Rücktritt von Hans-Jakob BoeschDer Zürcher FDP-Präsident hat genug
Das hatte kaum jemand erwartet: Vier Monate vor den nationalen Wahlen kündigt Hans-Jakob Boesch den Rücktritt als Parteipräsident an.
Bei der Zürcher FDP rumorte es in letzter Zeit. Im März vertagte die Partei die Delegiertenversammlung (DV), weil es nicht genügend Kandidierende und Ersatzleute für die Nationalratsliste gab. Das war, nachdem die FDP bei den Kantonsratswahlen schlechter abgeschnitten hatte als erwartet: Statt der prognostizierten Sitzgewinne blieb es beim Status quo.
An besagter DV kam es zu einem Eklat. «Wir haben die Nase voll», sagte Parteipräsident Hans-Jakob Boesch gemäss einem Bericht der NZZ. Grund waren angebliche Querschläger vonseiten der Meilemer Bezirkspartei. Darauf gab es einen bösen Brief des Kantonalvorstands an diese Partei mit der Aussage, wegen Vertrauensbruch nicht mehr mit der Präsidentin zusammenarbeiten zu wollen. Doch die Meilemer Bezirkspartei leistete Widerstand und stärkte ihrer Präsidentin den Rücken.
Umstrittene Listenverbindung mit der SVP
Derzeit sorgt die von der FDP-Leitung vorgeschlagene Listenverbindung mit der SVP für die Nationalratswahlen – die erste seit 2007 – intern für viel Gesprächsstoff. Gemäss Recherchen dieser Zeitung wird das Vorhaben in diversen Gremien kritisch gesehen, zum Beispiel in der Stadtzürcher Partei.
So ist Përparim Avdili, Präsident der Stadtpartei, kein Freund einer Listenverbindung mit der SVP. Er habe Bedenken, welches Signal die FDP mit diesem Schritt an potenzielle Wählerinnen und Wähler senden würde, sagt er auf Anfrage. Für ihn stehe die Frage der Positionierung im Zentrum – und ob die Listenverbindung der FDP unter dem Strich nütze oder schade. Das sei nun offen zu diskutieren. Altgediente Freisinnige wie der Publizist und frühere Kantonsrat Ulrich Gut haben sich längst gegen die Verbindung positioniert.
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Auch in anderen Bezirken und bei den FDP-Frauen ist die Listenverbindung umstritten. Letztere haben Stimmfreigabe beschlossen. Co-Präsidentin Bettina Balmer sagt, sie hätte lieber eine grosse Listenverbindung mit FDP, SVP und der Mitte gehabt. Doch auch nach der Absage der Mitte sei sie aus pragmatischen Gründen für die Verbindung mit der SVP. Man habe ihr versichert, dass es gute arithmetische Gründe dafür gebe. Andere FDP-Frauen sehen dies offensichtlich anders. Entschieden wird die Frage der Listenverbindung am 20. Juni an der DV.
«Es war voll und ganz mein freier Entscheid.»
Dass nun Hans-Jakob Boesch nicht einmal zwei Wochen vor dieser Entscheidung seinen Rücktritt per 1. Dezember ankündigt, ist bemerkenswert. In einem Interview mit der NZZ bestreitet er jeglichen Zusammenhang mit den oben beschriebenen Ereignissen. Ihm sei der Rücktritt auch nicht nahegelegt worden, sagt er: «Es war voll und ganz mein freier Entscheid.» Er habe in der Partei während seiner siebenjährigen Zeit stets grossen Rückhalt gespürt. Auch seine Standpauke an der DV sei «von vielen positiv wahrgenommen» worden, erzählt er. Die Leute wollten einen Präsidenten, der führe und Verantwortung übernehme.
Im NZZ-Interview wiederholt Boesch, dass mit der Bezirkspartei Meilen «Dinge vorgefallen sind, die das Vertrauen zerstörten und die der Vorstand nicht einfach so hinnehmen konnte». Trotzdem spricht Boesch von einem «ausgezeichneten Zusammenhalt» in der FDP.
