet: la Bretagne – brachte die Gattung erst richtig in Fahrt und hat das maritime Blau des Buchumschlags als Erkennungszeichen etabliert. Gut fünf Millionen verkaufte Exemplare seit dem Erstling «Bretonische Verhältnisse», Übersetzungen in mehr als 15 Sprachen, gerade ist Nummer zehn der Serie erschienen: Man darf davon ausgehen, dass die Konkurrenz bei ihren immer neuen Urlaubsermittlern auf Zypern oder in Kroatien diese Erfolgsgeschichte im Blick hat.
2016 erhielt Jean-Luc Bannalec in seiner Wahlheimat den Ehrentitel «Mécène de Bretagne», weil er die Landschaft (und die Küche) in Frankreichs äusserstem Westen wirklich unwiderstehlich schön beschreibt. Nichts ist so bretonisch wie Bannalecs Bücher, könnte man sagen, nicht einmal die Bretagne. Verfilmt sind die Bände natürlich auch, es gibt sogar organisierte Reisen auf Kommissar Dupins Spuren.
Meistens führen die Fälle, ganz zufällig, zu wichtigen Sehenswürdigkeiten.
Auch die anderen Autoren setzen auf Lokalkolorit. Das Umfeld der Kommissare Hyeronimos Galavakis, Isabelle Bonnet oder Enrico Rizzi wird detailreich ausgemalt, der Himmel ist meistens blau, und das Essen an jedem noch so schiefen Hafen-Stehtisch gleicht einer Offenbarung. Literarisch oszilliert das zwischen Stereotyp und charmanter Liebeserklärung, aber stilistischer Finessen wegen werden diese Bücher nicht gelesen.
Meistens führen die Fälle, ganz zufällig, zu wichtigen Sehenswürdigkeiten der Gegend. Von Vitu Falconi wird der Golfe de Lava bei Ajaccio in Szene gesetzt, Mario Lima lotst durch die Gassen von Bairro da Sé in Porto. Und so viel Lavendelduft, wie ihn Pierre Martin über seine Südfrankreich-Geschichten legt, kann der längste provenzalische Zikadensommer nicht hervorbringen.
Dagegen nimmt sich der grosse Klassiker unter den Krimireihen atmosphärisch sparsam aus, obwohl oder gerade weil das die Kunst von Georges Simenon ist: mit ein paar Sätzen eine Stimmung von grosser Eindringlichkeit zu erzeugen. Aber sein Kommissar Maigret, selbst in der Augusthitze kaum aus Paris wegzukriegen, hat eben nicht viel übrig für Meerluft. Seine Ferien an der Atlantikküste tritt er in «Les vacances de Maigret» nur widerwillig an. Er findet die Sonne schon morgens zu hell, die Kinder am Strand zu laut, das Städtchen zu heiss. Das nüchterne Buch ist die ideale Abkühlung nach zu vielen Urlaubskrimis.
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