Deutschland vor den WahlenDas nationalsozialistische Erbe der AfD
Die AfD ist dort besonders stark, wo bei der Reichstagswahl 1933 die nationalsozialistischen Hochburgen lagen.
![Ein Mann im Anzug und eine Frau mit lockigem Haar vor einem bunten, gestreiften Hintergrund.](https://cdn.unitycms.io/images/BS8mBdFUq6c94zfaD-rpfh.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=BmFtnmX0kqw)
- Die AfD wird laut Umfragen 2025 zweitstärkste Partei Deutschlands.
- Die Partei profitiert von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unzufriedenheiten, besonders im Osten.
- Studien zeigen, dass AfD-Erfolge historische NSDAP-Wahlhochburgen spiegeln.
- Die SVP weist trotz starker programmatischer Nähe zur AfD keine rechtsextremen Wurzeln auf.
Die grosse Siegerin der deutschen Bundestagswahl 2025 steht schon so gut wie fest. Gemäss jüngsten Umfragen wird die Alternative für Deutschland (AfD) am Wahlsonntag vom 23. Februar 20,8 Prozent erhalten. Damit würde sie ihren Wähleranteil auf einen Schlag verdoppeln und die zweitgrösste Partei Deutschlands werden.
Doch was sind die Gründe, weshalb voraussichtlich jeder fünfte Deutsche die AfD wählen wird, die gemäss Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird – in drei Bundesländern sogar als gesichert rechtsextremistisch?
AfD nicht mehr nur eine Protestpartei
Der Erfolg der AfD ist kein Zufall, sondern das Resultat eines komplexen Zusammenspiels gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Faktoren. Besonders in Ostdeutschland, wo das Vertrauen in etablierte Parteien schwindet, gelingt es der AfD, sich als Sprachrohr für Unzufriedene zu inszenieren. Ihre Wähler stammen überproportional aus ländlichen Regionen und Bildungsmilieus, die sich von der Globalisierung und gesellschaftlichem Wandel besonders bedroht fühlen.
Doch die AfD ist längst keine reine Protestpartei mehr, sondern auf dem Weg zu einer Volkspartei. Ihre euroskeptischen und migrationskritischen Positionen treffen in weiten Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung. In allen Altersgruppen war die AfD bei der Europawahl 2024 zweitstärkste Kraft.
Dabei zeigt sich ein paradoxes Phänomen: Studien belegen, dass ausgerechnet viele AfD-Wähler von der AfD-Politik wirtschaftlich am stärksten negativ betroffen wären. Dennoch gelingt es der AfD, ihnen das Gefühl zu vermitteln, ihre Sorgen ernst zu nehmen – eine emotionale Bindung, die ihren anhaltenden Erfolg erklärt.
AfD- und NSDAP-Erfolge korrelieren
Einige Studien plädieren dafür, für die Wahlanalyse auch tief verwurzelte Prägungen zu berücksichtigen. Die zugrunde liegende Annahme lautet: Historische Ereignisse und kollektive Erinnerungen beeinflussen das politische Verhalten über mehrere Generationen hinweg.
Wie sehr Geschichte nachhallt, deckten drei Forscher in ihrer Analyse der Wahlresultate in 11'000 deutschen Gemeinden auf. Die AfD ist heute besonders dort stark, wo bei der Reichstagswahl 1933 die einstigen NSDAP-Hochburgen lagen. Besonders ausgeprägt ist dieser ohnehin starke Zusammenhang in Ostdeutschland.
Und auch bei der Wahlbeteiligung zeigt sich eine historische Kontinuität: Wo die Nationalsozialisten stark waren, vermochte die AfD zwischen 2013 und 2017 deutlich besser zu mobilisieren – und ehemalige Nichtwähler für sich an die Urnen zu bringen.
Vorläufer Nationale Front?
AfD-Politiker bezeichnen bekanntlich die SVP ausdrücklich als ihr Vorbild. Gemäss der Co-Parteivorsitzenden Alice Weidel diente das SVP-Parteiprogramm der AfD in weiten Teilen sogar als Vorlage für ihr eigenes. Tatsächlich zeigen die beiden Parteiprogramme eine sehr hohe Übereinstimmung.
Angesichts dieser grossen programmatischen Nähe liegt die Frage nahe, ob sich auch bei der SVP historische Wurzeln in rechtsextremen Milieus finden lassen. In den 1930er-Jahren forderte die Nationale Front die Schweiz mit einer nationalsozialistischen Ideologie heraus. Sie trat zu den eidgenössischen Wahlen 1935 an und schaffte aus dem Stand den Sprung in den Nationalrat, dank je einem Sitzgewinn in den Kantonen Zürich und Genf.
BGB-Wurzeln bei der SVP
Wir haben uns angeschaut, ob der Wähleranteil der Nationalen Front in allen Zürcher Gemeinden und Bezirken mit dem heutigen SVP-Wähleranteil korreliert. Es zeigt sich kein Zusammenhang. Ebenso findet sich keine Übereinstimmung zwischen der Unterstützung der Fronteninitiative (1935) und den «institutionellen» SVP-Initiativen der jüngeren Zeit, etwa der Selbstbestimmungsinitiative (2018).
Beim Schweizer Rechtspopulismus wirft die Geschichte andere lange Schatten: Die SVP ist heute nämlich in denjenigen Zürcher Gemeinden besonders stark, wo die ländlich-konservative Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) vor 90 Jahren gut verankert war – quasi die Vorgängerpartei der modernen SVP.
Trotz ähnlicher Programmatik zeigt sich also ein grundlegender Unterschied zwischen AfD und SVP: Während die AfD eine Antisystempartei mit rechtsradikalen Wurzeln ist, nimmt die tief im nationalkonservativen Milieu verankerte SVP seit bald hundert Jahren Regierungsverantwortung wahr. Sie ist damit Teil des Systems und jener Elite, gegen die sie gerne antritt. Das intensive Flirten der Jungen SVP mit der rechtsextremen Szene in jüngerer Zeit dürfte deshalb selbst bei der eigenen Wählerschaft auf wenig Verständnis stossen.
Der Politologie-Professor Adrian Vatter und die promovierte Politologin Rahel Freiburghaus von der Universität Bern überprüfen gängige Annahmen zu politischen Themen im Licht der politikwissenschaftlichen Forschung.
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