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Affäre um Hans-Georg Maassen
Deutscher Rechtsaussenpolitiker gründete geheimnisvolle Stiftung in der Schweiz

Hans-Georg Maassen bei einer Veranstaltung in Thüringen im September 2021. Wenige Wochen zuvor hatte der umstrittene CDU-Politiker in Zug seine Atlantis-Stiftung ins Leben gerufen.  

Der Briefkasten ist ein Albtraum für jede Postträgerin: Die Adresse liegt zwar an der belebten Bahnhofstrasse im Herzen der Stadt Zug. Die Hausnummer 28 aber ist versteckt in einer Passage, deren Eingang man zwischen Spielzeugladen und Männermodegeschäft nur schwer findet. Es scheint so, als solle dieser Briefkasten nicht so einfach gefunden werden.

«Ja, hallo», antwortet eine Frau durch den Lautsprecher: «Zu wem wollen Sie?» Die Frage ist berechtigt. Schliesslich sind hier an einem einzigen Briefkasten 42 Firmen und Stiftungen angeschrieben. Sie sind alle bei einer Bürovermietungsfirma im 4. und 5. Stock des grossen Bürogebäudes untergekommen. Auch die Stiftung Atlantis, deren Vorsitzender nur leider nicht anwesend ist, wie ein Mann am Empfang bedauernd feststellt.

50’000 Franken als Startkapital

Die Atlantis-Stiftung war bislang in der Öffentlichkeit völlig unbekannt. Nicht so ihr Stifter und Präsident: Es ist der umstrittene CDU-Politiker und ehemalige Chef des deutschen Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maassen. 

Wie Informationen der «Süddeutschen Zeitung», des WDR und des NDR zeigen, kam Maassen am 2. Juli 2021 persönlich nach Zug und unterzeichnete hier die Gründungsurkunde seiner Atlantis-Stiftung. Das Anfangskapital von 50’000 Franken war wenige Tage zuvor auf ein Konto der Stiftung bei der Credit Suisse eingezahlt worden.

Ein Briefkasten mit über 40 Firmennamen in der Bahnhofstrasse in Zug. Auch Maassens Atlantis-Stiftung hat hier ihre Adresse. 

In Deutschland macht Maassen derzeit wieder einmal Schlagzeilen: Monatelang wollte ihn seine Partei CDU zu einem freiwilligen Austritt überreden. Grund dafür sind Aussagen und Tweets von Maassen, in denen er nach Ansicht von CDU-Granden antisemitische Codes verwendet, Rassismus verharmlost und seine Sympathie für Rechtsextreme zeigt. So etwa klagte Maassen in einem Interview über eine «grün-rote Rassenlehre», wonach man afrikanische und arabische Männer ins Land holen müsse.

Als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz musste Maassen 2018 zurücktreten, nachdem er rechtsextreme Exzesse in Chemnitz verharmlosend kommentiert hatte. In der CDU opponierte er heftig gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, die seiner Meinung nach dazu führt, dass «1,8 Millionen Araber ins Land kommen».

CDU-Chef Friedrich Merz hatte dem 60-jährigen Maassen Anfang Februar ein Ultimatum zum freiwilligen Parteiaustritt gestellt. Maassen liess es verstreichen und betonte immer wieder, dass er nur ausspreche, was das Volk in Deutschland denke. Gestärkt wurde seine Position durch die Wahl zum Präsidenten der sogenannten Werteunion im Januar 2023. Dieser 2017 gegründete private Verein versteht sich als «Basisbewegung innerhalb der CDU/CSU» und möchte aus den Unionsparteien eine «echt» konservative Bewegung machen. Nach eigenen Angaben hat die Werteunion etwa 4000 Mitglieder.

In der CDU sehen allerdings viele die Werteunion eher als Bedrohung. So forderte die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Karin Prien, in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» einen Unvereinbarkeitsbeschluss ihrer Partei: Wer Mitglied der Werteunion sei, dürfe nicht gleichzeitig Mitglied der CDU sein. Denn die Werteunion wolle die Partei weit nach rechts, Richtung AfD verschieben.

Maassen selbst wurde vorgeworfen, AfD-nahe Positionen in der Migrationspolitik zu vertreten. Zudem soll er als Chef des Inlandnachrichtendienstes die AfD vor einer Beobachtung geschützt haben. Deshalb tauchen immer wieder Gerüchte auf, Maassen könnte mit dem harten Kern der Werteunion zur AfD wechseln. Oder eine eigene Partei gründen. 

«Der Wirkungsbereich der Stiftung ist nicht auf die Schweiz eingeschränkt.»

Aus der Gründungsurkunde der Atlantis-Stiftung

Im Juli 2021, als in der Schweiz die Atlantis-Stiftung gegründet wurde, diskutierte man in Deutschland bereits öffentlich über einen möglichen Parteiausschluss Maassens. Er selber war damals auf Wahlkampftour in Thüringen, wo er als Direktkandidat der CDU für die Bundestagswahl am 26. September antrat (und scheiterte). Die Bundespartei unterstützte damals Maassen in seinem Wahlkampf kaum.

Der in der Gründungsurkunde festgehaltene Zweck von Maassens Atlantis-Stiftung in Zug klingt wie ein politisches Programm. Die Stiftung will «die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos fördern». Dazu gehörten die Förderung einer «internationalen Gesinnung, der Toleranz, des Völkerverständigungsgedankens sowie des demokratischen Staatswesens» sowie von «Massnahmen gegen Extremismus und Totalitarismus».

