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Fussballer Admir Mehmedi
Das Leben seines Vaters hat ihn geprägt

epa09309679 Admir Mehmedi of Switzerland scores on penalty during the UEFA EURO 2020 round of 16 soccer match between France and Switzerland in Bucharest, Romania, 28 June 2021.  EPA/Daniel Mihailescu / POOL (RESTRICTIONS: For editorial news reporting purposes only. Images must appear as still images and must not emulate match action video footage. Photographs published in online publications shall have an interval of at least 20 seconds between the posting.)

Die Mütze auf seinem Kopf erinnert an die grosse Welt. «NY» steht drauf, New York. Admir Mehmedi hat sie als Fussballer gesehen, Weltmeisterschaft, Europameisterschaft, Olympische Spiele, Champions League, Bundesliga. Er kann auf eine schöne Karriere zurückschauen.

Jetzt sitzt er in einem Café, ein paar Meter vom Bahnhof Winterthur entfernt. Es ist gut besucht an diesem Morgen. Er fällt nicht auf, er ist ein Gast wie jeder andere. Ihm ist wohl so. Er ist nie einer gewesen, der sich nach vorne drängte, «ich musste nicht zuvorderst bei den Kameras sein», sagt er.

Im Sommer hat er seine Karriere als Spieler beendet, mit 32 erst. Andere wollen in diesem Alter noch lange nicht vom Fussball lassen. Auch er führte Gespräche mit den Canepas vom FC Zürich, weil er sich vorstellen konnte, nochmals für den Club zu spielen, der so wichtig war für seine Karriere. Im letzten Moment fanden sie dann doch nicht zusammen.

«Alles gut», sagt Mehmedi, «keine schlechten Gefühle.»

Still und leise ist er gegangen, ohne Pressekonferenz. «Klar, ich bin ein wohlverdienter Nationalspieler», sagt er, «aber ich bin kein Messi und kein Ronaldo, ich muss mich nicht ins Schaufenster stellen und mitteilen: Der Admir Mehmedi hört jetzt auf.»

Mehmedi ist einer, der bedächtig redet und überlegt erzählt. So ist er immer gewesen, und vielleicht ist er deshalb gerne unterschätzt worden. Wer ihn näher kennt, der spürt, dass mehr dahintersteckt. Der spürt seine Leidenschaft für den Fussball und seine Fähigkeit zum reflektierten Denken und zur Selbsteinschätzung.

Schon in jungen Jahren sagte er sich, dass er keinem zur Last fallen will, er wollte nie zu einer Entscheidung gedrängt werden, indem ihm jemand sagt: «Admir, jetzt ist Zeit für dich.» Darum ist er im wunderbaren Sommer 2021 als Nationalspieler zurückgetreten und im Sommer 2023, nach eineinhalb durchzogenen Jahren bei Antalyaspor in der Türkei, auch ganz als Fussballer.

«Schule, Schule, Schule!» – der Vater sagt, was zählt

Fünfzehn Jahre dauerte die Karriere des Buben von Emerli Mehmedi, der in Nordmazedonien Ökonomie studiert und eine Holzfirma mit vielen Hundert Angestellten geleitet hatte, bevor er von Gostivar in die Schweiz flüchtete und hier ganz unten neu anfing. Im Tessin arbeitete Vater Mehmedi im Pferdestall, kam nach Winterthur und wurde Pizzabäcker. Mit dem Sport hielt er es nie. Admir brachte er vielmehr bei, was wirklich zählt: «Schule, Schule, Schule!»

Das Leben seines Vaters hat Admir Mehmedi geprägt, dieses Kämpfen, diese Bereitschaft, Widerstände zu überwinden. «Wie schwierig ist es, mit einer solchen Geschichte umzugehen, vom Direktor zum Pizzaiolo!», sagt er. In seinen Worten lesen sich Staunen und Bewunderung.

Er ist fünfzehn, als er von Winterthur in die U-18 des FCZ wechselt. Er ist siebzehn, als ihm Bernard Challandes beim FCZ zum Debüt in der Super League verhilft. Und er hat einen Traum: einmal für die Nationalmannschaft zu spielen. Nach seiner ersten Saison, 2009, ist er Meister. 

Zwei Jahre danach erfüllt sich sein Traum: erstes Länderspiel, am 4. Juni 2011 mit 20 Jahren. Von Ottmar Hitzfeld, den er als «Gentleman» bezeichnet, wird er in der 75. Minute auf die ganz grosse Bühne geschickt, im Wembley gegen England. Er findet sich neben Rio Ferdinand wieder, «ich der kleine Bub neben einem, der gefühlt zwei Meter gross und zwei Meter breit ist».

Im Januar des folgenden Jahres wechselt er ins Ausland, Kiew heisst das Ziel, ein fremdes Land mit einer Sprache, die er nicht spricht, mit einer Schrift, die er nicht lesen kann, und mit Menschen, die er als zurückgezogen erlebt. Der Wechsel passt zur Geschichte des kleinen Admir, der als Zweijähriger von Gostivar nach Bellinzona kam, ohne Italienisch zu können, und der später nach Winterthur musste, ohne Deutsch zu können.

Mehmedi hat auch Angebote aus der Bundesliga gehabt, aber er wählt Kiew, weil Dynamo rund 4,5 Millionen Franken für ihn nach Zürich überweist. Indirekt ist es sein Dankeschön an den Verein, der ihn ausgebildet hat und dem er dafür etwas zurückgeben will. «Ich bin kein Ego, der nur auf sich schaut», sagt er.