Die Krawatte abgezogen
Der FDP wurde immer wieder Nähe zu den Grossbanken unterstellt – erst kürzlich bei der CS-Übernahme durch die UBS gab die SVP dem «FDP-Filz» die Schuld. Dem Image der «Banker-Partei» entgegnete Boesch etwa mit Auftritten ohne Krawatte, wie er erzählt. Oder mit der Einführung der Duz-Kultur in der Partei. Doch ein Imagewechsel brauche Zeit. Immerhin habe nach permanenten Verlusten die Zahl der Mitglieder wieder stabilisiert werden können.
Unter Boesch wurde das Verhältnis der FDP zur SVP normalisiert, wie er selbst findet. Die SVP hatte die Freisinnigen einst «Weichsinnige» geschimpft und in Illustrationen noch vor vier Jahren als Würmer dargestellt.
Sitz im Regierungsrat verloren
Gleichwohl gingen die Parteien gemeinsam in die diesjährigen kantonalen Wahlen, was auf Ebene Regierungsrat nur halbwegs klappte. Die sieben Bisherigen wurden wiedergewählt und die bürgerliche Mehrheit wurde gehalten. FDP-Regierungsrätin Carmen Walker Späh landete allerdings nur auf Rang 7. Und FDP-Sprengkandidat Peter Grünenfelder, der den 2019 an die Grünen verlorenen zweiten FDP-Sitz hätte zurückerobern sollen, blieb chancenlos.
Beim neuen Schmusekurs zwischen den beiden rechten Parteien geht es auch um die Ständeratswahl. Zwar träumen SVP und FDP von einer bürgerlichen Doppelvertretung im Stöckli. Doch wissen sie, dass es sehr schwierig wird. Sie treten mit den beiden Neuen Regine Sauter (FDP) und Gregor Rutz (SVP) gegen den Bisherigen Daniel Jositsch (SP) an.
Dieser könnte aber erneut im ersten Wahlgang bestätigt werden. Und dann kommt es drauf an, dass sich die Parteien auf eine Kandidatur für den zweiten Wahlgang einigen können, zumal mit Tiana Angelina Moser (GLP) und Daniel Leupi (Grüne) weitere starke Kandidaturen im Rennen sind.
Vor vier Jahren abgewählt
Der 43-jährige Hans-Jakob Boesch hatte das Parteipräsidium 2016 von Nationalrat Beat Walti übernommen und viel Elan gezeigt. Vor vier Jahren ist Boesch wiederum aus dem Kantonsrat abgewählt worden. Er ist Ökonom und Politikwissenschafter und wohnt mit seiner Familie in Zürich. Diese hat vor anderthalb Wochen Zuwachs bekommen.
Boesch hat eine eigene Beratungsfirma für strategisches Risiko- und Krisenmanagement. Er kandidiert auf dem FDP-Listenplatz 9 für den Nationalrat. Die Wahl ist am 22. Oktober. Die FDP hat derzeit fünf Sitze und peilt einen sechsten an.
Erste Papabili sagen ab
Wer im FDP-Präsidium auf Boesch folgt, ist offen. Schon nächste Woche wird über eine Findungskommission informiert.
Zwei Parteiprominente sagen bereits ab: Der Stadtzürcher Gemeinderat Përparim Avdili schreibt, das städtische Parteipräsidium erfülle ihn vollkommen. Bettina Balmer sagt: «Ich bin Co-Präsidentin der FDP-Frauen, Kantonsrätin, möchte in den Nationalrat, arbeite zu 50 Prozent im Spital und habe drei Kinder. Man muss seine Grenzen kennen.» Für die Boesch-Nachfolge empfiehlt sie der Partei «eine etwas ältere Person, die vielleicht die politische Karriere schon etwas hinter sich hat und viel Erfahrung mitbringt».
Ein jüngeres Semester wäre der 29-jährige FDP-Shootingstar und Nationalrat Andri Silberschmidt. Er sagt auf Anfrage, er sei Vizepräsident der FDP Schweiz und habe dort bereits eine prägende Rolle. Beide Mandate gleichzeitig wären zu viel, doch sei es für eine Antwort noch zu früh: «Ich habe soeben erst vom Rücktritt von Hans-Jakob Boesch erfahren und mir noch keine Gedanken gemacht.»
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