YB schlägt Leverkusen 4:3Der Wahnsinn von Bern
Die Berner führen im Sechzehntelfinal der Europa League gegen den Bundesligisten zur Pause 3:0, verspielen dann den Vorsprung. Um am Ende doch noch zu gewinnen.
Wie viele Szenen des Gegners er zeigen soll, fragte sich YB-Trainer Gerardo Seoane vor der Partie. Er dachte an die technisch versierten Mittelfeldspieler Leverkusens, die schnellen Flügel, die Intensität, mit der der deutsche Topclub agieren kann. Seoane befand, ein zu ausgiebiges Videostudium wäre kontraproduktiv. Weil der Respekt bei seinen Spielern vor dem Fünften der Bundesliga zu gross sein könnte.
Und dann ist im Wankdorf eine halbe Stunde gespielt, die Berner führen 2:0, ein Angriff nach dem anderen rollt auf das Tor der Gäste zu. Und man erwischt sich ein paarmal beim Gedanken, was nun im ausverkauften Stadion los wäre. Etwa, als Linksverteidiger Jordan Lefort nach einem der wenigen überzeugend vorgetragenen Spielzüge Leverkusens gerade noch so den Schuss von Patrik Schick blockt.
Das Sinnbild: Elia gegen Tah
Im Normalfall wäre die Partie Stadtgespräch gewesen, ein Höhepunkt. Aber in Zeiten von Corona und Geisterspielen ist das Scheinwerferlicht runtergedimmt, die Bühne wirkt nicht mehr so gross. Aber das mindert nicht die Bedeutung der Affiche für den Club. Im Sechzehntelfinal der Europa League ist YB erst zweimal gestanden, weiter ist der Schweizer Meister noch nie gekommen.
Für den Gegner ist es in diesem Stadium des Wettbewerbs hingegen vor allem eines: eine Pflichtaufgabe. Und das wird sofort deutlich. Die Young Boys sind entschlossener, zweikampfstärker und gedankenschneller als die Deutschen. Das zeigt sich beim 1:0 und beim 2:0, die Tore fallen nach einem Corner von Michel Aebischer. Erst reagiert Christian Fassnacht schneller als Nadiem Amiri und ist mit einer Direktabnahme erfolgreich. Dann verschätzt sich Jonathan Tah, Jordan Siebatcheu hat keine Mühe, mit dem Kopf aus kurzer Distanz zu treffen.
Die Leverkusener schlafwandeln über den Platz. Kein Duell steht sinnbildlicher für die unterschiedliche Einstellung als jenes des schnellen Meschak Elia gegen den schwerfälligen Jonathan Tah. Der Verteidiger der deutschen Nationalmannschaft kommt ein ums andere Mal zu spät. Und wenn er es mal in den Zweikampf schafft, lässt er sich vom YB-Angreifer düpieren. Tah droht noch vor der Pause die Auswechslung, die Höchststrafe.
Der Ärger des Leverkusner Trainers
Wobei Leverkusens Trainer Peter Bosz fast sämtliche seiner Spieler rausnehmen könnte. YB agiert ohne die gesperrten Stützen Jean-Pierre Nsame und Mohamed Camara überragend, das schon, aber es ist auch eine fürchterliche Darbietung der Gäste. Eine, die Tahs Abwehrpartner Aleksandar Dragovic vor der Pause abrundet. Er trifft den Ball nicht, Elia profitiert: 3:0. In den sozialen Medien tippt ein Fan der Deutschen in Anlehnung an die Weltmeisterschaft 1954: die Wunde von Bern.
Die erste Halbzeit im Wankdorf ist eine Fortsetzung der letzten Wochen, wenn auch in Extremform. Leverkusen, bei der Auslosung des Sechzehntelfinals im Dezember noch Tabellenführer der Bundesliga, erlebt nicht seine beste Phase. Im Pokal schied die Werkself gegen den Regionalligisten Rot-Weiss Essen aus. Am Samstag verspielte sie eine 2:0-Führung beim Abstiegskandidaten Mainz in den letzten Minuten. Er könne sich die Darbietung vor der Pause nicht erklären, sagt Trainer Peter Bosz und wirkt verärgert. «Aber wir zeigten, dass wir noch schlechter spielen können als zuletzt in Mainz.»
YB spielt derweil seit der Winterpause so souverän wie kaum einmal im Vorjahr. Innert 24 Stunden wird deutlich, wie gross der Vorsprung auf die nationale Konkurrenz ist. Am Mittwoch blamierte sich der Zweite Basel im Cup gegen Winterthur, 24 Stunden später erlebt YB eine europäische Sternstunde.
Nur, diese hat einen Makel: Es sind noch 45 Minuten zu spielen. Es wird eine Halbzeit, welche die Young Boys ebenso nicht mehr rasch vergessen werden. Diesmal im negativen Sinne.
Die finale Antwort von YB
51 Minuten sind absolviert, als Schick mit zwei Toren auf 2:3 verkürzt hat. Erinnerungen an 2010 werden wach, als YB in der Qualifikation zur Champions League daheim gegen Tottenham Hotspur beinahe ein 3:0 hergab, am Ende stand es 3:2.
Diesmal kommt es vorerst schlimmer, die Young Boys reisen einmal in den Himmel und zurück. Jetzt sind sie es, die zu spät kommen, die in der Abwehr hasardieren, vorab Fabian Lustenberger. Als der Captain erneut patzt, gleicht der eingewechselte Moussa Diaby zum 3:3 aus.
YB kam in der ersten Halbzeit zu elf Schüssen, nun läuft schon die Schlussphase, als sich das Heimteam endlich wieder einmal dem Tor Leverkusens annähert. Doch, und das wird den Young Boys Auftrieb fürs Rückspiel geben, sie finden eine letzte Antwort. Der eingewechselte Gianluca Gaudino trifft aus der Distanz den Pfosten, Siebatcheu staubt in der 89. Minute mit seinem zweiten Tor ab – 3:0, 3:3, 4:3: der Wahnsinn von Bern.
Seoane fühlt sich nach dem Ende hin- und hergerissen. Einerseits sei es ein toller Erfolg, sagt der YB-Trainer. «Aber wenn man ein 3:0 verspielt, ist das auch ein wenig enttäuschend.» Vor dem Rückspiel in Leverkusen in einer Woche wird er genügend Videomaterial haben. Die Frage ist, wie es jetzt um den Respekt steht.
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