Kommentar zur gescheiterten AgrarpolitikDie Bauernlobby spielt mit dem Feuer
Im Parlament reihen Markus Ritter und sein Bauernverband Sieg an Sieg. Doch sie riskieren damit, den Rückhalt im Volk zu verlieren – vielleicht schon am 13. Juni.
Im Bundeshaus ist der Bauernverband auf dem Gipfel seiner Macht. Derzeit erreicht er in National- und Ständerat fast alles, was er will – jetzt auch den Abschuss der Agrarreform seines früheren Standeskollegen und heutigen Bundesrats Guy Parmelin.
Die Stärke der Bauernlobby hat zwei Hauptgründe: erstens eine Mitte-Fraktion, die fast alles ausführt, was ihr der Bauernverband diktiert – aus Angst, auch noch den letzten Rest ihrer traditionellen Wähler in den einstigen CVP-Stammlanden zu verlieren; und zweitens ein Bauernverbandspräsident namens Markus Ritter, der stark darin ist, politische Kuhhändel abzuschliessen.
Doch Ritter und seine Mitstreiter haben ein Problem: Am Ende hat nicht das Parlament das letzte Wort, sondern das Volk. Und im Volk läuft der Trend nicht zugunsten einer Landwirtschaftspolitik, wie der Bauernverband sie versteht.
Zwar geniessen die Bauern immer noch Sympathien in der Bevölkerung. Und berechtigt sind auch ihre Klagen über viele inkonsequente Bürger-Konsumenten, die an der Urne jeweils für Bio und Nachhaltig stimmen, im Supermarkt dann aber doch Billig kaufen.
Trotz solcher Widersprüche unterschätzt die Bauernlobby den Wertewandel, der im Volk im Gang ist – hin zu mehr Nachhaltigkeit, mehr Umweltschutz, mehr Naturnähe. Ausdruck davon waren etwa der grüne Wahlsieg vom Herbst 2019, die Klimajugendbewegung, die Ablehnung des Jagdgesetzes und die Beinahe-Annahme der Konzernverantwortungsinitiative im Herbst 2020.
Hinzu kommt, dass immer mehr Schweizer Ortschaften durch die Nachricht aufgeschreckt werden, ihr Trinkwasser sei mit Pestiziden belastet. Die Bauernlobby unterschätzt den Einfluss, den solche Nachrichten auf das Stimmverhalten der Betroffenen haben – zum Beispiel, wenn am 13. Juni die beiden Anti-Pestizid-Initiativen an die Urne kommen. Der Entscheid des Parlaments, jede Diskussion über ökologische Reformen bei der Agrarpolitik 22+ abzuklemmen, hat die Chancen dieser Initiativen sicher nicht verschlechtert.
Vielleicht können die Bauern die beiden Initiativen mit einer geballten Kampagne und knallroten Fahnen an jeder Scheune noch einmal bodigen. Doch die nächsten, für die herkömmliche Landwirtschaft kaum weniger bedrohlichen Volksbegehren sind schon in der Pipeline: die Biodiversitätsinitiative, die Landschaftsinitiative, die Initiative für ein Verbot der Massentierhaltung.
Wenn Ritter und seine Mannen – Frauen sind nur wenige dabei – im Parlament so weiterpolitisieren, wird das Volk eher früher als später eine dieser Initiativen annehmen.
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