Glosse zur AbsurditätWoher hat Madonna ihre Corona-Antikörper?
Und weshalb performt der Kapitalismus in der Krise nicht besser?
Ach, übrigens: Hat eigentlich schon jemand festgestellt, dass wir gerade ein bisschen sonderbare Zeiten durchleben? Ein untrügliches Indiz dafür ist, wenn Psychologen sich in Zeitungen mit Sätzen zitieren lassen wie: «Wir müssen jetzt besonders höflich zueinander sein.»
Wäre ich ein «Wort zum Sonntag»-Redner, würde ich mit bebender Stimme fragen: In was für einer Seuche haben wir zuvor gelebt, wenn wir erst im Banne eines todbringenden Virus erkennen, dass es eine ziemlich gute Idee ist, ein bisschen nett miteinander zu sein?
Aber keine Angst. Sonntagsreden sind nicht mein Kerngebiet. Viel lieber frage ich, was eigentlich mit Madonna los ist. Sie hat sich in einem selbst gedrehten Video neulich so mysteriös verhalten, dass sich nun selbst die eher nicht zum grundsätzlichen Hinterfragen ihrer Angebeteten neigenden Madonna-Befürworter Sorgen um sie machen.
Die berühmte Halbplaybacksängerin hat im Video behauptet, im Besitz von Antikörpern zu sein, weswegen sie nun eine Autospritztour unternehmen werde, in deren Verlauf sie mit heruntergerollten Fenstern ganz viel Covid-19-Luft einzuatmen gedenke. Und später im Video hat sie sich zudem beim Löschen einer Kerze die Finger verbrannt.
Party, was war das noch mal?
Momentan gehören solche Meldungen zu den Highlights der Kulturberichterstattung. Dicht gefolgt von der Bekanntmachung, dass die Wendler-Freundin Laura bei «Let’s Dance» ausgeschieden ist. Sonst ist ja bekanntlich gerade nichts mit kultureller Zerstreuung. Alle Feste sind abgesagt, nur Auffahrt und Pfingsten finden sehr wahrscheinlich statt. Was uns zur Frage bringt, ob der Begriff «Festtage» für diese Daten wirklich angemessen ist.
Feste, das waren doch diese Veranstaltungen, an denen Menschen in Polonaise-Stimmung aus grossvolumigen Trinkbehältern Alkoholika konsumierten und in fröhlichen Gruppentänzen ihre ungezwungene Seite darboten. Doch dergestalt Auffahrt oder Pfingsten zu begehen? Das verbietet uns nicht nur der katholische Lifestyle, sondern neuerdings auch das Bundesamt für Gesundheit.
Alle Feste sind abgesagt, nur Auffahrt und Pfingsten finden sehr wahrscheinlich statt.
Dabei muss es am originären Pfingsttag recht wild zu- und hergegangen sein. Wenn ich schon kein «Wort zum Sonntag»-Redner bin, dann möchte ich doch gern kurz aus dem Neuen Testament zitieren. Ein Zeitzeuge rapportiert da Folgendes: «Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.»
Mit Zungen wie von Feuer reden derzeit auch jene, die den Kapitalismus verteidigen. Aber wenn wir ganz ehrlich sind: Ein bisschen enttäuschend war dessen Performance in der Krise ja irgendwie schon. Was hat er uns nicht alles versprochen, dieser Kapitalismus: Wohlstand, Erwerbs- und Entwicklungschancen für (fast) alle, Kapitalmehrung bis zum Abwinken, Prosperität und Glückseligkeit bis ans Ende aller Tage.
Dann wird der Betrieb mal für ein paar Wochen eingeschränkt, und schon spricht man von wirtschaftlichen Schäden, die noch künftige Generationen auszubaden haben werden. Was bleibt denn da übrig von der Lehre des Strebens nach dem maximalen Gewinn? Und wo hat sich ebendieser Gewinn denn hinverflüchtigt? Kein Betrieb weit und breit, der sich auf seine erwirtschafteten Meriten abstützen mag, nirgendwo gibts monetäre Pölsterchen, keine Polonaise-Stimmung, nichts.
Nur Madonna wiegt sich sorgenfrei im Covid-19-Wind und ist sogar einigermassen höflich zu ihrer Wohnungsausstattung. Ihr Video endigt mit dem Satz: «Jetzt musst du ins Bett gehen, du kleine, unartige Kerze.» Wie gesagt: sonderbare Zeiten.
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