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Zum Tod von Jim Hines
Der Sprinter mit den magischen Beinen und den ungeschickten Händen 

«Niemand konnte glauben, dass ein Mann so schnell läuft»: Jim Hines war stark auf der Bahn – und nicht auf den Mund gefallen.
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Den Sprint in die Geschichtsbücher hat Jim Hines doch eher ungewöhnlich eingeläutet: Es war der Abend vor dem 100-m-Final an den Olympischen Spielen von 1968. Der Favorit schlürft mit Frau Joyce in ihrem Hotelzimmer erst eine Flasche Champagner, dann folgt ein Schäferstündchen. Zumindest hat dieser offiziell James Ray Hines getaufte menschliche Blitz später behauptet, sich so auf diesen epochalen Moment vorbereitet zu haben.

Denn am 14. Oktober stürmte der 22-jährige Amerikaner zu 9,95 Sekunden. Der Wind schob ihn mit 0,3 m/s ganz leicht an, hinzu kamen die Höhenlage von 2247 m in Mexiko-Stadt und ein Bilderbuchstart. Als erster Mensch unterbrach Hines elektronisch gestoppt die Schallmauer von 10,00 Sekunden über 100 m.

Sprint in die Geschichtsbücher: 9,95 Sekunden für Jim Hines (279) an den Spielen von 1968.

Es war das Jahr, als Martin Luther King und dann auch Robert Kennedy in den USA ermordet wurden. Die Staaten waren von Rassenunruhen geprägt, die Spiele im Nachbarland auch von der legendären Black-Power-Faustgeste von Hines’ Teamkollegen Tommie Smith und John Carlos, dem Ersten und Dritten über 200 m.

Die kecke Aussage nach dem Sieg

Hines konzentrierte sich auf seinen Sport. Als Baseball spielender Teenager entdeckt, war schnell klar: Da hatte einer ausserordentliches Talent für die Königsdisziplin der Leichtathletik. 1,83 m gross und 81 kg schwer zählte das neunte von zwölf Kindern einer Familie aus Oakland (Kalifornien) eher zu den leichtgewichtigeren Athleten. Das Zeitalter der muskelbepackten Steroid-Sprinter folgte erst, ohne damit sagen zu wollen, man habe zu Hines’ Zeiten nur mit Wasser und Brot gearbeitet. 

Gar 9,89 Sekunden leuchteten zum Erstaunen der 84’000 Zuschauer im Stadion auf, als Hines in Mexiko über die Ziellinie schoss. Er behauptete später keck (und ohne Grundlage): «Wenn sie meine Zeit korrigiert haben, dann deshalb, weil niemand glauben konnte, dass ein Mann so schnell läuft.» Hines doppelte mit der Staffel nach. Und wer genau hinschaute, erkannte damals schon das farbige Marketing: Golden glänzten die Adidas-Spikes von Hines aus Känguruleder. Für rund 30’000 Dollar wurden sie später versteigert.

Aus Känguruleder, der Rekordschuh von Adidas beziehungsweise Hines.

Überhaupt das Geld: Als Amateur, der Hines offiziell war, durfte er gemäss Regeln des Leichtathletik-Weltverbands kein Geld mit seinem Sport verdienen. Doch der Blitz hatte Frau und einen jungen Sohn zu ernähren. Also unterschrieb er in der Blüte seines Sprinterlebens als Passempfänger bei den Footballprofis der Miami Dolphins.

Doch so magisch er über die Leichtathletikbahnen wirbeln konnte, seine Arme waren weniger auffällig. Die erste Saison verbrachte Hines 1968 darum im Dauertraining, spielte dann kurz und erarbeitete sich rasch den Ruf als einer der unfähigsten Wide Receiver. Spitzname: «Oops». 1970 schoben ihn die Dolphins zu den Kansas City Chiefs ab, wo er ebenfalls mit schnellen Beinen und ungeschickten Händen durchfiel. 

Mit 24 Jahren war seine Footballkarriere bereits beendet, doch die Rückkehr in die Leichtathletik erwies sich ebenfalls als Flop – immerhin hielt sein Weltrekord 15 Jahre, bis ihn Landsmann Calvin Smith 1983 auf 9,93 verbesserte. Unter anderem als Sozialarbeiter in Houston verdiente Jim Hines später sein Geld und sorgte zuletzt in der Leichtathletikwelt bloss noch für Schlagzeilen, als er behauptete, zu seinen besten Zeiten sei er Usain Bolt ebenbürtig gewesen. 

Am Wochenende schlief James Ray Hines mit 76 ein, samt seinen Medaillen: Kurz nach seiner Heimkehr von den Mexiko-Spielen hatte er nämlich gemerkt, dass ihm die Goldmedaillen gestohlen worden waren (neben Schmuck seiner Frau und dem Fernseher). In der lokalen Zeitung inserierte er und bat um die Rückgabe der Medaillen. In einem braunen Couvert bekam er sie tatsächlich zurück.