Für die Erfüllung ihres Zwecks kann Maassens Stiftung laut Gründungsurkunde «Workshops, Seminare, Podiumsdiskussionen» veranstalten und auch eigene Publikationen veröffentlichen. Durch die Öffentlichkeitsarbeit soll ebenfalls um Zuschüsse zum Stiftungsvermögen geworben werden. Andererseits will aber auch die Stiftung Geld vergeben, in Form von «Preisen an Personen und Gruppen». Die Entscheidung, was genau gemacht und wer gefördert werde, obliege ganz allein dem Stiftungsrat, heisst es in der Stiftungsurkunde. Und es wird festgehalten: «Der Wirkungsbereich der Stiftung ist nicht auf die Schweiz eingeschränkt.»

Hans-Georg Maassen spricht auf einer Veranstaltung der Werteunion im August 2019. Im Januar 2023 wurde er zum Präsidenten des rechts-konservativen Vereins gewählt. 

Ausser Maassen selbst sitzt im Stiftungsrat der Atlantis-Stiftung ein weiterer deutscher Staatsbürger, der jedoch in Luzern lebt. Er stammt aus einer deutschen Industriedynastie. In der Schweiz hat er eine eigene Consultingfirma, die ihren Sitz an seiner Wohnadresse hat – abgeschottet im Luzerner Villenviertel mit bester Sicht auf den Vierwaldstättersee. Auch sonst scheint der Unternehmer nicht gross am gesellschaftlichen Leben in Luzern teilzunehmen. In der lokalen Wirtschaftsszene ist er kaum bekannt.

Gleichzeitig hat seine Firma ebenfalls einen Sitz an derselben Adresse in Zug, an der auch die Stiftung Atlantis gemeldet ist: Bahnhofstrasse 28. Genau dort sitzen noch mehrere Unternehmen, bei denen der Mann im Verwaltungsrat ist. Eines dieser Unternehmen wurde etwa zur selben Zeit wie die Atlantis gegründet, eine andere erst im vergangenen Jahr.

Ein dritter Mann aus Deutschland ist zwar im Zuger Handelsregister immer noch als Stiftungsrat der Atlantis eingetragen. Er sagt jedoch der «Süddeutschen Zeitung», dass er diese Funktion längst zurückgelegt habe: «Als ich von den Entwicklungen um die Person Maassen Kenntnis bekam, habe ich meine Resignation als Stiftungsrat kundgetan und dann vollzogen.» Auch der Industrielle aus Luzern teilt mit, dass er seinen Rückzug aus der Stiftung veranlasst habe. 

Die Stiftung hinterlässt keine Spuren 

Welchen Zweck hat nun die Stiftung? Wo wurde sie bisher aktiv? Wie viel Kapital besitzt sie, und wo wird dieses eingesetzt? 

In der Zuger Bahnhofstrasse 28 will ein Vertreter der Bürovermietungsfirma keine Informationen über Kundinnen und Kunden preisgeben. Nur so viel: Die am Briefkasten angeschriebenen Firmen seien «alle real». Und Leute der Atlantis seien «regelmässig hier». Bloss in diesem Moment gerade nicht. 

«Ich finde die Schweizer sehr, sehr liebenswert, und ich bin immer wieder gerne da.»

Hans-Georg Maassen in einem Interview mit Roger Köppel

Obwohl Maassens Stiftung laut Stiftungsurkunde mit ihrer Arbeit an die Öffentlichkeit will, bleibt sie bemerkenswert geheim. Sie hat keine Website, und es gibt keine Hinweise auf von ihr organisierte Veranstaltungen oder Publikationen. Auch Maassen selbst war offenbar bisher nicht daran interessiert, die Atlantis öffentlich zu machen.

In einem Videointerview vom Februar 2022 wird der umstrittene CDU-Politiker von «Weltwoche»-Herausgeber Roger Köppel in Berlin über sein Verhältnis zur Schweiz befragt. Maassen spricht von einer «sehr langen Beziehung» schon seit Schultagen: «Seitdem hat mich das Land eigentlich nicht losgelassen.» Er finde die Schweizer «sehr, sehr liebenswert und ich bin immer wieder gerne da», sagt Maassen. Die von ihm gegründete Stiftung in Zug erwähnt er mit keinem Wort.

Kurz vor Redaktionsschluss antwortet Hans-Georg Maassen doch noch auf die Fragen der Journalisten: Er habe mit der Atlantis-Stiftung ein lang gehegtes Projekt verwirklicht, «eine bürgerliche Stiftung zu gründen, die dem freiheitlichen Gedanken verpflichtet ist». Derzeit befinde sie sich noch in der Aufbauphase. Die Stiftung, schreibt Maassen, solle Projekte fördern, «die die freiheitliche Demokratie und den Rechtsstaat stärken», und sei in der Schweiz gegründet worden «wegen des einfacheren Stiftungsrechts». Für die Funktion des Stiftungsratspräsidenten erhalte er keine Vergütung. Die Stiftung Atlantis unterstütze keine Parteien, auch nicht die Werteunion, und habe ihn auch nicht im Wahlkampf unterstützt, so Maassen. 

Seiner Mail legt Maassen einen Flyer bei, der sich bisher öffentlich nirgends finden liess. Darin wird um finanzielle Unterstützung gebeten und ein Auftrag der Stiftung definiert: die Förderung von Projekten, «die sich gegen Totalitarismus und zeitgenössischen Sozialismus richten».

Mitarbeit: Katja Riedl, Sebastian Pittelkow, Jörg Schmitt