Eine Lektion, die er nie vergessen wird

Eineinhalb Jahre hält er es in Kiew aus, er spürt in der Fremde, dass er in der Heimat vergessen geht. Er verdient viel Geld, aber das reicht ihm nicht, um glücklich zu sein. Freiburg ist die nächste Station, der Kontrast ist gross, von der Millionenstadt in die Idylle. Er denkt sich etwas leichtfertig: «Das wird in Freiburg schon laufen.»

Im dritten Spiel wird er spät eingewechselt und in der Nachspielzeit vom Platz gestellt, er hat dem Schiedsrichter den Vogel gezeigt. Was darauf folgt, ist eine Lektion, die er nie vergessen wird. Christian Streich gibt sie ihm, der ewige Trainer des SC Freiburg. «Admir muss die richtigen Schlüsse ziehen», hält er vor laufenden Kameras fest, «er muss laufen, laufen, laufen. Das muss er verstehen.»

Im ersten Moment findet Mehmedi das «nicht so cool». Im zweiten realisiert er: «Ich darf nicht die beleidigte Leberwurst spielen, ich muss die Kritik als Weckruf nehmen.» Und den hört er von Streich auch vor versammelter Mannschaft und im Vieraugengespräch. Streich wird da offenbar gleich so deutlich, dass ihm die Ohren läuten müssen.

Mehmedi lernt, setzt sich in der Bundesliga durch und wird nach seiner ersten Saison von Freiburg fix für 7,2 Millionen Franken übernommen. Er geht den Weg, den sein Lehrmeister Streich ihm schon im allerersten Gespräch vorgezeichnet hat. «Admir», hat er ihm gesagt, «du wirst mit deinen Qualitäten nie ein Spieler für Bayern München sein. Aber wenn du das machst, was ich dir zutraue, wirst du ein guter Bundesligaspieler sein.»

Zwischen 2013 und 2022 kommt er auf 242 Einsätze für Freiburg, Leverkusen und Wolfsburg. Heute sagt er: «Mir ist nichts geschenkt worden, nur weil ich ein lieber Bub bin. Als Kind war ich dicklich. Ich musste mit meinen Genen immer auf die Ernährung schauen. Ich war kein aussergewöhnliches Talent. Ich musste immer alles geben, schon im Training. Aber am Ende stand der Admir immer auf dem Platz. Das kam nicht von ungefähr.»

Zu seiner Geschichte passt auch die WM in Brasilien. Im ersten Spiel gegen Ecuador kommt er nach der Pause ins Spiel und erzielt gleich den Ausgleich. Nach dem Spiel beginnt er zu realisieren, was das alles bedeutet: «An der WM zu sein, ein Tor zu erzielen, für ein Land, das mir alles ermöglicht hat!» Im Café in Winterthur erzählt er davon und bekommt Gänsehaut. Er spürt die Emotionen, die sich mit nichts erkaufen lassen.

Switzerland's Admir Mehmedi celebrates after scoring his side's first goal during the group E World Cup soccer match between Switzerland and Ecuador at the Estadio Nacional in Brasilia, Brazil, Sunday, June 15, 2014. (AP Photo/Michael Sohn)

In Brasilien wird er mit seinem Kämpferherzen zum Symbol einer Schweizer Mannschaft, die sich im Achtelfinal gegen Argentinien einen heldenhaften Kampf liefert. In Frankreich, an der EM zwei Jahre später, wird er mit seinem Tor gegen Rumänien der erste Schweizer, der an einer WM und EM getroffen hat. In Russland fehlt er 2018 wegen einer der Verletzungen, die in seinen alten Tagen als Fussballer häufiger werden.

Der lange Weg bis zu seinem letzten Tor

2021 ist er nochmals an einem Turnier dabei, seinem dritten. Bei der EM spielt er keine grosse Rolle mehr, er hat nur noch zwei kurze Einsätze. Aber das reicht für diesen einen Moment, den ihm auch keiner mehr nehmen kann. 4:4 steht es im Elfmeterschiessen des Achtelfinals gegen Frankreich, als er zum fünften Versuch für die Schweiz antritt. Der Weg von der Mittellinie zum Elfmeterpunkt kommt ihm so lange vor, als würde er zwei Wochen dafür brauchen. Er fühlt sich in einem Tunnel, der immer schmaler wird, und er weiss: «Wenn ich verschiesse, bin ich der Vollpfosten.» Er nimmt sich vor, in die rechte Ecke zu schiessen, er trifft und hat seinen Anteil daran, dass die Schweiz den Viertelfinal erreicht, «den ersten nach 67 Jahren».

Der Elfmeter ist sein letzter Dienst für die Schweizer Mannschaft. Er hat sich vor dem Turnier schon vorgenommen, aufzuhören. 76 Länderspiele hat er bestritten, es ist eine stolze Zahl für den Sohn eines Pizzabäckers, für den Bruder eines Busfahrers in Winterthur, für den Mann der Sevdije, den Vater von Noar, Nila und Nael, für den Häuslebauer in Seuzach.

Seit Mitte November ist er Sportchef beim FC Schaffhausen. «Funktionär» nennt er sich, es ist ein schwieriger Start ins neue Berufsleben, weil Schaffhausen kaum Geld hat und kaum Punkte. Er will nun in Ruhe analysieren, was es braucht, um den Abstieg aus der Challenge League zu verhindern.

Er fühlt sich für diese Aufgabe gut gerüstet. Nicht nur, weil er einen Managementkurs absolviert hat, vor allem wegen seiner Karriere. «Als ehemaliger Nationalspieler bin ich glaubwürdig. Den Spielern erzähle ich doch keine Märchen, ich habe nichts aus den Büchern. Ich habe alles selbst erlebt.» Er bestellt sich noch ein Gipfeli und einen Cappuccino.